Männerideen und Frauenwirklichkeiten

„Die Braut oder Moderne Frauen“, im Sommer beim Salon5 im Thalhof uraufgeführt, erlebte nun seine Wien-Premiere.

Die Bühne des barocken Schlosstheaters von Schönbrunn ist in dämmriges Licht getaucht. In der Mitte stehen vier Sessel und vier Notenständer. Ein übliches Setting für ein Quartett. Das Publikum sitzt aber nicht in den Reihen im Zuschauerraum, sondern direkt auf der Bühne, rund um ein leicht erhöhtes Podium.

Schnitzler als Vordenker der Emanzipation

Ein junger Mann tritt in einem zarten, beigen, zum Teil durchsichtigen Tüllkleid auf. Die Lippen und Augen leicht geschminkt, wirkt er androgyn und zeigt doch zugleich seinen männlichen, behaarten Körper. „Auf einem Maskenball lernte ich sie kennen, nach Mitternacht. Ihre klugen und ruhigen Augen hatten mir gefallen und das dunkelblaue Kleid, das sie trug.“ Er beginnt mit den ersten Sätzen des Textes „Die Braut“ von Arthur Schnitzler. Einem kleinen Werk, das dieser als Vorstudie zu seiner Traumnovelle verfasste, das aber wenig bekannt ist. Darin erzählt er eine flüchtige Bekanntschaft mit einer jungen Frau, die sich am Beginn des 20. Jahrhunderts die Freiheit nimmt, so zu leben, wie sie möchte. Ohne eheliche Pflichten, mit Hinwendung zu jenen Männern, die sie sich aussucht und nicht umgekehrt. Aber auch im vollen Wissen, damit von der Gesellschaft geächtet zu werden. Der Lebensentwurf von Schnitzlers Protagonistin ist sogar für heutige Verhältnisse noch für viele Frauen und Männer undenkbar. Gerade deshalb könnte man sie als feministische Vorreiterin par excellence bezeichnen. Der Schauspieler Silas Breiding legt seinen Erzähler sehr einfühlsam an, bewundernd und mit Respekt dieser Frau gegenüber ausgestattet. Schnitzlers Text erscheint – denkt man an die Zeit der Entstehung – wie ein futuristischer Wunschtraum.

Die Braut oder Moderne Frauen, Silas Breiding (c) Christian MairDie Braut oder Moderne Frauen, Silas Breiding (c) Christian Mair

Der Monolog, mit dem Breiding den Auftakt zum Abend bestreitet, aber auch der spätere Text, werden zum Teil vom Thalhof-Quartett begleitet. Es besteht aus jungen Studierenden der MDW, die den Abend unter der Regie von Jens Bluhm musikalisch unterstützen. Das Quartett hatte sich unter der Federführung des Leiters des Haydn Instituts für Kammermusik und Spezialensembles am MDW, Johannes Meissl, anlässlich dieser Produktion im Sommer formiert und wird, höchst erfreulich, auch in Zukunft unter diesem Namen weiter auftreten.

