„Roswell“
(Green Berlin/Four Music)
Das Grundübel unserer Tage? Keiner versteht den anderen. Der Linke den Rechten nicht, der Demokrat nicht den Populisten, der Muslim nicht den Christen, der Ossi nicht den Wessi, der Veganer nicht den Fleischfresser, der Spießer nicht den Hool, der Grüne nicht den Banker, der Bürger nicht den Politiker, und und und. Und? Getan wird nicht sonderlich viel dagegen, man redet lieber aneinander vorbei oder schreit sich seinen Frust von der Seele, statt mal die Klappe zu halten und zuzuhören. Wer zuerst da war, hat immer recht, Ende Gelände. Marten Laciny aka. Marteria ist da etwas anders veranlagt. Er hat verinnerlicht, dass Weltanschauung am besten funktioniert, wenn man sich die Welt auch anschaut, sie an sich heranlässt, sich auf sie einlässt. Das kann manchmal ganz schön weh tun, das sind nicht immer die angenehmsten Erfahrungen. Aber wenn man ihm und seiner Musik erst mal diese knappe Stunde geschenkt hat, dann weiß man, wieviel Kraft und Herzensbildung zu finden vermag, wer sich aufmacht. Und zwar im wortwörtlichen Sinn.
Nichts an dieser Platte, da ähnelt sie sehr dem Vorgänger „Zum Glück in die Zukunft II“, ist schwer zu verstehen. Nimm mich, wie ich bin, ich tu‘ dasselbe, sagt sie. Weil Marteria seine Heimat, seine Heimatstadt liebt, singt und rappt er, egal ob nun Rostock oder Roswell, einfach darüber. Ein UFO ist dort zwar noch nicht gelandet, vieles wirkt im Gegenteil erschreckend irdisch, aber es ist der Kindheitsort, die Sehnsuchtsquelle, erster Teil seines nun doch ziemlich großen Lebens. Und der gehört verteidigt. Seine Coverstars sind immer noch bewaffnet, aus Katapult wird Ninjaschwert, Verteidigung der Jugend, Trotz und Beharren gegen dumpfe Gleichgültigkeit, Fantasie gegen graue Tristesse – Alice ihr Wunderland. Er kennt die „Aliens“, die Unverstandenen, er fühlt sich ja selbst wie einer. Doch ist Laciny kein Verachter, eher ein Umarmer, er setzt die Grenzen, doch er setzt sie weit. Menschlichkeit ist Grundgesetz, ist der größtmögliche, gemeinsame Nenner, ist „Links“ – darüber hinaus kann jeder kommen, wie er will.
Man nennt das, so bekloppt das klingen mag, Nächstenliebe. Selbstverständlich, eigentlich. So selbstverständlich wie die Liebe zur Natur. Die „Welt der Wunder“ ist jetzt die Klage an „Blue Marlin“, das Meer ein Höllenort und der Mensch die aussterbende Rasse, von der es sich fernzuhalten gilt. Abtauchen, auflösen, wenn’s nur ginge. Der Sound auch auf „Roswell“ wieder in gewohnter Mischung – Marteria bringt für den Titeltrack, „Aliens“ (zusammen mit Arnim Teutoburg-Weiß von den Beatsteaks) oder „El Presidente“ die tighten, die fetten Beats genauso gekonnt unter wie er später bei „Scotty Beam mich hoch“ (s)eine Art Spieldosenpop anstimmt. Vieles aber grollt und rollt dunkel, die ätzenden Las-Vegas-Rhymes („Cadillac“) und noch mehr das Erinnerungs-Double „Große Brüder“/“Skyline mit zwei Türmen“, da sind viel Melancholie und Wehmut im Spiel, große Bilder – vielleicht das Alter, die neue Vaterrolle? Geschenkt, ein Wahnsinniger sei er immer noch, das hat er gerade der Süddeutschen gesagt, nur der Blick ist jetzt klarer. Und so klingt’s denn auch: Geradlinig, bestimmt, mit Spaß dabei, den Ernst der Lage im Blick. Ein Schritt voran für ihn, wieder mal. http://www.marteria.com/
30.11. Hamburg, Sporthalle
01.12. Bremen, ÖVB Arena
02.12. Köln, Lanxess Arena
04.12. Münster, MCC Halle Münsterland
05.12. München, Zenith
06.12. Stuttgart, Porsche Arena
08.12. Wien, Austria Halle Gasometer
09.12. Zürich, Samsung Hall
13.12. Dresden, Messe
15.12. Hannover, Swiss Life Hall
16.12. Schwerin, Sport- und Kongresshalle
19.12. Rostock, Stadthalle
20.12. Rostock, Stadthalle