„Geschichten aus dem Wienerwald“ als Oper in drei Akten mit einem Libretto von Michael Sturminger und Musik von HK Gruber feierte im Theater an der Wien eine fulminante Premiere.
Man liebt, was man kennt. Das ist nicht nur mit den Menschen so. Das gilt auch für die Kunst. Nicht umsonst sind Klassiker in den Theaterhäusern Dauerbrenner. Man liebt vor allem auch in der Musik das, was man kennt. Dort vielleicht am allermeisten.
Möglicherweise ist gerade dieser Umstand jener, der die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ die derzeit im Theater an der Wien gespielt werden, so erfolgreich macht. Der Text des von Ödön von Horvath stammenden Werkes wurde von Michael Sturminger gekürzt und bleibt dabei markant, grob, laut, zugleich aber auch in verdichteter Weise psychologisch treffsicher. HK Gruber schrieb dafür die Musik, die so viel Bekanntes bereithält, dass man beschäftigt ist, dies alles aufzuzählen. Walzer, Landler, Polkas, Schlager, Operettenmelodien, Richard und Johann Strauss-Kompositionen und dennoch: Nichts davon wird platt zitiert, von allem gibt es nur homöopathische Dosen. Die reichen aber für den Wiedererkennungswert völlig. Darunter gibt’s meist dunkles Gebräu. Klänge, welche die kleinen Melodiefetzen mit schwarzen Schleiern umgeben, oder so auf einen Präsentierteller heben, dass man es mit der Angst zu tun bekommt. Dann wieder bemüht der Komponist ein hochgradig verstimmtes Klavier, auf dem der Walzer „Geschichten aus dem Wienerwald“von einer Realschülerin geübt wird. Zwar in der linken Proszeniumloge von den Blicken des Publikums versteckt, aber so unsäglich holprig und falsch, dass man das Zuschlagen des Klavierdeckels am Ende des Stückes verstehen kann. Den in der Horvath Satire benannten Musikstücken entspricht HK Gruber in vielen Fällen, wenngleich in seiner eigenen berauschenden musikalischen Interpretation.
Neben all den vermeintlichen Zitaten gibt es aber auch jede Menge Neues. Vor allem die Behandlung von Duetten erfolgt nach einem sehr plausiblen und wortbetonten Muster. Unterschiedliche Instrumentengattungen werden dafür eingesetzt, die beiden Singstimmen zu unterstützen und das mit schlanken Besetzungen so klar und deutlich, dass der Text durchgehend verständlich bleibt. Nur das Schlussduett von Marianne und Oskar verdichtet sich so derart, dass man nicht mehr von einem leicht durchschaubaren Kompositionsmuster sprechen kann, werden doch beide Stimmen kunstvollst überlagert. HK Gruber schafft es immer, die emotionalen Zustände der am Geschehen Beteiligten in der Musik zu spiegeln und legt auch Wert auf musikalische Übersetzungen einzelner Wörter. So wird zum Beispiel die Beschreibung des Himmels durch Glockenschläge ergänzt, geht es um den kleinen Ludwig, ertönen einfache Xylophonklänge, um nur zwei Beispiele zu veranschaulichen.
Eine Besetzung wie aus dem Bilderbuch
Sturminger, der auch inszenierte, hält sich bis auf wenige Adaptionen an Ödön von Horvaths Vorgaben und Figuren. Er belässt das Geschehen auch in der Vorkriegszeit. Den einzigen Jetzt-Bezug schafft er im Bühnenbild. Einerseits mit dem Blick von der Donauinsel auf das Vienna International Center und die umliegende Gegend . Dabei lässt er ganz am äußeren Ende des Geschehens im sonst sehr statischen Video, das nur die Landschaft einfängt, Radfahrer an der Szenerie vorbei rauschen. Andererseits zeigt er das Häuschen in der Wachau in einer tristen Umgebung entlang der Schnellstraße. Die Oper, ein Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und 2014 dort uraufgeführt, wurde herausragend besetzt. Kein einziger Charakter, der hier falsch eingekauft worden wäre, ganz im Gegenteil. Ilse Eerens, die in der Rolle der Marianne in Wien unter großem Jubel ihr Debüt gab, ist nicht nur optisch jenes zerbrechliche junge Wesen, dass sich abseits von Konventionen ihr eigenes Lebensglück suchen möchte. Ihr klarer, heller und zugleich warmer Sopran überzeugt vor allem auch in den hohen Partien. Eine absolute Neuentdeckung, die hoffentlich noch oft in Österreich zu hören sein wird. Angelika Kirschlager spielt und singt fulminant Valerie, die Trafikantin, deren Mutterwitz und Lebenserfahrung es ihr möglich machen, nicht zu verbittern und selbst in Niederlagen noch den Kopf aufrecht halten zu können. Schauspielerisch wie auch gesanglich ein Erlebnis. Man meint, förmlich den Prototyp einer gewerbetreibenden Wienerin in den besten Jahren auf der Bühne zu sehen und verspürt zwischen der Zeit, in der das Stück spielt und heute keine Diskrepanz.
