Märchenhaft: “Snow White & the Huntsman”

Von Denis Sasse @filmtogo

© Universal Pictures / Chris Hemsworth als der Huntsman (links), Kristen Stewart als Snow White (mitte) und Regiedebütant Rupert Sanders (rechts)

Zuletzt schienen Töchter von Musikgrößen dafür prädestiniert zu sein, in die Rolle der Märchenprinzessin Schneewittchen zu schlüpfen um sich in der Welt der Gebrüder Grimm gegen eine böse Königin zu behaupten und die Bekanntschaft von den Sieben Zwergen zu machen. In den deutschen Slapstick-Komödien „7 Zwerge – Männer allein im Wald“ und der Fortsetzung „Der Wald ist nicht genug“ war Cosma Shiva Hagen, Tochter von Punk-Rockerin Nina Hagen als Mädchen mit Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haaren so schwarz wie Ebenholz zu sehen. Vor wenigen Monaten war es dann die Tochter des „Genesis“-Sängers und Solokünstlers Phil Collins, Lily Collins, die in „Spieglein, Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“ den eher humorvoll-bunten Kampf gegen die böse Schwiegermutter Julia Roberts aufnahm. Die nächste Schneewittchen-Darstellerin schlägt mit ihrem Vater einen etwas anderen Weg ein: Als Fernsehproduzent für den amerikanischen Sender Fox ist John Stewart aber sicherlich trotzdem stolz auf seine Tochter Kristen, die sich jetzt mal nicht mit Vampiren und Werwölfen herumschlagen muss, sondern es in „Snow White & the Huntsman“ mit der bitterbösen Charlize Theron zu tun bekommt.

Trotz wechselnder Hauptdarstellerinnen bleibt eines immer gleich: Schneewittchen, hier auch in der deutschen Version mit dem Namen Snow White unterwegs, ist die Einzige im ganzen Land, die schöner ist als die böse Königin. Die grausame Tyrannin will ihre Stieftochter nicht nur Tod sehen, sondern ihr Herz verzehren. Doch Snow White entkommt unerwartet aus ihrem Kerker im Schloss und bedroht unversehens die Herrschaft der Königin, weil sie die Kriegskunst von eben jenem Huntsman lernt, der von der bösen Königin losgeschickt wurde, um Snow White wieder einzufangen.

Charlize Theron als böse Hexenkönigin & Stiefmutter Ravenna

Auch wenn der Filmtitel zwei andere Figuren in den Mittelpunkt stellt, so ist doch Charlize Theron die Hauptattraktion in „Snow White & the Huntsman“ vom Regiedebütanten Rupert Sanders. Als hinterhältige und verzweifelte Hexenstiefmutter Ravenna spielt sie ihre Rolle zwischen verrückten Hasstiraden und exzentrischen Wutausbrüchen geradezu großartig. Dabei kommt es der Schauspielerin zu Gute, dass man bereits seit dem 2003er Film „Monster“ weiß, dass sie sich nicht davor scheut, sich auch furchtbar entstellten Personen anzunehmen. So wird Ravenna nicht nur als hübsche Regentin gezeigt, sondern auch immer wieder mit einer Vielzahl von Falten im Gesicht, einem Alterungsprozess der sie schnell und bösartig heimsucht. Unter diesem Fluch hat sie zu leiden, es ist die ihr auferlegte Bürde für eine makellose Existenz, dass sie frische, junge Mädchen aussaugen muss, um ihr Aussehen zu erhalten. Theron gibt Ravenna eine merkwürdig menschliche Seite. Die Königin hat ein liebevolles Verhältnis zu ihrem Bruder, kann ihn aber dennoch mit einer solchen Inbrunst anfauchen, dass man Therons Einverleibung dieser Rolle förmlich zu spüren bekommt. Ihr Beweggrund für die erbitterte Hatz auf die Stieftochter ist das Leben, das sie nun einmal gerne weiterführen möchte. Der Tod macht ihr Angst, lässt sie verzweifeln und fast schon wirkt sie sympathisch, vor lauter Mitleid, welches man ihr entgegen bringen möchte. Damit wird Ravenna nicht nur zu einer tragischen Figur gemacht, Theron toppt schauspielerisch auch noch ihr fieses Biest aus Jason Reitmans „Young Adult“, für deren Darstellung sie zwar hoch gelobt wurde, der Film aber leider größtenteils vom Publikum unbeachtet blieb. Dagegen liefert Kristen Stewart ein lediglich solides Spiel ab. Denn gerade im Kontrast zu Theron macht sich schnell ihre noch fehlende Erfahrung bemerkbar. Zwar hat sie in der Vergangenheit mit “Adventureland“, „Willkommen bei den Rileys“ und „The Runaways“ schon an ihrer Karriere nach dem „Twilight“-Franchise gearbeitet, es wird ihr aber sicherlich gut tun, sich bald gänzlich von der Figur der Bella Swan verabschieden zu dürfen um sich weiterzuentwickeln. Hier gibt sich Stewart nicht übel, zeigt aber auch keine neuen Facetten im Spiel mit Mimik und Gestik.

Chris Hemsworth als Huntsman

In der Mitte spielt dann Chris Hemsworth, derzeit noch als Donnergott Thor mit „The Avengers“ unterwegs, von dem sich seine Rolle hier gar nicht so sehr unterscheidet. Ein grober Trunkenbold, der sich schon bald als trauriger Witwer herausstellt. Er ist ein guter Kämpfer, dem es nicht an Stärke mangelt. Ein Thor ohne Donner, außer er lässt seine Axt auf seine Feinde niederfallen. Nun möge man spekulieren, dass eine Liebesgeschichte zwischen dem Huntsman und Snow White vorprogrammiert ist und der Film macht natürlich auch eine dezente Annäherung an eine solche Romanze, lässt sogar eine Ménage à trois mit Snow Whites Jugendfreund William (Sam Claflin aus „Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten“) entstehen, distanziert sich allerdings davon, dieses Liebesdreieck zu sehr in den Fokus zu nehmen. Vielmehr soll hier ein Fantasy-Epos geschaffen werden, bei dem nicht etwa eine Hochzeit das Happy End darstellt, sondern ein freundliches Zunicken. Die Fantastik der Geschichte erscheint zuerst wie eine bloße Halluzination: Nur Ravenna sieht ihren Spiegel lebendig werden und zu ihr sprechen, Snow White erliegt im finsteren Wald giftigen Dämpfen, die das Dickicht zu einer alptraumhaften Landschaft werden lassen. Aber schon bald müssen diese Wahnvorstellungen der Realität weichen, Snow White und der Huntsman bekommen es mit einem Troll zu tun, der wie es die Märchen vorschreiben, eine kleine Steinbrücke bewacht. Die letzten acht Zwerge eines ermordeten Volkes begleiten die Auserwählte derweil in einen magischen Garten, in dem sie von einem heiligen Hirsch geweiht wird. So bedrückend der dunkle, modrige Wald zuvor gestaltet war, so verträumt bunt, mit vielen wohlgesinnten Tieren und Feen gestaltet sich diese Fantasielandschaft.

Und hier liegt noch eine weitere Stärke von „Snow White & the Huntsman“. Es scheint keine Sekunde zu vergehen, ohne dass man sich in den Bildkompositionen verlieren könnte. Jede Einstellung ist ein grandioses Zusammenspiel von Farben, Objekten, Atmosphäre, Musik und Platzierung der Figuren. Jeder Moment erscheint wie ein Gemälde, wo Wälder, Schlösser, Dörfer sowie kleine Kammern und Verliese zu beeindruckenden Szenebildern gemacht wurden. Da fließt der Spiegel aus seiner Rahmung heraus, auf die Königin zu um sich vor ihr als menschliche Kapuzengestalt zu manifestieren oder aber Ravenna entsteigt einer Schaar von zu Boden gestürzten Krähen, wie aus einer Teer-artigen Masse, kriecht den Boden entlang und lässt einen bösartigen Groll über eine verpatzte Chance ertönen. Für solche Szenen ist Production Designer Dominic Watkins verantwortlich, der gemeinsam mit Kameramann Greig Fraser und Komponist James Newton Howard eine märchenhafte Horroratmosphäre erzeugt hat.

„Snow White & the Huntsman“ ist Fantasy, wie sie am Rande der „Herr der Ringe“-Perfektion sein sollte. Nicht bildgewaltig, aber atemberaubend. Nicht zu actionlastig, dennoch niemals zäh. Eine Charlize Theron in Höchstform, ein gut erzähltes Märchen, das an seinen wichtigsten Motiven festhält und eine atmosphärische Stimmung, die den Zuschauer für zwei Stunden in diese fremde Welt entführt. Nach Disneys Zeichentrick-Klassiker von 1937 – beste Unterhaltung für die lieben Kleinen – reiht sich Sanders‘ Werk qualitativ dicht hinter der Disney-Version ein und zeigt Schneewittchen für ein reiferes Publikum.

Denis Sasse


‘Snow White & the Huntsman‘