Man nehme: Luft, Wasser und viel Geduld

Von European-Cultural-News

Rodrigo Sobarzo de Larraechea – “A P N E A” beim ImPulsTanz Festival Foto: © Christine Brorsson

Der junge chilenisch-niederländische Choreograf Rodrigo Sobarzo de Larraechea, der in Amsterdam am SNDO Choreografie und in Chile an der Universität von Santiago Theater studierte, gastierte im Rahmen von ImPulsTanz in Wien. Der Titel seiner jüngsten Arbeit „Apnea“ weist auf jenen atemlosen Zustand hin, den man zwangsläufig unter Wasser einnimmt. Und tatsächlich ist es dieses Element, in welches er in transformierter Art und Weise auf der Bühne eintaucht. Doch bis es so weit ist, heißt es sich in Geduld zu üben. Denn als Vorspann hat der Choreograf und Tänzer in Personalunion einige Zen-Übungen für das Publikum eingebaut. Und die sind nicht jedermanns bzw. jederfraus Sache. Schon in der dazugehörigen Aufwärmphase, in welcher er mittels eines am Boden stehenden Mischpultes und eines Minisynthesizers einen voluminösen Klangberg aufbaut, verlassen einige Ungeduldige den Raum, nichtsahnend, dass dieser sich im Laufe der Vorstellung noch grundlegend optisch und akustisch verändern wird. Am Höhepunkt dieses klanglichen Spektakels greift Rodrigo schließlich zur Schaufel und beginnt bedächtig jenen kleinen Lautsprecher mit Erde zuzuschaufeln, aus welchem sich die Klangmassen ins Publikum wälzen. Dieser surreale Gestus wird umso intensiver wahrgenommen, als der Künstler zuvor noch die Schallwellen aus dem kleinen Lautsprecher optisch sichtbar machte, indem er dem Lautsprecher einen dünnen schwarzen Müllsack umband, durch den die Bewegungen des Schalles gut erkennbar wurden. Mit dem Zuschaufeln der Box verringerte sich allmählich auch die Geräuschkulisse bis hin zur gänzlichen Stille – eine schöne, wenngleich auch nicht ad hoc verständliche Analogie des Menschseins. Leben heißt atmen, aber auch einmal an seinen eigenen letzten Atemzug zu gelangen. Auch wenn man das Programm nicht gelesen hatte stand zumindest an diesem Punkt fest, dass sich der Kreative in dieser Arbeit explizit mit einem Element auseinandersetzt – nämlich jenem der Luft. Dass dazu noch ein weiteres kommt – das Wasser – wird kurz später klar. Kaum gebändigt, braust Rodrigos Geräuschkulisse noch einmal gewaltig durch den Raum – dieses Mal durch den Einsatz der über der Bühne installierten Lautsprecher. Wie harter Regen prasselt das auditive Geschehen auf das Publikum nieder und wird durch seine Intensität körperlich spürbar. Erst nach dem gänzlichen Verstummen ändert sich das Setting. Der große, quer über die Bühne gespannte milchige Plastikvorhang wird nun neben dem Performer zum Hauptaktionisten. Mit dem Rücken zum Publikum begibt sich Sobarzo de Larraechea nach und nach mit immer wiederkehrenden Armbewegungen in eine Art Trance. Anfänglich fährt er zärtlich über die schlaff hängende Vorhangwand, tippt mit seinen Fingern leicht darauf, sodass sich die Aktion auch bildhaft durch konzentrische Kreise auf der Folie bemerkbar macht. Schon bald aber streicht er im immer selben Takt mit weit ausladenden Gesten rasch hintereinander über die vor ihm gespannte Fläche und evoziert damit Gedanken ans Schwimmen – ans Kraulen oder auch an jene Bewegungen, die Delphinschwimmer mit ihren Armen absolvieren. Nach einer nicht enden wollenden, körperlich anstrengenden Session, in der die Bewegungen auch als rhythmische Aktionen hörbar werden, schlüpft der junge Mann schließlich behände unter die Oberfläche, eigentlich hinter den Vorhang, so als ob er nun in die Tiefen des Meeres eintauchen würde und tatsächlich verändert sich schon nach wenigen Momenten auch die Szenerie. Plötzlich aufsteigender Nebel macht nun auch optisch das luftige Element sichtbar, das zusätzlich mit einem blauen Lichtstrahl markiert wird. Die Illusion einer Unterwasserhöhle mit bizarren Lichtreflexen wird nun vom Künstler durchwandert – ein Ventilator auf seinem Rücken erinnert an Pressluftflaschen, wie sie von Tauchern benutzt werden. Ein witziges Gestaltungselement, das auch sinnlich vom Publikum durch die unterschiedlichen Luftströme wahrgenommen wird, die der Ventilator während der Bewegungen Rodrigos von sich gibt. Die hektischen Bewegungen sind vorbei, ein eher ruhiges „Durch den Raum Gleiten“ ist ihnen gewichen und hält so lange an, bis letztendlich jede Lichtquelle erlischt. Ein langer applausloser Moment macht klar, dass für die ZuseherInnen das Finale nicht sofort als solches wahrgenommen wird. Man könnte aber meinen, dass Rodrigo Sobarzo de Larraechea diesen Augenblick bewusst als Endpunkt in seine Performance komponierte. Teilweise ratlose Gesichter, teilweise laute Bravorufe zeigten, dass „Apnea“ unterschiedliche Reaktionen beim Publikum auslöste. Wer sich mit offenen Augen und Ohren unverkrampft auf ein Geschehen einlässt, in welchem die Kunstgattung Tanz in neuartige Felder voranschreiten darf, wird mit den Auftritten des Künstlers mehr als zufrieden sein. Sobarzo de Larraecheas Show ist voll von Bildern, die im Stande sind, unterschiedliche Assoziationen bei den BertrachterInnen zu evozieren. Mehr noch versetzt er sein Publikum auch in die Lage, eine neue Sensibilität für das Element Luft zu entwickeln, ohne welches es kein Menschsein gibt und das wir tagtäglich dennoch als völlig selbstverständlich erachten. Wer sich jedoch eine Soloshow erwartet hatte, bei welcher der Choreograf zuallererst auf die tänzerischen Fertigkeiten seines Körpers setzte, mag enttäuscht von dannen gezogen sein. Eine mutige Performance, mit der es durch eine kurze Einleitung davor vielleicht auch gelungen wäre, den einen oder anderen Fluchtreflex zu verhindern.

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