Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch.

Von Lizbirk

Hmmmm. Intensives Grübeln. Vernehmliches Seufzen. Händeringen. So ungefähr geht es mir, während ich diesen Artikel schreibe. Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch ist nämlich ein ganz, ganz schwieriger Fall. Es verhält sich so, dass dieses Buch einer meiner typischen Bahnhofsbuchhandlungkäufe ist, die sich durch ein unvorhersehbares Ergebnis auszeichnen. Mir gefiel das Cover und mir gefiel der Titel. Kurzer Blick auf den Klappentext – ah ja, klingt skurril und witzig und wird vom Feuilleton gelobt, scheint aber unkomplizierte Lektüre zu sein. Sowas will man ja im Zug.
50 Seiten später war ich verwirrt und ungehalten. Das Äußere des Buches darf als irreführend kategorisiert werden. Ironie und feine Subtilität hatte es mir versprochen, geliefert wurde „ein Sketch, vorgeführt auf dem bunten Abend eines Landfrauenvereins,“ wie Stefan Mesch auf literaturkritik.de ätzt. Dabei scheint mir der Plot nicht übel: Nadia Majevski ist eine Universitätsdozentin Ende 40. Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Nadias greiser Vater Nikolai, ein ukrainischstämmiger Ingenieur, allein in seinem Häuschen. Zur älteren Schwester Vera hat Nadia wegen diverser Nickeligkeiten keinen Kontakt.
Bis, ja bis der eigenwillige Nikolai sich in die 50 Jahre jüngere ukrainische Dampframme Valentina verknallt und das blonde Busenwunder um jeden Preis ehelichen will, um ihr eine britische Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Im Angesicht des Feindes schließen Nadia und Vera einen brüchigen Frieden: die materialistische Zecke muss weg, unter allen Umständen.
Die Familiengeschichte der Majevskis wird in Rückblenden erzählt – das gefiel mir wirklich gut, weil sensibel und verständnisvoll erzählt. Marina Lewycka versucht nun aber, ihre Story als Slapstick UND als Gesellschaftskritik zu verpacken. In meinen Augen geht das volles Rohr schief. Ich habe eine Komödie erwartet – es wäre sogar in Ordnung gewesen, wenn sie sich als Vollblutdrama entpuppt, aber dies ist eine unentschlossene Mischung, die zwischen schwarzen Humor, Tragödie und Generationenroman pendelt. Diverse Rezensenten halten das für die eigentliche Leistung der Autorin, mich nervt diese halbgare Stilmélange.
Valentina, das ukrainische material girl, nervt mich am allermeisten. Es ist schon richtig, eine Figur widersprüchlich und facettenreich darzustellen, aber im Fall Valentina verwirrt mich der Versuch. Die Atmosphäre zwischen Nadia und Valentina wechselt scheinbar willkürlich zwischen Verachtung und Mitleid, Härte und Verständnis. Das Grau fehlt.
Disclaimer: es ist möglich, dass ich das Buch nicht verstanden habe. Es ist möglich, dass mir das feine Gespür für Nuancen fehlt und ich die gute Absicht der Autorin unterschätze. Es ist weiterhin möglich, dass ich die Ernsthaftigkeit des Buches als trockene Bravheit fehlinterpretiere. Meinetwegen.