Ownerless, Sharing, Fractional Ownership oder Collaborating Consumption sind einige Begriffe, die ein und die selbe weltweite Bewegung beschreiben – es wird ver- und entliehen was das Zeug hergibt!
Als Mark und Michael Aechtler vor zwei Jahren daran dachten, ihre private DVD-Sammlung sauber zu dokumentieren und zu verleihen, ahnte keiner von beiden, dass sie Stuttgarter Pioniere für einen Megatrend werden: zwar merkten die Aechtler-Brüder schnell, dass es gesetzlich problematisch ist, private Games und Lieblings-DVDs zu verleihen, die Idee für einen Verleih-Service aber war geboren.
Was mit einer schlichten Webseite begann, wuchs und fast wieder starb, wurde dank strenger Analyse, Konzept- und Seiten-Relaunch doch noch zum Erfolgskonzept: vor zwei Monaten stellten die beiden ihr Internet-Portal „Leihdirwas.de“ vor und verzeichnen im Moment ganz ohne Werbung etwa zehn neue Mitglieder pro Tag. Das Prinzip ist einfach: geht wie ebay, bloß ohne kaufen!
Ver- und Entleihen dürfen angemeldete User grundsätzlich alles, was nicht gegen Gesetz oder gute Sitten verstößt, trotzdem gibt’s zwei logische „Regeln“: „Wer mitdenkt, bietet im Sommer zum Beispiel seinen Grill oder ein Zelt an. Richtig coole Artikel wie unser Darth Vader-Kostüm gehen immer wie geschnitten Brot“, sagt Michael Aechtler.
Apropos Kostüm: Auch Elisabeth Oechsle, Inhaberin des Kostümverleihs „Gewand“ gibt immer öfter Dirndl für den Wasen oder Abendgarderobe mit passender Handtasche für die Oper raus. „Wozu was teures kaufen, wenn ichs doch nur einmal im Jahr brauche?“ hört sie dann von ihren Kunden oft.
Im Gegensatz zu ihrem erfolgreichen B2C-Angebot, läuft auf Leihdirwas.de alles bewusst und erprobtermaßen von privat zu privat, die Leihgebühr kann jeder selbst fest legen. „Ideal ist, wenn sich der Neupreis des Artikels nach der zehnten Ausleihe ammortisiert hat“, empfehlen die Leihdirwas.de-Macher, die pro erfolgreichem Leih-Matching fünf Prozent der Leihgebühr beanspruchen. Ein ausgeklügeltes Filtersystem macht Ausleihen auf Leihdirwas.de so persönlich und bequem wie möglich.
Kaufen oder Leihen ist also immer öfter die Frage und laut einer Studie entscheiden sich 55 Prozent einer Versuchsgruppe in diesem Fall fürs Leihen – die Vorteile liegen auf der Hand: Während sich das Establishement gern „Besitz verpflichtet“ zuraunt, bietet der „Leasing Lifestyle“ laufend neue Produkt-Erlebnisse oder anderweitig kaum zugänglichen Luxus. Und das ganz ohne langfristige Verpflichtungen, Lager- oder Instandhaltungs-Kosten.
Dr. Eike Wenzel vom Institut für Trend- und Zukunftsforschung weiß zudem: „Ownerless-Trend und dezentraler Konsum kommen dem Bedürfnis nachhaltig zu konsumieren sehr entgegen, in San Fransisco werden beispielsweise schon Ziegen statt Rasenmäher vermietet. Das ganze System ist im Grunde Back to the roots in der Version 2.1, denn ohne Internet und Handy funktioniert das ganze nicht “
Trotz aller Erfolgsprognosen ist besitzloser Konsum in Deutschland vergleichsweise jungfräulich: „Erst mit der Bezeichnung KoKonsum öffneten sich für uns ganze Universen und wir entdeckten, dass der Trend in den USA tatsächlich ein extrem schnell wachsender Industriezweig ist, vor allem wenn es um Wohnungen, Autos oder – wie bei uns – um Gegenstände geht“, erinnert sich Michael Aechtler.
Doch vor allem Kunst auf Zeit für die eigenen vier Wände wird auch im Kessel immer öfter nachgefragt: ganz vorne, im ersten Regal, steht die Nummer 1.196. Das kleinformatige Aquarell von Hermann Werner zeigt den „Mann am Fenster“ und ist eins von rund 2500 Bildern, die es in der Graphotek der neuen Stadtbibliothek zu leihen gibt. Lange warten müssen die Grafiken, Zeichnungen, Drucke und Fotografien nicht, bis sie begeistert mitgenommen werden.
Auch Christiane Sherman findet die „Kunst für Alle“-Idee klasse und holt sich öfter was Kunstvolles in der Stuttgarter Graphotek, sogar fürs Gäste-Clo – ein Service, den Freunde und Bekannte mittlerweile schätzen und genießen.