Jelineks reaktionäre Frauenbeschreibung

„Krankheit oder Moderne Frauen“ nennt sich ein Text von Elfriede Jelinek aus dem Jahr 1987. Mit ihm wurde ein Kontrapunkt zur Eingangsszene gesetzt, in welcher Schnitzler seiner jungen Frau ein selbstbestimmtes Leben zuerkennt. Jelinek beschreibt in ihrem Stück, das sie stilistisch als Textfläche angelegt hat, zwei höchst gegensätzliche Paare. Emily, Krankenschwester und Schriftstellern ist mit Heidkliff, einem Zahnarzt liiert. Carmilla (Laura Laufenberg) hingegen ist die gefügige Ehefrau von Benno (Christoph Kohlbacher). Laufenberg und Kohlbacher sind im 2. Jahrgang ihrer Schauspielausbildung. Die vampiristischen Anlagen von Emily tauchen in der Regie von Jens Bluhm nicht auf. Vielmehr konzentrierte er sich bei dem Text auf die kaum erträglichen Stereotype der in den 80er Jahren noch üblichen Frauen- und Männer-Geschlechterbilder. Der Mann ist der Besitzende, der alles Bestimmende, der die Frau Formende. Diese verbleibt in Jelineks Text in der Rolle als Sexualobjekt, Gebärmaschine oder Haushaltshilfe, sich anbiedernd bis zum bitteren Ende. Die Gegenüberstellung von Gut und Böse ist dabei eindeutig verteilt. „Ich bin ein Maß, ich bin ein Muss“, erklärt Heidkliff an einer Stelle, während Carmilla sich selbst als „nichts Halbes und nichts Ganzes“ beschreibt, als ein Wesen „von liebenswürdiger Geringfügigkeit“.

Eine Textkombination als Ausgangsbasis

Bluhm hat bereits, wie auch Silas Breiding und Saskia Klar, die in der Rolle von Emily auftritt, das Max Reinhardt Seminar erfolgreich abgeschlossen. Der junge Regisseur arbeitet seit einigen Jahren an den Münchner Kammerspielen als Regieassistent und ließ sich auf den Vorschlag der Textkombination Schnitzler und Jelinek von Anna Maria Krassnigg ein, nicht ohne selbst eigene Textstriche durchzuführen. Zugleich nimmt er auch Krassniggs Idee auf, „verwundete Orte“, wie auch der Thalhof lange Zeit einer war, mit in die Konzeption der Inszenierung einzubauen. Das Schönbrunner Schlosstheater ist kein verwundeter Ort, aber allemal ein verwunschener, ein in der Zeit stehen gebliebener. Insofern schmiegt auch er sich wunderbar an diese Idee an.

Die Braut oder Moderne Frauen (c) Petra GruberDie Braut oder Moderne Frauen (c) Petra Gruber

Die Bühne und die Kostüme (Lena Müller) verbleiben im abstrakten Schwarz-Weiß-Modus, der Boden ist spiegelnd glatt. Nichts, was irgendwie heimelig erscheint. Die Menschen sind bei Jelinek in ihrem Sein gefangen und sich gegenseitig ausgeliefert. Sie stehen in ihrer kalten Gefühlswelt in starkem Kontrast zu Schnitzlers Figuren, die sich trotz all ihrer Unterschiedlichkeit dennoch schätzen.

Was ist antiquiert und was zukunftsweisend?

Die Position des Publikums erlaubt es, den historischen Raum des Theaters, zumindest aus den Augenwinkeln, wahrzunehmen. Das unweigerliche Switchen in der Wahrnehmung zwischen moderner Bühneninszenierung und barocker Ausstattung bedeutet eine sehr kluge Verschränkung mit den Texten, die das junge Ensemble anbietet. Wobei sich die historische Zeitabfolge der emanzipatorischen Ideen dabei völlig ad absurdum führt. Gestrige Ansichten sind Zukunftsmusik und Neueres gehört zum alten Eisen. Dabei drängt sich fast automatisch die Idee der Geschlechterkonstruktion auf. Dieses für gewöhnlich mühsam diskutiertes Feld schleicht sich in dieser Inszenierung auf leisen Sohlen in die Gehirnwindungen der Zusehenden.

