Manchester by the Sea

Erstellt am 24. Oktober 2016 von Pressplay Magazin @pressplayAT

Manchester by the Sea

9Drama

Manchester by the Sea von Kenneth Lonergan behandelt die Frage, was passiert, wenn Menschen mit Schicksalsschlägen konfrontiert werden, mit denen sie nur schwer oder gar nicht umgehen können.

Lee Candler (Casey Affleck) ist ein sehr schweigsamer Mensch. Er führt ein ruhiges und vor allem monotones Leben als Klempner in Boston. Nach dem plötzlichen Tod seines Bruders Joe (Kyle Chandler) muss er zurück in seine Heimatstadt Manchester. Dort soll er laut Testament von Joe bleiben und sich um dessen halbwüchsigen Sohn (Lucas Hedges) kümmern. Doch es lastet eine schwere Schuld auf Lees Schultern und durch die Rückkehr in die Stadt, mit der er all das Unheil verbindet, klaffen die schmerzlichen Erinnerungen an sein ehemaliges Leben erneut auf. Lee wird nicht nur mit seiner tragischen Vergangenheit und seiner Ex-Frau Randy (Michelle Williams) konfrontiert, sondern auch mit den Problemen als Ersatzvater, sowie einem Ort, der vor allem schmerzende Erinnerung in ihm weckt. Lee ist zerfressen von Trauer und vor allem wütend auf sich selbst.

Der gebürtige New Yorker Kenneth Lonergan erzählt in Manchester by the Sea die Geschichten von Joe und Lee Candler. Die beiden wollen nicht wirklich hoch hinaus, sondern versuchen über die Runden zu kommen und ihren Alltag trotz Krankheit, Alkoholismus, elterliches Versagen und gescheiterten Beziehungen zu meistern. Lonergan entrollt dabei sehr langsam ein tragisches Familiendrama, das das Leben von Lee völlig aus der Bahn wirft und zu einem einsamen Menschen werden lässt. Der Regisseur schiebt seinen Protagonisten dabei schwerfällig und gedrückt durch den Film, umgeben von einer eiskalten, schneebedeckten Winterlandschaft direkt an der amerikanischen Ostküste, wo der eiskalte Wind zusätzlich für Unbehagen sorgt. Die Filmmusik unterstreicht die resignierende, trübe Stimmung. Dadurch erscheinen jene Momente, die etwas Licht in das Trauerspiel lassen, nicht zu groß, sondern schaffen lediglich Raum, um kurz durchzuatmen. Die Erleichterung erhält gerade so viel Raum, dass am Ende nicht der Eindruck entsteht, eine Komödie zu verfolgen.

Lanergan bleibt in seiner Erzählung stets schwerfällig und in Casey Affleck (Triple 9) hat er einen Protagonisten gefunden, der in der oft statischen, innerlich erfroren wirkenden Figur brilliert. Er erweckt Lee mit einer Intensität zum Leben, die oftmals erstaunen lässt. Seine Performance ist voll von Emotionen und überzeugt auch in stillen Momenten, wenn einzelne Blicke und Gesten reichen, um die innere Zerrissenheit von Candler verständlich zu machen. Am Ende hat man ein ganz klares Bild davon, was diese Figur antreibt und bewegt. Doch auch die Nebendarsteller imponieren. So gelingt Kyle Chandler (Carol) ein warmherziges und mitfühlendes Schauspiel, Michelle Williams (My Week With Marilyn) glänzt und dass, trotz der Kürze ihre Anwesenheit im Film und Newcomer Lucas Hedges (Anesthesia) liefert eine erstklassige Kontrastfigur zu Affleck, indem er Patrick Candlers Konflikt zwischen den Freuden seiner Jugend und den Verlust seines Vaters mit einer gewissen Leichtigkeit auf die Leinwand bringt. Über die etwas schwächeren Momente des Films, darunter ein Dialog zwischen Lee und Randy, dem es so gar nicht gelingt sich glaubwürdig und harmonisch in die Geschichte einzufügen, blickt man aufgrund der restlichen beeindruckenden Erzählung gerne hinweg.

Kenneth Lonergan liefert, trotz kleiner Makel, einen komplexen, tiefgründigen und vor allem realistischen Film über Verlust und Trauer. Manchester by the Sea ist schwermütig, traurig und dennoch pathetisch und komisch – eben wie das Leben selbst und genau das ist am Ende der große Coup, der Lonergan eindrucksvoll gelingt.

Darsteller: Casey Affleck, Michelle Williams, Kyle Chandler, Lucas Hedges, Liam McNeill, Gretchen Mol; Drehbuch: Kenneth Lonergan; Kamera: Jody Lee Lipes; Schnitt: Jennifer Lame; Musik: Lesley Barber; Ausstattung: Ruth De Jong: Kostüm: Melissa Toth. Filmlänge: 135 Minuten, gezeigt im Rahmen der Viennale V’16


Autor

Nina Tatschl

Aufgabenbereich selbst definiert: Redakteurin mit Harmonie versprühenden (Frauenquoten-) Charme. Findet die Formulierung “Words and Music – My only Tools” (Wood) prägend.


 
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