Das Bild zeigt das Moon-Valley in Ladakh. Fast drei Monate habe ich in Ladakh und Zanskar verbracht. Bevor ich zu den Geschichten über die Treks in Ladakh und Zanskar, die Entwicklung der Hauptstadt Leh, zum Pangong-Lake in Changtang, der teilweise zu China gehört oder dem muslimischen Dorf Turtuk an der pakistanischen Grenze im Nubra-Tal komme, möchte ich den Kreis skizzieren, der sich hier in Manali gerade wieder schließt.
Callum, mit dem ich aus Delhi angereist bin, war bereits nach einigen Tagen nach Leh weitergereist und einerseits wäre ich gerne mit ihm weitergezogen. Doch nach den sechs Tagen in Delhi wollte ich mich noch etwas treiben lassen, ein wenig entspannen und herausfinden, wie es sich diesmal anfühlen würde, ein Alleinreisender zu sein. Dieses Hin- und hergerissen sein zwischen dem Wunsch nach festen Reisepartnern und dem gleichzeitigen Drang alleine und frei unterwegs zu sein, hat mich auf allen Reisen begleitet. Ich will mich ungern festlegen. Womit die Entscheidung eigentlich klar ist. So bleibe ich zwar öfter einsam als ich mir manchmal wünsche, allerdings haben die Begegnungen, die dann folgen eine deutlich höhere Intensität. Der große Nachteil mit einem festen Reisepartner ist, dass man sich automatisch ein wenig abschottet und weniger offen ist für andere Begegnungen – vor allem auch mit Einheimischen. Andererseits hat man Jemand, mit dem man das Erlebte teilen kann. Sicherlich haben mich meine bisherigen Reisen stark geprägt – schließlich war ich abgesehen von kurzen Episoden, in denen ich einen zeitweiligen Reisepartner gefunden habe, meist alleine unterwegs. Erfreut registrierte ich, dass mir meine kommunikativen Fähigkeiten auch nach einer langen Phase in relativer Einsamkeit nicht abhandengekommen waren und es mir durchaus leicht fiel, mit Fremden in Kontakt zu kommen, auch wenn ich diese Fähigkeiten nicht immer nutzen wollte.
Jeden Tag traf ich verrückte Typen, die magisch von Old Manali angezogen werden (was mich durchaus einschließt…). Da war der junge Landsmann, der kurz davor war, nach seiner ersten Asienreise zurück in die Heimat zu kehren. Er hatte auf seiner Reise eine starke Obsession für Opium entwickelt und war nun, nachdem er gerade seinen 21. Geburtstag auf LSD in den Ruinen von Angkor gefeiert hatte, nach Manali zurückgekehrt, um das Mädchen, in das er sich verliebt hatte, wieder zu sehen. Das sollte nichts werden, aber ich konnte ihn verstehen. Er musste das für sich herausfinden. Ich fragte mich nur, wie es ihm wohl gehen würde, wenn er heimkehrte. Es war unübersehbar, dass er sich deutlich gewandelt hatte. Wenigstens stand er kurz vor einem Kunststudium in den Niederlanden. Das erschien mir einer der wenigen Orte, an denen ich mir ihn nun vorstellen konnte und wollte. Auch wenn meine eigenen Erfahrungen auf meiner ersten Indienreise völlig andere waren, so fühlte ich mich ein wenig erinnert an die eigenen Veränderungen, die mir die Rückkehr schwierig bis unmöglich machen sollten.
