Den folgenden Beitrag habe ich am 21. März 2017 für den Ohrfunk produziert.
In wenigen Tagen ist Wahl im Saarland. Den neuesten Umfragen zufolge liegt die SPD von Martin Schulz mit der CDU fast gleichauf. Man soll Umfragen nie trauen, aber unterstellen wir einmal, sie würden einen gewissen Trend ausdrücken, dann muss man sich fragen, was die SPD aus ihrem jahrelangen Tief gerissen hat. War es wirklich der 100-%-Mann?
Lassen wir mal allen Spott beiseite, den sich Martin Schulz anhören muss, weil er ohne Gegenstimme auf dem SPD-Parteitag zum Vorsitzenden gewählt wurde. Gehen wir einfach mal davon aus, dass die SPD sich verzweifelt an jeden Strohhalm klammert und die Umfragen einfach ernst nimmt. Bleibt die Frage, was Schulz gesagt oder getan hat, um das –
vielleicht nur kurzfristige – Vertrauen zu rechtfertigen, das ihm entgegengebracht wird. Ein Grund ist sicherlich, dass er neu ist in der ersten Reihe der Bundespolitik. Sein Name ist nicht abgedroschen, seine Vita noch nicht von Skandalen und eklatanten Lügen durchsetzt. Wer ein wenig tiefer gräbt, der findet natürlich auch bei Martin Schulz Dinge, mit denen niemand einverstanden sein kann, wie zum Beispiel seine vehemente Unterstützung für die sogenannten Freihandelsabkommen TTIP und CETA, Aber wenn ich eins gelernt habe, dann, dass es den perfekten Politiker, den mit der reinen Weste und der Position, der wir in 80 % der Fälle zustimmen können, nicht gibt. Martin Schulz ist Politiker, und das an sich bedingt dunkle Flecken auf seiner Weste. Doch im Vergleich zu vielen anderen Größen der Bundespolitik ist der Würselener ein relativ unbeschriebenes Blatt.
Ein zweiter Grund für die Begeisterung, die er auslöst, ist vermutlich der Begriff der sozialen Gerechtigkeit. Schulz führt diesen Begriff wieder und wieder im Mund, und wenn man seinen Lebenslauf ein wenig studiert, dann kann man ihm zumindest glauben, dass auch er nicht immer auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hat. Er war Schulabbrecher, hatte ein Alkoholproblem und hat danach viele Jahre als Bürgermeister einer nicht besonders großen Stadt gearbeitet, wo er vermutlich mit den Problemen der einfachen Menschen mehr zu tun hatte als die meisten Politiker, die heute die Bundespolitik bestreiten. Schulz weiß, was er sagen muss, damit Menschen ihn verstehen. Er wirkt einfach, ehrlich, geradeheraus. Die Basis der SPD hat sich nach einer Rückbesinnung auf soziale Werte gesehnt, die Gerhard Schröder massiv verraten hat, und Martin Schulz bringt sie zumindest wieder zurück in den Sprachgebrauch der Sozialdemokratie. Und obwohl man ihn massiv attackiert und ihm sogar Populismus vorwirft, reagiert er mit einfachen, klaren Worten: „Mit mir wird es keine Verunglimpfung des politischen Gegners geben“, rief er unter tosendem Applaus auf dem SPD-Parteitag, der ihn zum Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten kürte. Das wirkt sympathisch, das klingt, als verspreche er einen sachorientierten Wahlkampf, zumindest im Bezug auf seine person.
Ich will ihm das alles glauben. Ich will bereit sein, ihm zuzugestehen, dass er im Großen und Ganzen die Hauptziele setzt, die er immer wieder nennt: Soziale Gerechtigkeit, Verbesserung der Lebenssituation von Familien, mehr europäische Zusammenarbeit und klare Kante gegen rechts. Hat also dieser Martin Schulz eine Chance, die SPD zu motivieren, Bürger an die Urne zu bringen und im Land etwas zu verändern?
Ich bin sehr vorsichtig. Denn so ein Hype wie um den neuen Kanzlerkandidaten der SPD ist in der Regel von den Medien gepusht. Ob Martin Schulz halten kann, was uns der Medienhype verspricht, erfahren wir bei der Saarlandwahl. Wenn sich dort zeigen sollte, dass sich die SPD-Begeisterung nicht an der Wahlurne zeigt, ist dieser Hype auch sofort wieder vorbei, und der historische Sieg, einschließlich der 100 % auf dem Parteitag, war ein von Medien mitinszeniertes Strohfeuer. Denn schon mehren sich die Stimmen, die behaupten, Schulz habe eigentlich gar kein inhaltliches Programm, er mache Wahlkampf mit Gefühlen und Stimmungen. Das stimmt nur teilweise: Er macht inzwischen konkrete Vorschläge zur Familienarbeitszeit, zur Verlängerung des ALG I und zu einigen anderen Punkten. Und wenn man ihn auf seine fehlende Programmatik anspricht, antwortet er logisch fundiert, dass der SPD-Programmparteitag im Juni ist, und dass vorher nur Eckpfeiler vorhanden sind. Das ist richtig, aber ob es vernünftig ist, wird sich noch zeigen. Wahr ist allerdings, dass auch alle anderen Parteien, von den Schreihälsen einmal abgesehen, die sich nicht um dezidierte Inhalte kümmern, noch kein programm haben. Insofern ist es unredlich, Schulz diesen Mangel an Inhalten zum Vorwurf zu machen.
Vermutlich funktioniert die Begeisterung für Martin Schulz auch deshalb, weil er sich zumindest noch nicht auf gefährliches Terrain begibt. Was er sagt, das sagt er klar und deutlich, aber es ist eben noch nicht viel. Für manchen Wähler mag es genug sein, doch das bleibt, wie gesagt, abzuwarten. Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob sich der Höhenflug bis zur Bundestagswahl im September aufrechterhalten lässt, und da habe ich meine Zweifel, wenn nicht große Erfolge bei den Landtagswahlen der nächsten Wochen helfen.
martin Schulz ist kein Held. Zwar hat er vorsichtig Abstand genommen von einigen Aspekten der neoliberalen Agenda 2010 von Gerhard Schröder, doch zum Thema Langzeitarbeitslose und Sanktionen hat er nichts gesagt, was vermuten lässt, dass er dieses unmenschliche Regime nicht mit einem Federstrich beenden will oder kann. Doch immerhin schlägt er andere Töne an als viele seiner Kolleginnen und Kollegen. In einer Zeit, in der die Demokratie selbst in Gefahr ist, beobachte ich einen Politiker, der sie zu verteidigen wünscht und ihre Spielregeln im Großen und Ganzen achtet, mit einem gewissen, vorsichtigen Wohlwollen.