Manjushri – Gestalt der Buddha-Weisheit

Von Rangdroldorje

„Um die Dunkelheit der geistigen Verwirrung zu beseitigen ist die einfache Herzenspraxis der geheimen Versammlung des Manjushri, die frei von Fehlern ist, selbst für die vom Glück begünstigte Person ratsam." Daher haben die Siddhas der jüngeren und auch früheren Dharma-Geschichte immer wieder die Praxis von Manjushri ausgeführt.
Manjushri ist der Bodhisattva, der mit der besonderen Einsicht (skt., prajna; tib. shes rab) ausgestattet ist. Während er auf der Ebene der Sutrayana-Praxis lediglich angerufen und sein Weisheitssegen eingeladen wird, indem man beispielsweise das Manjushri Nama Samgiti rezitiert, wird er im Vajrayana als Meditationsgottheit gesehen.

Weisheitsmanifestation

Für gewöhnlich erscheint Manjushri als Gelber Manjushri, die rechts ein Weisheitsschwert und links einen Schriftenband der Prajnaparamita in 8.000 Versen hält. Doch es gibt auch andere Manifestationen, wie z.B. den Weißen Manjushri, der für Jamgon Kongtrul den Großen von besonderer Bedeutung war oder den Roten Manjushri Vadisimha (Jampal Mrawa'i Senge). Durch die Praxis des Weißen Manjushri im Rahmen eines Retreats erlangte Jamgon Kongtrul einen ungeheuren Weisheitssegen, der es ihm ermöglichte, sein umfangreiches Werk der fünf großen Schätze zusammenzustellen. Mipham Rinpoche wurde als eine Emanation von Manjushri angesehen und verfügte auch über eine große Kraft der besonderen Einsicht. Sakya Pandita und auch Tsongkhapa sind Emanationen von Manjushri. Der Rote Manjushri Vadisimha ist eine Form aus den Schatztexten von Dudjom Lingpa, ebenso wie der Schwarze Manjushri.
Im Kathmandu-Tal in Nepal wird Manjushri verehrt, da er nach der Legende im Swayambhu Purana mit seinem Weisheitsschwert eine Kluft in die Berge schlug, sodass das dort aufgestaute Wasser abfließen konnte und an dem Platz, wo er zuvor einen Lotus im See erblickt hatte, der Swayambhunath Stupa gebaut wurde.

Mantra-Kraft

Doch die Praxis des Manjushri war bereits in der Frühzeit des Buddhismus, besonders in der nördlichen Überlieferungstradition, weit verbreitet. Bereits in der Ghandari-Sprache in der Kashmir-Region, wo die Sanskrit-Sutras aufgezeichnet wurden, findet sich die Verwendung eines seiner Mantras. Sein ARAPATSANA-Mantra wird in der Mahayana-Literatur als zentral angesehen.
A ist ein Tor zur Einsicht, dass alle Phänomene seit allem Anfang an nicht erschaffen sind.
RA ist ein Tor zur Einsicht, dass alle Phänomene ohne Befleckung sind.
PA ist ein Tor zur Einsicht, dass alle Phänomene in ihrer letztendlichen Bedeutung erklärt werden.
TSA ist ein Tor zur Einsicht, dass Abnahme oder Wiedergeburt irgendeines Phänomens nicht wahrgenommen werden können, weil alle Phänomene nicht abnehmen oder wiedergeboren werden.
NA ist ein Tor zur Einsicht, dass die Namen aller Dharmas ausgelöscht sind und die essentielle Natur hinter den Namen nicht erlangt werden oder verloren gehen kann.

Wunschgebet an Manjushri

Manjushri ist der Herr der Rede und die Praxis der Wunschgebete an ihn bzw. die Rezitation seines Mantras fördern nicht nur die höchste Einsicht, sondern vermehren auch die Qualität der Rede und Klugheit. Hier ein Wunschgebet, verfasst von Dudjom Lingpa.[1]

SWASTI - Antlitz der Versammlung der Siegreichen und ihrer spirituellen Kinder ohne Ausnahme, geschickt im zweifachen Wissen einer Vielfalt großer Schätze,
Beschützer Manjushri, Euch rufe ich an! Ermüdet vom Eingeschlossen sein in der Eierschale von Nichtgewahrsein und gewohnheitsmäßiger Tendenzen
OM A RA PA TSA NA DHI // Jampal Nagpo Gotrab - Schwarzer Manjushri wandle ich entlang auf der Straße von Greifen und Ergriffenem, edles Wesen! Allwissender vom Zustand der großen Weisheit gesegnet,
Während des diesjährigen Ngakpa-Retreats gibt es eine Einweihung des Roten Manjushri und ggf. auch eine Leseübertragung des Schwarzen Manjushri. >Details zum Retreat Dharmakaya der unwandelbaren Leerheit-Weisheit, Sambhogakaya der ungehinderten klar-lichten Weisheit,
Nirmanakaya der alles durchdringenden, grenzenlosen Weisheit, beständig in der essentiellen Natur der Weisheit der Soheit verweilend,
großes Wesen der vier Kayas, Beschützer Manjushri, zu Euch bete ich, bitte blickt mit Eurer allwissenden Barmherzigkeit und Kraft auf mich!
Die Phänomene erscheinen in Samsara als unabhängig und fest. Andere Objekte und ich werden als von meinem Geistesstrom getrennt missverstanden.
Durch die Winde in das Rad der Wandelwelt geworfen, zum Daka, der von diesen trügerischen Erscheinungen frei ist, bete ich.
Wenn wieder einmal Unwissenheit Platz ergreift, erweckt mich bitte mit Eurem Mitgefühl aus diesem dichten Schlaf, Lama, erweckt mich!
Vor diesem Leiden, oh Beschützer, beschützt mich bitte! Möge ich die große, spontane Präsenz der drei Kayas in ihrer Tiefe realisieren und
möge ich unzerstörbares Vertrauen in die Reinheit und Gleichheit der drei Tore und die 13. Stufe des Vajra-Halters erlangt werden.

