Mandala – Die Welt der Buddhas

Von Rangdroldorje

Ein Mandala (tib., skyil ‚khor) ist eine Stütze in der Meditationspraxis des indisch-tantrischen Buddhismus. Ein Mandala ist nicht nur ein kunstvolles Gebilde und ein tibetisches Ritual, sondern stellt eine äußerst komplexe Praxis der Meditation dar.
Die mit einem Mandala verbundene Praxis nennt sich meist Yidam-Praxis oder Praxis mit einer Meditationsgottheit. Der Sanskrit-Begriff für diese Meditationsgottheit lautet „Ishtadeva“ und bezeichnet „erwählte Gottheit“. Da im Vajrayana die Sicht auf die eigene Selbstnatur und Umgebung von einer gewöhnlichen in einen reine Sicht verwandelt wird, stellt die Meditationsgottheit die Buddha-Natur in ihrer gesamten Ausstrahlung dar. Über die Praxis mit der Meditationsgottheit wird diese Buddha-Natur verwirklicht, in Buddhaschaft verwandelt. Ausgehend von der Keimsilbe im Zentrum entfaltet sich das Land der Gottheit bis hinaus zu den endlosen Weiten der Existenz.
Um eine solche vielschichtige Praxis der Meditation eines Mandalas auszuführen, ist zuvor eine Ermächtigung darin erforderlich. Nicht dass es sich dabei um eine simple Erlaubnis handeln würde, wie manche meinen, sondern es geht bei einer Ermächtigung darum, dass die verschiedenen Verständnisweisen und Auffassungen über die Welt von einem gereinigt werden und in ein Buddha-Verständnis transformiert wird.
Betrachten wir nun einmal das Mandala von Avalokiteshvara, auch Chenrezig (tib., spyan ras gzigs) genannt.

Mandala des Avalokiteshvara

Obwohl ein Sand-Mandala oder ein gemaltes zweidimensional zeigen, ist ein Mandala eigentlich dreidimensional. Es wird immer wieder auch als „Himmlischer Palast“ (tib., zhal yas khang) bezeichnet. Als gestreutes oder gezeichnetes Mandala sind manche Aspekte nur symbolisch dargestellt.
Ausgehend aus dem leeren Zustand der höchsten Potentialität entsteht die Keimsilbe HRI in der Mitte des Mandalas. Sie ist umgeben von den Keimsilben der vier anderen Buddha-Familien. Diese sitzen auf den Blütenblättern des Lotus im Zentrum. Die zentrale Keimsilbe wird zum Großen Mitfühlenden, zu Chenrezig, während die umgebenden Silben sich in die anderen Oberhäupter der Buddha-Familien verwandeln. Diese Gottheiten erscheinen aus der Hauptgottheit und zwar aus ihrem Zustand von Leerheit-Wonne ungetrennt. Im Osten erscheint aus einem blauen HUM der gereinigte Hass in Gestalt des Buddha Akshobhya, dem Herrscher der Vajra-Familie. Im Süden erschient aus einem gelben TRAM die gereinigte Gier in Form von Buddha Ratnasambhava, dem Oberhaupt der Ratna-Familie. Im Westen erscheint aus einem weißen OM die gereinigte Form von Unwissenheit in Gestalt des Vairocana, dem Oberhaupt der Buddha-Familie. Anzumerken ist hier, dass diese Figur sonst in der Mitte eines Mandalas vorkommt, aber da Chenrezig ja zur Lotus-Familie gehört, diese beiden ihre Plätze getauscht haben. Im Norden erscheint aus einem grünen AH die gereinigte Form von Eifersucht in Form des Buddha Amogasiddhi, dem Oberhaupt der Karma-Familie.
Die vier Quadranten sind in den jeweiligen Farben der Buddha-Familien. Darum herum befindet sich der Palast in all seiner Pracht mit Juwelenketten, Blumengirlanden, Baldachinen etc. verziert.
Die vier Tore stehen für die Vier Unermesslichen. Im grünen Garten rundum sind Bäume, es tummeln sich Tiere. Schatzvasen stehen herum, aus Nektarvasen steigen erlesene Düfte auf.
Der Garten ist umgeben von einem Juwelenkette, einem Lotuskranz und Vajras, sowie einem Ring aus fünffarbigem Feuer uranfänglicher Weisheitserkenntnis. Der Lotuskranz symbolisiert das beständige Lehren des Vajrayana durch Chenrezig. Die Vajras bilden einen unüberwindbaren Wall der Stabilität, während das Weisheitsfeuer alle Unwissenheit und Verdunklungen verbrennt. Da sich so alles in großes Mitgefühl verwandelt, ist dies auch gleichzeitig der höchste Schutz.

Nutzen

Ein Mandala ist ein Abbild einer Buddha-Welt, „reines Land“ genannt. Durch die beständige Praxis mit einer Meditationsgottheit und ihrem Mandala gelangt man schließlich zu einer gereinigten Auffassung von sich selbst, sowie der Welt und den Wesen darin.
Bei der Praxis mit einem Sand-Mandala gibt es noch ein paar begleitende Praktiken. So wird vor Beginn des Streuens der Erdgöttin (tib., sa’i lha mo) und lokalen Erdwesen (tib., sa bdag) Gaben als Pfand dargebracht und dann werden hinderliche Geister vertrieben. Schließlich kann der sorgsame Aufbau des Sand-Mandalas beginnen. Nachdem das gesamte Mandala in all seinen Einzelheiten gestreut worden ist, wird eine Puja der betreffenden Meditationsgottheit zusammen mit einem heiligen Festmahl durchgeführt. Abschließend wird das Mandala systematisch zerstört und der Sand des Mandalas wird in ein sauberes Gewässer gegeben. Dies erinnert einerseits an die Vergänglichkeit in der Welt. Indem es in einen sauberen Fluss geworfen wird, symbolisiert es andererseits auch, dass der Pfad zur Befreiung beschritten wird. Weiters dient es auch dazu, die Erde mit all ihren mineralischen Ressourcen zu verbessern und Störungen wie vorzeitiger Tod, Krankheiten, Plagen, Seuchen, Hungersnöte zu beseitigen. Am Ende wird dann noch der Verdienst aus dieser Praxis dem Wohl aller Wesen gewidmet, sodass sie rasch die höchste Erleuchtung erlangen mögen.