Oskar, der Fleischermeister, der Marianne heiraten möchte, ist hier kein Unbekannter. Jörg Schneider, Mitglied der Volksoper, war drüber hinaus schon im Musikverein, an der Staatsoper und auch im Theater an der Wien in verschiedenen Rollen zu hören. Er beeindruckt mit seinem unglaublichen zarten und durchscheinenden Tenor, mit dem er im Gegensatz zu seiner Leibesfülle in dieser Oper auch die grundlegende Weichheit des Charakters des sitzen gelassenen Bräutigams spiegeln kann. Mit der großartigen Anja Silja, bekannt für ihre Wagnerpartien, wurde die Rolle der Großmutter derart passend besetzt, dass man sich nach dieser Aufführung gar keine andere Interpretin vorstellen kann. Ihren abgrundtief schlechter Charakter zeichnet HK Gruber mit dem Einsatz von schrecklichen, eine Zither imitierenden Klängen nach, die sie auf der Bühne mit grauenhafter Geste mehr schlägt als spielt.
Das clevere und effektvolle Bühnenbild beeindruckt in jeder Szene
Renate Martin und Andreas Donhauser müssen eine besondere Erwähnung finden. Schufen sie doch Kostüme und ein Bühnenbild, das schlicht umwerfend ist. Gewiss, man benötigt dazu alles, was eine moderne Bühnentechnik anzubieten hat, inklusive filmischer Aufnahmen. Aber es tut gut zu sehen, dass auch zeitgenössisches Musiktheater nicht allein durch Verzicht auf die Wiedergabe von Schauplätzen ausgezeichnet funktioniert. Wie hier neue Technik mit uraltem Theaterzauber – wie sie durch das Vorschieben des offenen Beichtstuhles in der Szene im Stephansdom vorkommt – miteinander verschränkt werden, zeugt von großer Klasse. Die Visualisierung der benachbarten Geschäfte durch ein überdimensionales Foto und eine Verdoppelung derselben durch eine dreidimensionale Anordnung des Sujets, versetzt die Zusehenden nicht nur in der Fantasie in den 8. Wiener Gemeindebezirk. Man meint, sich am gegenüberliegenden Gehsteig zu befinden und das Geschehen aus allernächster Nähe mitzuverfolgen. Die Verschränkung zwischen dem ersten und letzten Bild, in welchem Marianne aus wallenden Nebeln auftaucht, um in ebensolche in den Armen von Oskar wieder zurückgetragen zu werden, gelingt wunderbar und macht die Einsamkeit der Figur emotional nachvollziehbar.
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Die Wiener Symphoniker, das Vokalensemble Nova sowie das Jazzorchester Vorarlberg spielten unter der Leitung von HK Gruber selbst in Bestverfassung. Daniel Schmutzhard (Alfred), Albert Pesendorfer (Zauberkönig), Anke Vondung (Mutter) und Michael Laurenz (Erich) sollen noch stellvertretend für alle anderen Sängerinnen und Sänger genannt werden, die, wie schon eingangs erwähnt, eine Idealbesetzung darstellten.
Ödön von Horvaths entlarvender Blick auf eine unbarmherzige Gesellschaft wurde in dieser Neuinterpretation in einem Gewand vorgestellt, das dem Drama so auf den Leib geschnitten scheint, dass sich die Oper in Zukunft zu einem Klassiker mausern müsste. Gewiss, das Herunterreißen der verlogenen Maske des goldenen Wienerherzens ist auch heute noch für manche harter Tobak. Geht man jedoch durch die Straßen, gesäumt von unzähligen Bettlerinnen und Bettlern, und fährt man durch verkehrsplanerisch zerstörte Nachbargemeinden, müsste man merken, dass dieser künstlerisch aufgesetzte harte Tobak von der Realität noch um ein Vielfaches übertroffen wird. Ein absoluter Ausnahmeabend, den man nicht nur einmal sehen kann und der wieder einmal zeigt, dass das Theater an der Wien mittlerweile zu einem Hotspot zeitgenössischen Musiktheaters avancierte.