Schnitzler Zeitgenossen und Ivana Stefanovic steuern die Musik bei

Die Auswahl der Streichquartette von Zeitgenossen von Schnitzler, Anton Webern und Alexander von Zemlinsky, die das Geschehen subtilst begleiten, ist höchst intelligent. Sowohl Webern, ein Komponist der Zweiten Wiener Schule, als auch Zemlinsky, über den sich die Wissenschaft zum Teil streitet – wird er doch sowohl den atonalen als auch den tonalen Komponisten zugeordnet – verwendeten Kompositionsprinzipien, die zu ihrer Zeit zukunftsweisend waren. Musikalische Utopien, die sich zum Teil überlebten, zum Teil jedoch in den Kanon der klassischen Musiktradierung aufgenommen wurden. Schön, dass sich mit Ivana Stefanovic auch eine Komponistin unserer Zeit dazugesellen kann. Stefanovic, die nach ihren Studien in Belgrad und Paris für das Belgrader Radio und Fernsehen gearbeitet hat, Direktorin eines Musikfestivals war, den Posten der Kulturstaatssekretärin innehatte und an einem Zentrum für „Women`s studies“ unterrichtet, ist ein wunderbares Beispiel einer emanzipierten Frau, die in einem Männerberuf reüssierte und im übertragenen Schnitz´lerschen Sinne ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen lebt.

Musikalisch wird mit den dargebotenen Werken eine große Bandbreite zwischen höchst dramatischen Sätzen und solchen, die mit sehr feinen Zwischentönen auskommen, aufgezeigt. Das Leben der Frauen und Männer, die an diesem Abend zu Wort kommen, ist genauso spannungsgeladen, wie die Musik, die gespielt wird. Unterdrückung und Konformität, aber auch die Möglichkeit, sich einem bestehenden Machtsystem zu entziehen, kann aus einzelnen musikalischen Strukturen herausgelesen und gehört werden. Die Schönheit eines Individuums und die Kraft einer Gruppe, könnten mit den musikalischen Einschüben assoziiert werden. Genauso wie für Jelineks an einigen Stellen ins Absurde ausufernden Text gibt es auch hier mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten.

Musiktheater mit Texten

Die Braut oder moderne Frauen, Saskia Klar (c) Christian MairDie Braut oder moderne Frauen (c) Christian Mair

„Musiktheater mit Texten“ nannte der Salon5 diese Inszenierung, die in Zusammenarbeit mit isa – der internationalen Sommerakademie der MDW zustande kam. Den jungen Protagonistinnen und Protagonisten bot sie zugleich die Möglichkeit, über den Tellerrand der eigenen Profession hinwegzublicken.

„Zuzusehen, wie akribisch Musizierende arbeiten und umgekehrt mitzubekommen, wie frei sich die Schauspielerinnen und Schauspieler ihren Rollen näherten, bedeutete für beide Gruppen eine unglaubliche Bereicherung.“ Anna Maria Krassnigg, die mit ihrem Salon5 den isa – Projekten Jahr für Jahr eine Plattform bietet, kann man getrost als Mentorin vieler junger Theaterschaffender bezeichnen. Ohne ihren Enthusiasmus und ihre Bereitschaft, kompromisslose Qualität auf Bühnen zu bringen, hätte eine Inszenierung wie diese wohl kaum das Licht der Bühne erblickt.

„Die Braut oder Moderne Frauen“, dieser theatralische Hermaphrodit, in dem Musik und Schauspiel gleichermaßen zu ihrem Recht kommen, ist das, was man gemeinhin als „harten Tobak“ charakterisiert. Sperrig, und alleine mit Intuition nicht zu erfassen. Zugleich aber auch ein Theaterabend, der aufzeigt, dass es mit Mut zu Unbekanntem möglich ist, Horizonte zu erweitern und Denkanstöße zu geben, die ohne diesen Abend so nicht zustande gekommen wären. Wer gut und wer böse ist, wo die Grenze zwischen Selbstbestimmung und Unterwerfung liegt, bleibt offen, die Deutungshoheit somit beim Publikum. Und auch, dass Theater streckenweise absurd sein darf, in Zeiten wie den unsrigen vielleicht sogar sein muss, kann als Erkenntnis mit auf den Nachhauseweg genommen werden.

Im Thalhof-Quartett spielen: Soo-Hyun Park / Violine, Nadia Kalmykova /Violine, Joachim Kelber / Viola sowie Mislav Brajkovic / Violoncello.


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