Manche wird es jetzt überraschen, der Flaneur schreibt über Filme, statt über Comics & Musik. Naja, eigentlich hatte ich das Projekt ja auch mal begonnen um über Literatur(theorie) zu schreiben, manchmal läuft es eben nicht so wie man es plant.
Über Filme wollte ich ohnehin vermehrt schreiben & so bietet es sich natürlich an, dass meine erste Rezension nach langer Zeit (Protokolle der 34. Duisburger Filmwoche 2010 findet ihr hier) sich um mehrere gegenwärtig hochaktuelle Themen dreht: Nämlich die oftmals schwer durchschaubaren Konflikte der arabischen Welt, die Gefährdung der Kriegsberichtserstatter & Journalisten, also der Akteure, die (im besten Falle) versuchen diese Krisen zu analysieren und Bericht zu erstatten und die fragwürdigen Parameter der Medien- und Aufmerksamkeitsökonomie.
Im Rahmen der Retrospektive des diesjährigen Arabischen Filmfestivals wurde der 1991 in Cannes hochprämierte Film (Preis der Jury) Hors La Vie von Maroun Bagdadi im Neuköllner Rollbergkino seit langem zum ersten Mal wieder gezeigt. Bagdadi gilt als Pionier des gesellschaftskritischen libanesischen Kinos, bei dem der Auftakt seiner künstlerischen Arbeit mit dem Beginn des Bürgerkriegs im Libanon zusammenfällt. Eine Parallele, die sich unverkennbar in seinen visuellen Stil eingeschrieben hat.
Bagdadi kombiniert elegant und gekommt dokumentarisches Beobachten mit gehobenem Erzählkino. Und auch bei seiner Aufarbeitung und Dokumentation der Entführung eines französischen Fotojournalisten findet sich diese Verschränkung wieder. Die Grundlage des Films bildet das autobiografische Bericht Roger Auques, der seine Entführung durch Milizionäre aufarbeitet. Zwar befinden wir uns heute im Jahr 2011, aber manches hat sich leider nicht gebessert, bereits 1975 (im Handlungsjahres des Films & in meinem Geburtsjahr) lag Beirut nach einem blutigen Bürgerkrieg in Trümmern.
Die dokumentarischen, erschreckenden Aussenaufnahmen bilden die ersten 15 Minuten des Films. Aus Sicherheitsgründen wurden sämtliche anderen Aufnahmen in Spanien und Italien abgedreht. Bagdadi verschränkt, kombiniert und komponiert die Bilder fast ununterscheidbar, auch deshalb wirkt der Film sehr verstörend und eindrücklich.
Zu Beginn begleiten wir den freiwillig eingebetteten Fotografen bei seiner täglichen Arbeit, er dringt gemeinsam mit Soldaten, Milizionäre, Bewaffneten in Häuser ein, überquert im Sperrfeuer Strasse und Hinterhöfen - immer auf der Suche nach dem nächsten bildgewaltigen Schnappschuss für die heimische Zeitungsspalten. Und widerwillig muss er auch die Triumphgesten der Sieger dokumentieren, die in Fabrikshallen Massaker verübten. Ich habe selten eine präzisere, ungeschminktere und unsentimentalere Darstellung des Kriegsfotografenhandwerks gesehen.
Diese Erzählweise reisst jedoch ab, als der junge Fotograf mitten auf der Strasse entführt wird und in Geiselhaft genommen wird - dieser Handlungsstrang dominiert den Rest des Filmes. Eine exakte Zeitangabe wird während des Verlaufs nicht gegeben, die Haftdauer bleibt vage, ebenso wie Ort oder Uhrzeit. Der Zuschauer wohnt dem schonungslos in Szene gesetzten Verfall des Entführten bei. Zwischen Sinnesentzug, Willkür der Wachen, Scheinhinrichtungen, psychologischen Entmündigungen und Entmutigungen und mehrfacher gewaltsamer Verlegung versucht der Protagonist einfach nur nicht zu verzweifeln und durchzudrehen.
Manche Wachen scheinen menschlich, manche scheinen voller Hass auf den Europäer, leider erfährt der Zuschauer wenig bis nichts über die Motivation der Entführer. Ein kleiner Hinweis ist die geplante Freipressung eines festgesetzten Milizionärenführers, dieser Exkurs ist jedoch der einzige Hinweis, daher bleibt der Grund der Geiselnahme diffus und unbefriedigend. Abseits dieses Makels muss dem Film eine äußerst starke Sogwirkung zugesprochen werden, die sich in wirkungsstarken Bildern mit der psychologischen Ausnahmesituation des Entführten auseinandersetzt.
Sich diesen Bilder beschreibend zu nähern ist nutzlos, zu eigen die Bildsprache die Bagdadi anlegt, die Detailaufnahmen der unübersehbaren Veränderungen der Physiognomie wirken stark emphatisch, das Ausmergeln des Gesichts wird parallelisiert mit dem Verzweifeln der Person, es fällt schwer hier nicht schockiert (oder berührt) zu sein.
Ohne etwas verraten zu wollen, muss ich noch kurz auf die spätere Inszenierung der Freilassung eingehen, der Fotograf, sensibilisiert und routiniert in der Jagdkunst nach den medial wirksamen Bilder, für die agenturgerechte Fotografie, wird selbst zum Motiv - das Blitzlichtgewitter des Abschlussbildes wirkt nach. Ein mutig dokumentiertes (manchmal etwas zu einseitig inszeniertes) Martryrium eines Journalisten, der den Krieg nicht mehr als Kulisse, sondern als ungewollter Akteur erlebt.
Fazit: Ein starkes Stück politisches Kino, dass auch 20 Jahre nach der Premiere nicht an Brisanz verloren (eher im Gegenteil) hat, somit berechtigterweise in der Retrospektive zu finden. Leider nicht im regulären Verleih aufzutreiben, aber vielleicht findet sich ja jemand, der dies ändern möchte. ======================================================================Für die Interessierten, folgende Rezensionen der 34. Duisburger Filmwoche (Al-Halqa - im Kreis der Geschichtenerzähler, LUS oder Geschmack am Leben, Sterne, Nachtschichten & Geysir und Goliath) stammen aus meiner Feder: