Bereits in früheren Arbeiten hat Marc Dittrich Hochhausmotive verwendet etwa in „Happiness is a warm bum“. Mit dem Beamer wurden diese Bilder von Fassaden stark vergrößert. Diese Projektion wurde dann Stück für Stück mit der Polaroidkamera abfotografiert und die Einzelfotos anschließend wieder zusammengesetzt. Im Ergebnis entstand auf diese Weise ein Bild vom Bild vom Bild.
Auch auf andere Weise hat sich Marc Dittrich dem Thema Architektur genähert. Aufkleber mit Fassadenteilen von Hochhäusern wurden beispielsweise auf Möbel im öffentlichen Raum aufgebracht, so dass dieser in irreale Szenen “verwandelt” werden konnte. Verbindendes Element in den Arbeiten Marc Dittrichs ist die Neuinterpretation vordergründig banaler Architekturmotive, die – auf künstlerische Weise verarbeitet und gemischt – zu einer neuen Sichtweise des Gewohnten und Alltäglichen führen.
Ich freue mich, das von Simone Kraft geführte Interview mit Marc Dittrich hier wiedergeben zu dürfen:
Interview
Deine neueste Serie – die „Flechthäuser“ – sind eine sehr ungewöhnliche Art, Fotografie zu verarbeiten. Die entstehenden Gebäude-Modelle verblüffen und überraschen. Wie machst du sie?
Die Fotos der anonymen Hochhausfassaden werden gedruckt und dann von Hand in 5mm breite Streifen geschnitten, einmal längs, einmal quer. Danach werden sie miteinander verwoben. Je nachdem, wo ich mit dem Weben beginne und in welche Richtung ich webe, kann ich beeinflussen, wo das „Bild” scharf bleibt und wo sich durch den Versatz das Raster im Bild ergibt, beziehungsweise wo es stärker wird. Durch die Materialstärke des Papiers ergibt sich auf 10cm Weben etwa 1cm Versatz. Das Motiv verändert sich.
Dabei kommen sowohl Reliefs, halbplastische Wandarbeiten, zustande als auch raumfüllende vollplastische Objekte. Die reliefartigen Wandarbeiten sind von 30x40cm bis 100x80cm groß, die freistehenden Arbeiten sind ca. 150 hoch und werden von einem Holzgerüst gestützt.
Welche Hochhäuser wählst du als Motive aus?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe mir über die Jahre eine Sammlung von Hochhausfassaden zugelegt. Aus diesem Fundus schöpfe ich immer wieder. Manche Fassaden tauchen daher auch öfter auf, so zum Beispiel das Hochhaus am Europaplatz in Stuttgart Fasanenhof. Das gibt’s sowohl in mehreren Polaroidvarianten als auch als Flechthaus. Manche Motive sind Fundstücke aus dem Internet.
Wie bist du auf die Idee zu den „Flechthäusern“ gekommen?
Die ersten Versuche für diese Art der Arbeit mit Fotografie gab es schon 2008, mit einer (nie endgültig realisierten) Installation, der „Minimal City Moto Karaoke Show“, so der Arbeitstitel, für die ich aus blauen, weißen und roten Geschenkbändern minimalisierte Hochhäuser geflochten habe, um ein Miniatur-Stadtmodell von Marseille herzustellen. Diese Stadtmodell steht auf einem großen Holzgerüst, welches über eine Mechanik von einem Moped in Schwingung versetzt werden kann. Je mehr Gas man gibt, desto schneller zittert die Stadt. Geplant war, auf einem Karaokemonitor die Marseillaise abzuspielen, so dass man sie mittels Mopedmotorgeräusch nachspielen kann und somit die Stadt im Rhythmus der Hymne zittert. Dieses Konzept wurde bisher jedoch noch nicht endgültig realisiert.
Auseinandersetzung mit Architektur spielt in den meisten deiner Arbeiten eine Rolle, etwa auch in „Happiness is a warm bum“, aus der dann unmittelbar die „Flechthäuser“ entstanden sind …
Das sind zwei getrennte Serien, deren Grundgedanke jedoch derselbe ist. Mich fasziniert der Gedanke, das monotone architektonische Raster der Fassaden zu brechen. Bei den Polaroids geschieht dies, indem ich die Rasterung der verwendeten Medien, den medialen Fingerabdruck, sichtbar mache.
Allen Arbeiten liegt eine Digitalfotografie der gesamten Fassade zu Grunde. Diese wird dann mit dem Beamer projiziert, wodurch die einzelnen Pixel des Fotos sichtbar werden. Diese Projektion fotografiere ich Stück für Stück mit der Polaroidkamera ab und setze danach die Fassade aus den einzelnen Polaroids zusammen. So entstehen auch die Fehlfarben und der eigentümliche Hell/Dunkel-Verlauf innerhalb der Polaroids. Außerdem vermischen sich architektonisches Raster, Pixelraster und Polaroidraster miteinander.
Bei den Flechthäusern wird diese Idee weiterentwickelt – hier vermischt sich das architektonische Raster mit dem Druckraster des Laserprints und dem Raster, das sich aus dem Versatz beim Flechten ergibt.
Was hat es mit dem eher ungewöhnlichen Titel auf sich? Klingen da die Beatles an?
Der Titel ist natürlich an diesen Beatles-Song – „Happiness is a warm gun“ – angelehnt. „Bum“ bedeutet umgangssprachlich auch Hintern. Weshalb der Titel „Happiness is a warm bum“ dann ganz frei etwa mit „Hauptsache einen warmen Hintern“ übersetzt werden kann.
Spielt Ironie auch bei anderen Arbeiten eine Rolle?
Ja, das kann man, glaube ich, schon sagen. Ich habe auf jeden Fall einen Hang zu absurden Situationen. Das wird bei den Beklebaktionen und ganz besonders bei den mit Plattanbauelementen beklebten Toiletten, wie z.B. im Württembergischen Kunstverein oder bei der ARTRMX in Köln, deutlich. Ich glaube, dass man, gerade bei ernsten Themen, mit Ironie oder einer humorvollen Herangehensweise oft mehr erreichen kann als mit großem Pathos.
Ein Schwerpunkt deiner Arbeit liegt auf der Beschäftigung mit Architektur. Warum? Was interessiert dich daran?
Da gibt es eine Begebenheit aus meinem Alltag, die man als Auslöser bezeichnen könnte: Ich war 2003 für ein Semester zum Studieren in Budapest. Dort angekommen hatte ich nur für eine Nacht eine Unterkunft im Studentenwohnheim und musste sofort nach einer WG suchen, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Auf der Suche nach dem einzigen freien Zimmer das ich auftreiben konnte, landete ich mitten auf einem ziemlich chaotischen und umtriebigen Zigeunermarkt mitten in einer riesigen, völlig heruntergekommenen Plattenbausiedlung am Rande von Budapest. Dieser Eindruck hat sich mir ziemlich eingeprägt, weil ich mich eigentlich schon innerlich darauf eingestellt hatte, das nächste halbe Jahr dort zu verbringen. Meine spätere Mitbewohnerin hatte mir aber die falsche Hausnummer gegeben, die Wohnung war dann ein paar hundert Hausnummern weiter in Richtung Innenstadt. Grundsätzlich hatte ich mir schon vorgenommen in Budapest mit einer völlig neuen Arbeit zu beginnen, nichts Altes mitzunehmen und mit der Stadt zu arbeiten. Das Ergebnis sind die Beklebaktionen der „Häuser”-Serie. Ich habe von Beginn an immer tagsüber und nicht heimlich geklebt, um über die Arbeit auch mit Leuten in Kontakt zu kommen. Die ersten Fotos waren eigentlich nur zu Dokumentationszwecken gedacht. Inszeniert hab ich erst später.
Seither fasziniert mich die Tatsache, dass, obwohl ja eigentlich nirgends so viele Individuen auf so engem Raum zu finden sind wie in Plattensiedlungen, die Anonymität kaum größer sein könnte. Dieses Phänomen verdeutlicht sich besonders an der Fassade, der Schnittstelle von Privat und Öffentlich. Obwohl sie eigentlich viele Einblicke gewährt, sieht man nichts, das Auge ist überfordert, man kann keine Details fixieren. Für mich ging es in den Beklebaktionen darum, die Gebäude zu individualisieren. Ich behalte das Fassadenmuster und stülpe es über gefundene, individuelle Formen – „Urban Camouflage“ sozusagen, wie Marko Schacher das einmal bezeichnet hat. Beides vermischt sich zu etwas Neuem.
Bei den Polaroids und den Flechtarbeiten geht es eher darum, individuelle, also unterscheidbare Ausschnitte zu schaffen, so dass die Fassade lesbar wird. Besonders gut gefällt mir dabei, dass ich das dadurch erreiche, indem ich den eigentlichen Fassadenrhythmus breche und mit anderen Rastern vermische. Daran zeigt sich auch, welche Chancen in der Kunst stecken!
Wie hast du zur Kunst gefunden? Welche Möglichkeiten bietet sie dir?
Keine Ahnung, das war eigentlich recht selbstverständlich für mich. Ich glaube, der Wunsch kam gleich nach Polizist und Lokführer. Mein Opa war Maler und ich hab das als Kind schon als relativ selbstverständlich mitbekommen. Welche Möglichkeiten – das lässt sich schwer beantworten, wenn man mitten drin steckt, weil die Frage so grundsätzlich ist.
An der Fotografie interessiert mich weniger die Perfektion, sondern die Möglichkeit, zu experimentieren. Es fasziniert mich zu sehen, wenn ich ganz banale alltägliche Sichtweisen miteinander mische und dabei etwas Neues entsteht. Die Chance, die darin liegt, ist, durch die veränderte Sichtweise auf den Alltag, quasi aus der Distanz, etwas Neues zu erfahren – über unseren Alltag, über Architektur, über sich selbst. Auch die Frage, wie wir im Alltag mit Bildern umgehen, finde ich spannend – Stichwort Authentizität.
Stichwort Authentizität von Bildern, ein weiterer zentraler Gedanke von dir: Welche Ziele verfolgst du mit deinen Arbeiten?
Ich experimentiere gerne. Ich glaube, mein größtes Ziel ist, mich mit dem Ergebnis selbst zu überraschen. Natürlich experimentiere ich nicht ins Blaue hinein. Das Trompe l’Oeil der „Häuser”- Serie und das Mischen von Medien in den aktuellen Arbeiten sind Möglichkeiten, die Bilder zu hinterfragen. Dabei spielen eigentlich antiquierte Medien, wie Polaroid oder Super 8 eine wichtige Rolle, da sie, nachdem sie eigentlich aus dem allgemeinen Mediengebrauch verschwunden sind, besonders aussagekräftig werden. Nichts ist authentischer als ein Sofortbild, oder? Trotzdem sieht jeder, dass mit meinen Polaroids etwas nicht stimmt. Die können überhaupt nicht echt sein. Ich hoffe, so den Bildgebrauch und den Wahrheitsgehalt von Abbildungen hinterfragen zu können.
Bei den Super 8-Filmen hingegen zerstöre ich die Illusion des Films, indem ich die Figuren herauskratze. Gleichzeitig beginnen die Kratzer aber zu leben und mit der Umgebung im Film zu interagieren. Sie spielen mit.
Wie findest du deine Themen?
Ich glaube eher, die Themen finden mich. So war es zumindest bei den Themen, wie der Architektur, bei denen ich länger geblieben bin. Oft ergeben sich Themen aus dem Arbeiten heraus. Die vermischen sich dann mit Dingen die mich im Alltag beschäftigen.
Welche Themen beschäftigen dich noch?
Mich interessiert das Verhältnis des Einzelnen zur seiner Umgebung, zur Öffentlichkeit, zur Gesellschaft. Das steckt sowohl in den „Architekturarbeiten“, die sich über die Fassade mit der Schnittstelle von Privat und Öffentlich beschäftigen, als auch in den Ikonen, bei denen eine beliebige Auswahl von Personen, die in Zeitungen abgebildet waren, zu Heiligen umgearbeitet wurden, oder auch der Videoinstallation „Himmel und Hölle“, bei der ich versucht habe, das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmtheit und gesellschaftlichen Normen auszuloten.
Im Augenblick arbeite ich an einer Porträtserie mit Profilfotos meiner Facebook-Freunde.
Wo liegen Vorbilder für deine Arbeit, welche Einflüsse gibt es?
Ich glaube mir gefällt der Begriff Vorbild in diesem Zusammenhang nicht, ich eifere ja niemandem nach, im Gegenteil.
Ich kann mich ich auch mit Gruppierungen, wie zum Beispiel Streetart-Künstler – ich bin ja wegen der Beklebeaktionen immer wieder in Streetart-Ausstellungen gelandet – nicht wirklich identifizieren, auch wenn ich viele dieser Arbeiten wirklich toll finde. Die Heimlich-&-Verboten-Attitüde war mir eigentlich von Beginn an fremd, auch wenn es bei den Beklebaktionen natürlich Schnittmengen gibt. Ich nenne mich auch nicht Fotograf oder Fotokünstler, obwohl ich viel mit Fotografie arbeite. Wie auch immer, zuordnen dürfen mich andere.
Wiedergabe des Interviews mit freundlicher Genehmigung von Simone Kraft und Marc Dittrich.
- deconach – ARTitecture | Art and Architecture
- Website des Künstlers Marc Dittrich