In meinem Gasthaus hatte ich die Freude mit meinem italienisch-schweizer Nachbarn, einem Althippie, über die Mysterien der Menschheitsgeschichte zu plaudern. Neben durchaus fundierten Kenntnissen über verschiedene Religionen und Entwicklungen auf der Welt, mischten sich damit skurrile Theorien über Aliens und wilde Verschwörungstheorien. Ein gewisser Wahn ließ sich ihm nicht absprechen, zugleich war er ein angenehmer Zeitgenosse mit großer Neugier, der keinem seine Gewissheiten aufs Auge drücken musste. Ein anderer Nachbar, ein Russe, war tagelang extrem unfreundlich, grüßte nicht, knallte Türen und herrschte ein Pärchen an, das es gewagt hatte, ihn zu grüßen. Als Callum und Nadine abgereist war, begann er mich freundlich zu grüßen – vielleicht auch, weil ich ihn instinktiv in Ruhe gelassen hatte, und schließlich begann er mit mir zu reden und auf Tee einzuladen. Ich war ein wenig perplex. Er blieb recht ruhig und spielte Online-Poker, aber gelegentlich rauchte ich mit ihm oder er lud mich auf Essen und Tee ein und erzählte ein wenig. Sein Visum war bereits seit einiger Zeit abgelaufen und dafür war er auch zwei Wochen im Gefängnis gesessen. Nun sprach er davon bald abzureisen – angeblich sei alles geklärt – was wirklich los war und ob er überhaupt mental in der Lage sein würde abzureisen blieb unklar. So kann man in Manali eine Reihe verrückter Typen kennenlernen – Babas, Abgestürzte, Suchende, Mystiker, Drogenfreaks, Motorradgötter und vieles mehr. Das soll aber nicht den Eindruck erwecken, Manali sei nur bevölkert von Verrückten (wenn sich auch eine überproportional große Gruppe ausmachen lässt). Zum einen gibt es eine große Zahl von indischen Touristen, die in guten Hotels absteigt. Gerade für die Flitterwochen ist Manali ein beliebtes Ziel. Zudem sind viele Touristen auf dem Weg nach Ladakh und sind interessiert an der Kultur und/oder strebt Wanderungen in den Bergen an. Auch mein Gasthaus ist eine wahre Oase mit ausgesprochen freundlichen Gastgebern.
Gegen Ende hatte ich allerdings genug Charaktere getroffen und die Eintönigkeit trieb mich weiter nach Leh.
Das bedeutete eine weitere Fahrt auf dem Manali-Leh-Highway, den ich bereits im Oktober 2010 besucht hatte. Damals war der Winter gerade dabei über Ladakh hereinzubrechen. Diesmal war das Zeitfenster, Ladakh zu besuchen wesentlich besser. Trotz der teilweise extrem widrigen Straßenverhältnisse, der extremen Höhe der Pässe und einer auslaugenden Reise, die sich über 2 Tage zieht, ist diese Straße in meinen Augen eine der schönsten Strecken, die ich je befahren habe.Nicht lange nachdem man Manali verlassen hat, befindet man sich bereits im langen Anstieg zum Rohtang-Pass, der wie häufig in dichten Nebel gehüllt ist. Der Pass markiert einen der spektakulärsten Landschaftswechsel, den man sich vorstellen kann. Nachdem man die Obstgärten des Kullutals verlässt, befindet man sich inmitten der Bergwelt Lahauls. Auf der Fahrt ins Tal hinab bieten sich einige der schönsten Ausblicke der ganzen Fahrt.
Es war ein wenig bewölkt, aber die Sicht war nach einigen Regentagen in Manali (dort herrschte inzwischen die Monsunzeit von der die Gebiete nördlich des Rohtang wenig betroffen sind) ziemlich gut. Der Kontrast zu meiner Tour im Oktober 2010 hätte kaum größer sein können. Damals hielt der Winter mit eisigem Griff Einzug in den Himalaya. Diesmal konnte ich bewundern wie die Menschen Lahauls der kargen Bergwelt grüne Felder abringen. Offensichtlich herrscht einiger Wohlstand. Unten im Tal rauscht ein mächtiger Fluss mit starker Strömung entlang. Noch sind es Pappeln, Weiden und einzelne Nadelwälder, die die Kulisse prägen. Wir passierten etliche Enfield Repair Stations und kleine Dhabas (kleine Garküchen). Gerade die jungen Israelis sind magisch von den Royal Enfields und der abenteuerlichen Fahrt angezogen. Einige Unentwegte machen sich auch mit dem Fahrrad auf den Weg. Eine echte Strapaze. Allerdings gibt es wohl kaum eine bessere Möglichkeit um die imposante Kulisse eingehenden zu betrachten. Wir fuhren durch Schlamm und querten mehrere kleinere Flüsse. Schließlich erreichen wir die Baumgrenze und die Landschaft war fortan von gewaltigen Felsbrocken geprägt. Die Straße ist immer in Bewegung und muss ständig neu erschlossen werden. Am Straßenrand stehen immer wieder Gruppen von Wanderarbeitern aus Bihar – dem ärmsten Bundesstaat Indiens. Sie stellen mit Hammer und Meißel Straßenschotter her. Immer wieder kommt es zu Erdrutschen und die Gletscher bahnen sich ihren Weg durch Fels und Granit. Die Natur rückt die Dinge zurecht – angesichts dieser majestätischen Kulisse sind wir winzig und bedeutungslos.
