Man kann mit Kindern auch keinen Spaß haben

Kinder sind ein Wunder, jedes einzelne. Eltern wiederum sind in 9 von 10 Fällen ein Grund, um sich zu wundern. Die eine Ausnahme bin natürlich ich; weil ich perfekt bin und ALLES, wirklich ALLES absolut und immer richtig mache. Dass das alle anderen Eltern auch von sich denken, ist mir schon klar und in die Statistik eingerechnet. Einen Beweis dafür erhielt ich am vergangenen Wochenende beim Besuch eines Familienfreundlichen aka Kindercafés. Normalerweise kann an diesen Orten der Lautstärkepegel gemessen werden, bei dem jede Heavy Metall Rockband, die auf der Start- und Landebahn des Frankfurter Flughafens während vollen Flugbetriebes spielt, neidisch wird. Es wird geschrien, gelacht, geweint, mit harten Gegenständen auf den Boden geklopft, mit Essen und Geschirr geschmissen, Mobiliar und andere Kinder umgeschubst, getanzt, gehüpft, gespuckt und sogar laut gepupst. All das gleichzeitig. Beim Verlassen dieser oft dennoch süßen und bunten Lokale, kommt mir das Lärmen der nächsten Autobahn vor wie meditatives Meeresrauschen.

Doch diesmal herrschte Stille im Café, als ich reinkam; nicht weil es leer gewesen wäre, oder weil meine Mitmenschen endlich mal erkannt hätten, dass man auch mal vor Staunen erstarren kann, wenn ICH, ICH HÖCHSTPERSÖNLICH, den Raum betrete. Fast auf jedem Stuhl saß jemand. Doch kein einziger und keine einzige unter 36. Selbst für demonstrativ junggebliebene ist der Besuch eines Kindercafés ohne Anhängsel unter 12 Jahren seltsam. Noch skurriler war, dass sich niemand der Anwesenden in einer Konversation betätigte. Ein selbst für ein kinderfreies Cafe nicht ortsgerechetes Verhalten. Stattdessen wurde müde auf Smartphones und Tablet herum gewischt und ab und an, auch mal ein Blick durch den Raum geschmissen, aber ohne jede Bewegung der Mundwinkel. Ich fragte darum die hinter der Theke zusammengescharrten Cafetanten, was denn los sei, ob heute vermutlich keine Kinder im Kindercafé erlaubt seien.

„Nee, gerade läuft nur noch das Casting von Verstehen Sie Spaß“, erklärte mir die nette Dame, hinter der Vitrine voller Kuchen und Muffins. Kurz wachte meine Paranoia auf. Casting? Kameras? Verstehen Sie Spaß? Ich? Nein, ehrlich nicht. Spaß mag ich gar nicht und daran gibt’s auch nichts zu verstehen.  Oh shit, bin ich da in irgendwas reingelaufen, das mir peinlich sein sollte? „Sucht euch doch einfach einen Platz, gleich kommen noch Kinder. Der normale Betrieb startet heute etwas später“, empfahl man mir dann. Nagut, nagut. Mit Kind sitzt man sowieso immer auf dem Boden. Ich bestellte mir also meinen Cappuccino in die Spielecke und kam meinem mütterlichen Auftrag der frühkindlichen Förderung nach, in dem ich meinem kleinen Schatz ein Spielzeug nach dem nächsten zum Anlecken reichte. Während wir da so unserem Babybusiness as usual nachgingen, schoss doch immer mal wieder ein skeptischer Blick zu uns runter. Wie jede verantwortungsvolle Mutter, schnupperte ich kurz an meinem Baby. Vielleicht hatte er ja gepupst und man sah uns deswegen so komisch an. Nein, scheinbar noch alles frisch. Ich schnupperte kurz an mir. Auch alles okay. Ich zog mein Smartphone aus der Tasche und kontrollierte, ob ich Karottenbrei-Strähnchen im Haar hatte. Auch hier schien mir alles clean.