ཨོཾ་ཨ་ར་པ་ཙ་ན་དྷཱི༔

Im Schatzzyklus von Dudjom Lingpa wird über den Segen des Schwarzen Manjushri folgendes gesagt: „Im letzten 500-jährigen Zeitabschnitt, wenn Krankheiten, Plagen und Epidemien Macht über das Leben gewinnen und das Leben der fühlenden Wesen von unzähligen Gefahren bedroht ist, dann wird die Meditation und Rezitation den Sieg über die Krankheiten unterstützen. [...] Durch die Rezitation des Mantra des Schwarzen Manjushri wird sogar das Unglück der Götter und Dämonen abgewehrt, man wird keinen Schaden erleiden und auch fortdauernde Epidemien und Plagen werden erstickt. [...] Mit dem festen Meteoriteisen-Vajra kämpfend, wurde dies von Padmasambhava am Wutaishan in China aus dem Geist von Manjushri entnommen. Um im Lande der Rakshas in Lankapuri die blutrünstigen Raksha-Dämonen mit Pracht zu unterwerfen, erschien er in Form des Raksha Thöthreng. Die quintessenzielle Lebenskraftessenz erlangt man, wenn man über dem eigenen Scheitel Padmasambhava visualisiert."
Weiters gibt es noch die Praxis der Vajra-Rüstung des Manjushri - Dorje Gotrab Jampal Nagpo - in diesem Zyklus. „So werden durch diese Praxis die 404 Wurzeln der Krankheiten zerschmettert. [...] Für alle Krankheiten ist dies ein einziges Heilmittel. Die Dualität von zyklischer Existenz und ihrer Transzendenz wird zu einer einzigen Lebensessenz. Geheime Mantras, Vidyadhara-Mantras und Dharanis sind zu einer einzigen Essenz verbunden, wenn man diese Quintessenz ausübt. Ferner als am Leichenplatz Silwatsal - dem kühlen Hain - der Phadampa Sangye gewaltig großen Nutzen für die fühlenden Wesen anstrebte und im Samadhi des tiefgründigen Mantra versunken war, sprach die Lokadakini: „Dies ist Euer Lebensessenz-Mantra. Wenn Ihr es an die Spitze der Meditation stellt, werdet Ihr dann den Verstand mit dem erleuchteten Geist völlig zu eins vermischen."
Und weiters: „Dieses Mantra wird als ein Mittel gegen die 404 Wurzeln aller Krankheiten rezitiert. Man rezitiert es in einem einzigen Zustand des Schweigens als Gewahrseins-Mantra. Am Ende der Rezitation opfert man den Ortsgottheiten und den Acht Klassen der Götter und Dämonen den Körper als Gabe der Großzügigkeit. Der Nutzen für andere und die Anstrengung beseitigt alle Krankheiten der fühlenden Wesen. Dieses Mantra ist gleich dem Feuer am Ende eines Zeitalters. Alle Krankheiten werden an der Wurzel wie eine Ameise von einem Spiegel verbrannt. [...]"
Dudjom Lingpa sagt über sein Terma: „Der Schatulle des erleuchteten Geistes anvertraut, wurde mir das vom Seegeborenen Vajra (Padmasambhava) enthüllt und hat sich in einem wiederholten Vorgang der lichten Klarheit manifestiert. Diese reine Essenz des Herzblutes, diese Essenz der drei Arten von Mantras, auf schwarzem Papier mit kostbarer goldenen Lettern in einer einzigen Reihe aufgeschrieben, ist auf diese Weise (ein Gegenmittel) gegen das extrem schwarze, tödliche Gift und schwarze Schlangen. [...] Krankheiten, bösartigen Einflüsse und Hindernisse werden an ihrem Ort unterworfen. Lebensspanne und Lebensenergie werden unerschütterlich wie ein Felsen. Die von Krankheiten, Plagen und üblen Geister des Endes der Zeiten vor sich her geschobenen männlichen und weiblichen Praktizierenden werden unerschrocken und heldenhaft sein. [...]"
Er führt dann noch weitere Einzelheiten der Visualisation und Rezitation an und verweist darauf, dass dies ein besonderer Text ist, der speziell versiegelt ist und eine besondere Übertragung benötigt.

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[1] ( von Dudjom Lingpa; aus dem Band 14, Seite 443)