Tibetische Gebetsflaggen und Stupas weisen den Weg ins buddhistische Ladakh. Unser Fahrer stammte aus Nepal und fuhr sehr besonnen. Irgendwann dröhnt „Makarena“ aus den Boxen. Skurriler könnte kaum etwas sein. Mit mir im Bus saß ein israelisches Pärchen, zwei junge Frauen aus den Niederlanden und fünf Einheimische Touristen, mit denen ich mich ausgiebig unterhielt. Anant, Aditya und Meyenk stammen aus Delhiund gehören einer neuen Generation an, die dabei sind ihr eigenes Land zu entdecken. In meinen Augen eine gute Entwicklung. Anant spielt am Theater und gehört der modernen Mittelschicht der indischen Städte an. Er verstand meine Ironie – was in Indien keineswegs selbstverständlich ist. Schön auch sein Kalauer: „to see whole india one life is not enough – thatswhy we believe in rebirth“. Adityaund Meyenk sind noch deutlich jünger und sie tragen das Feuer der Erstentdecker in sich. Sie muteten sich in kürzester Zeit eine riesige Strecke zu, sind er schöpft, doch das schmälerte ihre natürliche Begeisterung in keiner Weise.
Der Israeli hingegen tat sich vor allem dadurch hervor, dass er bei jedem Stopp in jedem Shop die Preise abfragt, obwohl die Unterschiede marginal bis nicht vorhanden sind und selbst in dieser abgelegenen Region die Preise durchaus günstig sind. Selbst seine Freundin wirkt ein wenig befremdet. Als wir später Leh erreichen, rattert er den Taxifahrern einen Forderungskatalog ab, der an Respektlosigkeit kaum zu überarbeiten ist. Wenn er schon diese Erwartungen hatte, warum informierte er sich nicht besser? Irgendwann frage ich ihn, warum er überhaupt gekommen war, wenn es ihm ohnehin keiner recht machen konnte.
Schließlich erreichten wir Sarchu auf 4300 Metern und ich bezog mit Anant ein Zelt. Nach einiger Zeit stellen sich Druckkopfschmerzen ein, aber es gelang mir, sie weitgehend zu ignorieren. Am Morgen waren sie verschwunden. Frühstück um 5 war für mich eine besondere Herausforderung. Im Zeltlager arbeitete ein Schotte, der seit 3 Monaten Essen und Tee servierte, wusch und sich von seinem indischen Chef schikanieren ließ. Was ihn hierhergetrieben hatte, blieb unklar. Seinen Erzählungen zufolge hatte er schon an den merkwürdigsten Orten in den ungewöhnlichsten Jobs gearbeitet.
Für mich fühlte es nicht so an, als wäre dies eine neue Reise, sondern vielmehr eine Fortsetzung der bisherigen und die Erinnerungen an die vergangenen waren deutlich präsenter. Am nächsten Morgen überfiel mich Melancholie.
In der einsamen Felslandschaft frage ich mich, wann ich finden würde, wonach ich suche und vor allem wann ich den Platz finden würde, an dem ich das, was ich schon lernen durfte, wirklich umsetzen konnte. Zugleich war ich glücklich, dass ich mich auf die Suche gemacht habe – sah die bizarren Felsformationen an mir vorbeiziehen. Alles ist gewaltig. Es erscheint mir manchmal in dieser Landschaft, als wäre die Welt gestern geschaffen worden – die Natur in ihrem Urzustand, unbeeindruckt davon, wie die Zivilisation sich einbildet, sich die Natur Untertan machen zu können. Ich war ein wenig einsam, mich überkam die Sehnsucht diese Szenerie mit einem vertrauten Gesicht zu teilen, doch ich bereute keine Sekunde hier zu sein. Ich spürte, dass mein Weg mich hierhin führen musste. Was könnte es schöneres zu geben, als genau das zu verspüren?
Die Landschaft ging in eine steppenähnliche und zugleich hochalpine Landschaft über. Trucks säumten die Strecke. Endlich erreichten wir den letzten hohen Pass – der Taglang La ist mit 5300 Meter höchstes Hindernis auf der Reise.
Leh wurde durch einen Generalstreik lahmgelegt. Kurz zuvor wurde Bodhgaya, eine der wichtigsten Pilgerstätten der Buddhisten durch mehrere Anschläge ins Mark getroffen.
