Im Spätjahr 1905 begegneten sich in Berlin Theodor Heuss (1884-1963) und Elly Knapp (1881-1952). Beide studierten sie in der aufstrebenden Weltstadt Nationalökonomie: Knapp, die Strassburgerin, war jedoch nur Gasthörerin und kehrte Ende des Semesters in ihre Heimat zurück.
Am 31. März 1906 beginnt der Briefwechsel der beiden, der im Verlaufe der nächsten zwei Jahre neben der Besprechung sozialpolitischer Ereignisse und gesammelter Alltäglichkeiten vor allem eine wachsende Liebe zeigt. Heuss arbeitete in der Zeit an seinem Einstieg ins Berufsleben, war Redakteur diverser Zeitungen, während Elly sich in Strassburg als Lehrerin verdingte.
Obschon sich Heuss und Knapp in den Jahren von 1906 bis 1908 sehr selten zu Gesicht bekamen, waren es die Jahre des Sich-findens, des Sich-füreinander-entscheidens und schliesslich der Heirat für den späteren ersten Bundespräsidenten der BRD (1949-59) und seine Frau, die ihm bis zu ihrem frühen Tod zur Seite stand und auch selbst zeitlebens sozial und politisch aktiv war, etwa als Gründerin des Müttergenesungswerks. Der Briefwechsel endet am 5. April 1908. Am 11. April wurde das Paar in Strassburg von Ellys Freund Albert Schweitzer getraut. In einem bemerkenswerten Brief hatte Elly geschrieben: “Ich muss nur wieder staunen, dass man so viel Gemeinsames erleben und so zusammenwachsen kann, während man getrennt ist.”
In erster Linie sind die Briefe, die Heuss und Knapp in den Jahren 1906/08 also das Zeugnis einer grossen, durch die Distanz nicht zu schwächenden Liebe zweier “moderner” Menschen in der tumultreichen Zeit nach der Jahrhundertwende. Es sind Briefe in zärtlich-kameradschaftlichem Tonfall, die noch heute zu entzücken vermögen.
Am 29. Mai 1907 schrieb Elly an Theodor:
“Mein lieber Liebster,
jetzt machen meine Schülerinnen eine französische Übersetzung von der Tafel abschreibend, und ich gewissenloses Frauenzimmer fange den Brief an. (…)
Liebster, hast Du eigentlich mit dem Kunstwart etwas angefangen? Gelt, Du denkst daran, dass man jetzt alle solchen Sachen sehr festhalten muss. Ich habe die Hamburger Damen auch sehr festgehalten, dass sie mich nächstes Jahr im Oktober drannehmen. Du, wie wird das dann? Da wollen wir doch heiraten! Schönes Wetter muss es auf alle Fälle sein. Dazu wäre der 1. Okt. sehr geeignet. Aber 14 Tg. nach der Hochzeit Vorträge halten!?? Hör, manchmal denke ich, wir sollten gleich nach Florenz. Wer weiss, ob’s sonst was wird. Alles für Mannheim. – ISt Dir klar, dass Mannh. jetzt schon ganz nah rückt? Du liebster Mann, heut habe ich die ganze Nacht die abenteuerlichsten Sachen davon geträumt. Einbrüche in Wohnungen ganz fremder Leute, weil da schöne Aussicht war etc. Das Beste dran war, dass Du mich – zum ersten Mal im Traum – so viel geküsst hast, dass ich ganz verwirrt aufgewacht bin. Da lag dein Brief dann da. Das ist so sonderbar; manchmal freue ich mich auf die Mannheimer Tage nur in Gedanken an alles, was wir reden werden, und dass man sich sieht. Und manchmal denk’ ich nur dran, dass Du mich festhalten und küssen wirst. Gehört das nicht zu den grössten Rätseln, wie sich in der Liebe seelisches und sinnliches so verflicht, dass man es gar nicht als einzelne Fäden von diesem oder jenem sieht, sondern als festes Gewebe.
Nun ade, schreib bald und lang. (…)
Deine Elli.”
Theodor antwortete bald und lang, am 30. Mai 1907 nämlich schrieb er:
Meine liebste Elli!
Nun kommt also das Briefeschreiben nach all den Zwischendingen wieder ins richtige Gleis, und ich dank’ Dir für Deine vielen lieben und guten Worte. Und am meisten dafür, dass Du mit dem Heiraten im nächsten Jahr einverstanden bist. (…)
Über meine Jugend werden sie [Anm.: Ellys Verwandte] ja auch vielleicht ein bisschen entsetzt sein wie die Tante Lella, aber das gibt sich dann bald. Davon reden wir allerlei in Mannheim und wenn wir über dem Neckar im Walde liegen.
Ich freu’ mich so drauf. Und dann sollen alle wachen und alle nächtigen Träume in Erfüllung gehen, soviel haben wir uns zu sagen und so viel wollen wir uns küssen und lieb und froh sein wie Kinder. Gelt, Du lieber, lieber Schatz! -
Hab’ ich Dir meine Reiseroute schon geschrieben? Du musst mir dann allerhand noch sagen und aufschreiben, was ich mir besonders ansehen soll in den einzelnen Städten: dann weiss ich, was Du besonders liebtest und dann haben wir an den gleichen Dingen liebe Erinnerungen. Das ist schön, wenn die im Gespräch sich begegnen.
(…)
Nun ade, Liebste.
In einer frohen und festen Treue
Dein Dorle.”1
1. Aus: Theodor Heuss / Elly Knapp. So bist Du mir Heimat geworden. Eine Liebesgeschichte in Briefen aus dem Anfang des Jahrhunderts.Hg. v. Hermann Rudolph. Stuttgart: DVA 1986
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