Wolfgang Krisai: “Schuhe nach dem Ball”, Buntstift, 2013.
Von Mascha Kaléko ist wieder mehr die Rede, da der dtv eine vierbändige Gesamtausgabe herausgebracht hat. Darin füllt ihr literarisches Werk allerdings nur einen Band, der Rest sind Briefe und Kommentar. Mich interessierte in erster Linie das Werk, also die Gedichte, daher las ich jetzt einmal den Band „Mein Lied geht weiter“ mit 100 Gedichten, den wir neu für die Schulbibliothek gekauft haben.
Gebrauchslyrik
Kaléko bezeichnete ihre Gedichte als „Gebrauchslyrik“, also als Gedichte, die man wirklich brauchen kann, im Gegensatz zur verstiegenen „Hochlyrik“, die das 20. Jahrhundert ebenfalls hervorbrachte. Man stellt sie daher in eine Reihe mit Kästner, Tucholsky und Ringelnatz (zumindest im Klappentext), von denen sie sich aber durch deutlich mehr Melancholie und geringere Schnoddrigkeit abhebt. Zumindest in diesen 100 Gedichten ist das so.
Flucht und Exil
Grund zur Melancholie hatte sie ja genug: Schon mit sieben Anfang des Ersten Weltkriegs auf der Flucht, weil der Vater als galizischer Jude von Pogromen bedroht war. Mit 25 veröffentlicht sie den Gedichtband „Das lyrische Stenogrammheft“, aber da ist gerade das Jahr 1933, ein für eine jüdische Dichterin in Berlin äußerst ungünstiger Zeitpunkt. Neuerliche Flucht, Exil in Amerika, wo sie mit ihrem Ehemann, einem chassidischen Synagogensänger, ums Durchkommen kämpft. Nach dem Krieg – aber erst 1956 – ein kurzes „Comeback“ in Deutschland, schließlich Übersiedlung nach Jerusalem. 1975 starb sie in Zürich.
Lebensweisheit
In einfach gebauten Vierzeilern besingt Kaléko die gängigen lyrischen Themen: Liebe, Einsamkeit, Jahreszeiten… Darüber hinaus gibt es Gedichte, in denen die Schwierigkeiten, die ihr das Leben in den Weg stellt, thematisiert werden. Politische Auflehnung, gar Hass findet man hier nicht, vielmehr ein Sich-ins-Schicksal-Ergeben, sei es nun ins politische oder private (etwa in dem Gedicht über „Die Leistung der Frau in der Kultur“, S. 131, wo sie begründet, warum es so wenige Künstlerinnen gibt: weil der Frau „Des Künstlers Frau“ fehlt, die den Alltag für ihn erledigt, und sie stattdessen selbst meist ihrerseits einen Mann zu versorgen hat). Alles ist von „Lebensweisheit“ durchzogen.
Die meisten Gedichte haben einen etwas humoristischen Ton, der von lustigen Reimen oder überraschenden Wendungen kommt.
Sprachlich stellen die Gedichte die Leserinnen und Leser (es werden wohl mehr weibliche sein) vor keine Probleme, was sie angenehm lesbar macht. Besonders originell finde ich ein Gedicht, das mit Redensarten spielt (S 57f):
Aus dem Leben eines Einzelgängers
Einen Tagedieb
Schelten mich die Nachbarn.
Doch ich
Schön Früh
Im Schweiße meines Angesichtes
Säge an dem Ast, auf dem ich sitze,
Überprüfe meine brachliegenden Äcker und
Werfe fleißig
Die Flinte ins Korn.
Schlägt es dreizehn,
Löffle ich fromm
Die Suppe aus, die ich mir
Eingebrockt habe, und beiß zufrieden
In den sauren Apfel.
Ein gut Gewissen ist der beste Koch.
Kommt Besuch,
Setze ich die Herren
Gemütlich zwischen zwei Stühle,
Die Damen in Verlegenheit und
Mich selbst in die stets bereiten
Brennesseln.
Zu festlichen Gelegenheiten
Schlage ich dem Faß den Boden aus und
Schlachte die Henne, die die goldenen Eier legt.
Carpe diem!
Das heißt: Nütze den Tag!
Endlich Feierabend.
Ich lege mich auf die wohlverdiente
Bärenhaut, falte die Hände
In den Schoß und
Träume
Von alles Tage Abend.
Hundert Gedichte. Ausgewählt und herausgegeben von Gisela Zoch-Westphal. Deutscher Tashenbuch Verlag, München, 14. Aufl., 2013.158 Seiten.
PS: Auf www.maschakaleko.com kann man einige Gedichte lesen und Informationen über die Autorin finden.