Im Industal angekommen, war ich einmal mehr schockiert über die massive Militärpräsenz mit ihrer komplett eigenen Infrastruktur – Souvenirshops, Kinos, Läden, Fitnessstudios – es gibt nichts was es nicht gibt, um die Soldaten bei Laune zu halten. Daneben die buddhistischen Klöster, die einen unheimlichen Frieden ausstrahlen und die ganze touristische Infrastruktur – ein beißender Kontrast.
Ein wenig irritierend für mich war die gesamte Stok-Range ohne Schnee zu sehen – dieses Bild hatte sich fest in meine Netzhaut eingegraben. Zu Leh schreibe ich noch einen separaten Artikel.
Doch eines war sehr wichtig – Jacob (aufgrund des stupiden Wunsches dieses Protagonisten geändert…) zu treffen, der mir schnell zu einem guten Freund werden sollte. Auch er ein Alleinreisender, der touristische Attraktionen noch stärker meidet, meist alleine unterwegs und deutlich mehr angezogen von Ländern wie Bangladesch, wo er zuvor längere Zeit verbracht hatte. Dort – oder auch in Bihar und Assam in Indien, Bundesstaaten, die nur wenige Touristen anziehen, lassen sich ganz andere Erfahrungen machen. In seiner Gesellschaft gelang der Spagat – auch wenn wir viel Zeit miteinander verbrachten, blieben wir beide Alleinreisende und wir spürten instinktiv, wenn es an der Zeit ist, wieder die eigenen Wege zu gehen und sich lieber wieder zu treffen, als uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Nicht, dass uns das nicht auch so gelänge – unsere Überlegungen über eine Tandemfahrt würde wohl in einem Desaster enden – es wäre nur eine Frage der Zeit, wann einer von uns in einer Nacht- und Nebelaktion das Tandem zersägen würde. Mord und Todschlag. An Reibungspunkten fehlt es uns sicher nicht, aber im Grunde sind wir ein gutes Team, das bisweilen Erholungsphasen braucht. In Leh agierten wir bisweilen wie ein altes Ehepaar. Nachdem er Kaschmir, Amritsar und Delhi besucht hat, haben wir uns hier wieder getroffen und es spricht viel dafür, dass das nicht das letzte Mal ist. Er hat nun endlich seine Nummer erhalten mit der er nun das Iran-Visum in Delhi beantragen kann. Ich werde seine Spontaneität, sein impulsives Wesen, seine Offenheit, das ansteckende Lachen und die Geschichten aus der „Metzgerei“ vermissen. Wir haben vereinbart in der Schweiz wandern zu gehen.
Ich sollte indes zusehen, dass meine Restintelligenz nach meiner Rückkehr nach Manali nicht in Rauch aufgeht. Nach den Treks der letzten Wochen,bin ich zwar nicht völlig faul geworden, habe auch endlich den Gipfeln eines nahegelegenen Berges erreicht, den ich nie erreichen konnte – aber die Messlatte liegt hier auch deutlich niedriger – angesichts von Besuchern, die mit Mühe ihr eigenes Gasthaus verlassen und wenn, dann nur um das Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu besuchen…
Ich habe lange darüber nachgedacht vom nahegelegenen Parvati-Tal einen weiteren Trek nach Spiti zu übernehmen. Alleine erscheint mir das diesmal aber zu riskant, zumal ich nicht noch ein weiteres Mal nach Manali zurückkehren möchte und somit meine Bücherei mitschleppen müsste – was völlig utopisch ist – ob es gelänge unterwegs einen Horseman ins Boot zu holen, ist nicht ganz klar. Das Geld für eine Trekkingagentur sprengt mein selbstgesetztes Budget. So werde ich wohl in wenigen Tagen über den Rohtang-Pass nach Spiti fahren, bevor es mich über Kinnaur nach Varanasi, Bombay, Goa und Kerala ziehen wird. Die Zeit ist ein wenig knapp und es liegen riesige Entfernungen vor mir, aber es wird Zeit für etwas Neues. In den nächsten Blogs werde ich vom inneren Kreis erzählen – von dem was ich in Ladakh erleben durfte. Speziell die Treks waren eine unglaublich intensive Erfahrung.
Liebe Grüße aus den Bergen! Euer Oleander
Weiterführende Links:
Sehnsuchtsorte: Old Manali / Vashiht
Die Bilder und die Geschichte der Wahnsinnsfahrt auf dem Manali-Leh-Highway während des Wintereinbruchs kommen besonders schön im Gastbeitrag für die Reisedepeschenzur Geltung.
on the road again - Delhi und Manali - wie diese Reise begann...