Aktuell freut sich Christiane Sherman übers „Schaf in Bozner Tracht“, ein Schaf-Portrait von Gabriela Oberkofler. „Am Anfang hatte ich ein bisschen Angst, dass ich die Bilder plötzlich doch gern besitzen will, aber das war nie so. Im Gegenteil: Ich merke regelmäßig, jetzt wird’s Zeit für was Neues, wahrscheinlich weil sich auch mein Geschmack immer wieder mal ändert. Ich finds super, dass ich nach Lust und Laune ausprobieren kann“, sagt die ehemalige Kunst-Studentin und jetzige Bibliotheks-Mitarbeiterin.
Ein frei zugänglicher Web-Katalog, eine Dia- sowie eine Blätterkartei mit Bild-Infos erleichtern die Suche nach einem Interims-Lieblingsbild. Der Sammlungs-Schwerpunkt liegt auf zeitgenössischer Kunst, bevorzugt von Künstlern aus der Region, gerne auch von Absolventen der Stuttgarter Kunstaka. Wie für Bücher verfügt auch die Graphotek über einen Etat, mit dem der Bestand immer wieder erweitert wird: für Neuanschaffungen stöbert Graphotek-Leiterin Jessica Berger regelmäßig auf Kunstmessen oder arbeitet mit Galerien zusammen.
Etwa fünf Bilder nehmen Besucher pro Ausleihe mit, auch Vorbestellungen sind möglich. Die ausgewählten Werke werden in ein spezielles „Lesefach“ gelegt, wo sie per Funk registriert und entsichert werden. Dann nur noch den Ausweis vor die Scanner-Kamera halten, Bild in einen Karton packen und schon passieren die Leihgaben ungehindert die Sicherungs-Anlagen.
Bis zu acht Wochen können die fremden Bilder aus der Graphotek an die eigene Wohnzimmer-Wand, in die Kanzlei oder Praxis gehängt werden. Zu 15 Euro Jahresgebühr für den Benutzer-Ausweis kommt pro Leih-Grafik eine erfrischend günstige Versicherungsgebühr von 2 Euro 50 , passiert sei den Bildern glücklicherweise aber noch nie was, staunt Karen Geppert, stellvertretende Leiterin der Ebene Kunst, auch ein bisschen. Wer sich gar nicht trennen kann, darf um weitere acht Wochen verlängern, dann ist endgültig Schluss.
Sabine Merks Kunden haben allerdings tatsächlich öfter Probleme mit dem „Loslassen“ und kaufen die Gemälde der Denkendorfer Künstlerin deshalb oft nach Ablauf der Leihfrist. „Ein pragmatisches Modell für Kunst-Finanzkauf“ sagt Sabine Merk lachend. „Wenn man allerdings bedenkt, dass in Deutschland nur fünf Prozent aller Künstler von ihrer Kunst leben können, müssen die anderen 95 Prozent immer neue Standbeine schaffen, zum Beispiel Kunst-Verleih. Dadurch wird Kunst ja auch für viel mehr Leute erschwinglich.“
Der Mietpreis liegt – je nach Bild-Größe – bei überschaubaren 19, 29 oder 39 Euro pro Monat. Wird das Bild nur für einen Event gemietet, verkürzt sich die übliche Leihfrist von einem Jahr, auf ein Wochenende.
Also alles schöne neue Ausleih-Welt? Nicht ganz! Denn Michael Aechtler hat erfahren: „Vor allem die Sicherheitsfrage kommt immer wieder auf den Tisch. „Zwar passen die Leute auf kostenpflichtig geliehene Sachen erfahrungsgemäß besser auf als auf eigene, trotzdem arbeiten wir an einem Versicherungsmodell, das eventuelle Schäden abdeckt, außerdem geben wir Tipps, wie man gut erkennen kann, dass hinter einer Leih-Nachfrage ein echter, ehrlich interessierter Mensch steckt“.
Leihdirwas.de-User Benjamin Kaiser aus Plieningen traut sich jedenfalls und vermietet gern sein Auto, das sonst „die meiste Zeit nur auf der Straße rumstehen würde“. Obwohl er nur gute Erfahrungen gemacht hat, kennt er den schwäbischen Pappenheimer: „Wem sein Blechle extrem heilig ist, sollte vielleicht doch die Finger davon lassen“, sagt er mit einem Schmunzeln.
Fest steht: wenns nach Eike Wenzel und vielen begeisterten Ausleihern geht, werden wir vom Mieten statt Kaufen in den nächsten sieben Jahren noch einiges hören und Michael Aechtler hat dazu eine aechte Vision: „Ich stelle mir vor, dass ich irgendwann zur Haustüre rausgehe, an der nächsten Türe klopfe und dort alles ausleihen kann“, träumt er und räumt ein: „Der Weg dahin kann allerdings noch lang werden.“
www.leihdirwas.de, www.gewand-stuttgart.de, www.zukunftpassiert.de, www1.stuttgart.de/stadtbibliothek, www.kulturnetz-tuebingen.de/virtuelleartothek, www.sabine-merk.com, www.bueromoebelstuttgart.de, www.idealpflanzenservice.de