Grüne Rauchschwaden ziehen über das Land und nehmen Kurs auf Heidelberg. Eine Clique übernächtigter Männer im besten Alter steigt aus dem Tourbus und entert die Halle-02. Die Marsimoto-Crew ist in HD eingetroffen: “Endlich wird wieder gekifft.”
Der vorletzte Stopp auf der beispiellosen “Greentour 2012″ von Marsimoto stand unter besonderen Vorzeichen. Aus der Heidelberger HipHop-Wiege stammt ja schließlich nicht nur der hiesige Rap-Urvater Torch, der mit seinem Album Blauer Samt quasi Namenspate für das neue Marsimoto Werk Grüner Samt stand, sondern auch Paul Ripke feierte in der Stadt am Neckar ein Heimspiel. Ripkes Funktion innerhalb der Green-Berlin-Truppe um Marsimoto lässt sich am besten mit der eines Longpapers vergleichen, da er als Fotograf und Filmemacher für die entsprechende Verpackung sorgt. Und die wird von den Marsi-Jüngern regelrecht aufgesogen. Wie schon in München, Bremen oder Rostock strömten an diesem Abend Scharen von grün gekleideten Jungs und Mädels in die dicht gefüllte Heidelberger Halle.
Von der kritischen Pionier-Generation des deutschen Sprechgesangs wird der 29-jährige Marten Laciny mittlerweile akzeptiert, dennoch wird ihm für Marsimoto – Marterias alter ego – häufig noch Image-Diebstahl vorgeworfen. Die Maskennummer kennt man ja bereits von MF Doom (respektive Sido), die gepitchte Stimme von Madlibs alter ego Quasimoto und den erhöhten THC-Gehalt im Blut beansprucht ohnehin schon jeder zweite Rapper für sich. Dennoch: einen derart hanfgetriebenen Hybrid hat es bisher noch nicht gegeben. Mit Marsimoto hat Laciny ein postmodernistisches HipHop-Phänomen erschaffen, das sich dank der basswabernden Beatschmied-Garnison bestehend aus Dead Rabbit, Nobody’s Face, Kid Simius, Robot Koch und The Krauts in ungewohnt futuristischen Soundsphären bewegt.
Bevor Marsimoto die Bühne in der Ganja-geschwängerten Arena erklomm um das im Vorfeld ausgegebene Repertoire von 30 Songs abzurauchen, planierte zunächst der backenbärtige Kid Simius aus Granada den Weg mit der Dubstep-Dampfwalze und extravaganter Electronica. Auf dem Höhepunkt spielte der Spanier den Sound sogar selbst mit der E-Gitarre ein. Mit Grüner Samt begann schließlich die Marsi-Show in Highdelberg. Als hätte er eine ganze Flasche Helium inhaliert, erklang die Sequenzer-Stimme des grün-maskierten Männchens wie Schallwellen vom Planeten Purple Haze. Bei den Fans sind Wellness, Marsi der Zigeuner und Absinth vom neuen Album scheinbar längst als Kulthits für die Zigeunerrunde auf der heimischen Couch etabliert – textsicher zelebrierte der tobende Pulk die Tracks.
Auch wenn Marsimotos Songs inhaltlich meist Staffeleien mittelmäßig-komischer Wortspiele sind, deren tieferer Sinn sich erst nach dem zweiten Joint erahnen lässt, überzeugte der sympathische Wahlberliner mit einer gelungenen und abwechslungsreichen Performance. Blaue Lagune und das hymnenhaftige Green Granada sind mit ihrer unbändigen Lässigkeit und durchtriebenen Soundstruktur definitive high potentials. Immer wieder fiel Marsimoto durch Referenzen an Deutschrap-Vorreiter wie Torch und die Stieber Twins auf. Natürlich drängte sich da auch eine Hommage an die Grüne Brille von Samy Deluxe und Jan Delay auf, die gleich mit einem weiteren Wink an Luniz mit dem Stück I Got 5 komplettiert wurde. Für Blaue Augen Grüne Augen, kam auch der Alt-Heidelberger Paul Ripke nicht um einen kurzen Auftritt im Spotlight herum. Als eines der letzten Highlights erschien Marsi mit dem Federschmuck eines Häuptlings auf der Bühne um wild abzappelnd das Land der Indianer zurückzufordern. Der cannabinoide Rauch der Friedenspfeife war an diesem Abend ohnehin omnipräsent.
Deichkind haben es vorgemacht, HipHop in die Postmoderne entlassen und am Ende jegliches Schubladendenken gesprengt. Auch die Green Berlin Crew bedient sich munter aller Einflüsse die ihr in die Quere kommen, das Endprodukt macht mächtig Spaß – wie heute in Heidelberg demonstriert wurde.
Grüner Samt (Der Film)
Andreas Margara (März 2012)