Was war nur los? Ich meinte eine Frau ein paar Meter weiter leise flüstern zu hören: „Die werden auch immer jünger.“ Was denn? Wie bitte? Eigentlich werden Babys immer älter, jeden Tag, und dazu noch größer und dicker. So wie wir alle, bis wir irgendwann 200 Jahre alt, vier Meter groß und kugelrund sind. Circle of Life, Baby. Ich fühlte mich so unwohl, dass ich meinen entkoffeinierten Kaffee wie ein vollalkoholisches Destillat, in einem Schluck, meine Kehle runterspülte.  Den Drang der Kellnerin zuzurufen: „Noch einen, einen doppelten, bitte!“ musste ich unterdrücken. Wir spielten noch eine Weile in die Stille hinein. Die Augenpaare um uns herum, lösten sich eins nach dem anderen von ihren leuchtenden Endgeräten. Als dann doch eins meinen Blick traf, fragte ich: „Sie sind also hier wegen des Castings?“ Nur ein Nicken, statt einer verbalen Antwort kam über den Tisch neben uns. Der Mann sah sich sogar um, um zu überprüfen, ob er denn wirklich gemeint war oder sich noch jemand anderes fände, der sich auf die Unterhaltung einlassen könnte. „Und was passiert da?“, fragte ich weiter. Er sah nochmal zur Seite. Da wurde aber nur schnell weggeguckt, wie in der Schule, wenn der Lehrer oder die Lehrerin so unverschämt werden, jemanden ungemeldet dranzunehmen. „Wissen wir nicht“, antwortete der Herr für’s schweigende Kollektiv. Die Fragezeichen in meinen Augen, veranlassten ihn dann noch zu einem weiteren halb genuschelten Satz: „Wir durften nicht mit rein.“ Die Fragezeichen blieben in meinen Pupillen. Selbst mein kleiner Begleiter sah kurz vom Spielzeug auf. Was war denn hier los. „Eltern sollten draußen bleiben“, wurde mir erklärt. Und da fiel das Bauklötzchen. Achso! Ein Kindercasting! Und das hier waren alles wartende Eltern! Deswegen redete hier keiner. Im Showbusiness spricht man ja nur über die Konkurrenz und nicht mit ihr!

„Und sie hatten gehört, dass hier ein Casting ist und dachten, da gehen wir mal vorbei. Ist ja vielleicht lustig?“, wenn man schon den Fehler begeht, in ein Gespräch mit mir zu plumpsen, kommt man da nur mit einem Abschleppseil und einem Jepp wieder raus. Der Vater des zukünftigen Filmsternchen schüttelte den Kopf und belehrte mich: „Die Agentur hat uns hergeschickt. Unser Sohn ist bei einer Agentur!“

Während über meinem Kopf Gedankenblasen mit „Aha! Aha! Aha!“ emporschwebten, öffnete sich dann auch die Tür zum Nebenraum und ein Mann vom Fernsehen (zu erkennen an der schwarzen Hose mit vielen Taschen, dem schwarzen Hoodie, vermutlich mit schwarzem T-Shirt darunter – von den Farben her die Uniform eines Architekten, aber dann doch viel zu schlunzig umgesetzt) betrat die Bühne bzw. das Cafe. Es folgte eine Gruppe von Kindern, gerade zu alt für die Grundschule, oder nicht mehr? Oder doch älter? Auch als Mutter, fällt es mir super schwer zu sagen, wie alt Kinder sind. Die, die da kamen konnte zumindest schon laufen, sprechen und hatten noch keine Pickel, aber etwas zu große Füße für ihr Körpergesamtformat.

„Ist die Mutter von Philipp* hier?“ rief der Fernsehmann in den Raum. (*Name von mir geändert, nicht um irgendjemandes Privatsphäre zu schützen. Ich hab mir den Namen schlicht mal wieder nicht gemerkt, tue ich nie. Ich bin schon froh, wenn ich den Namen meines Sohnes richtig treffe.) Eine sehr gut gekleidete Mutter sprang auf und verbreitete ihr sehr gut riechendes, vermutlich sehr teuren Parfüm. Vielleicht war es aber auch nur der pure Stolz, der da von ihr aufstieg. Denn ihre Augen funkelten, bereit sofort in den Flieger nach Hollywood einzusteigen. „Wir haben mit Wasser hantiert und ihr Sohn hat da an der Hose einiges abbekommen. Wollte ich ihnen nur sagen, nicht dass sie denken, dass das, naja, was anderes ist,“ holte sie der Fernsehmann auf den Boden der Economy Class zurück. Von 100 auf Null fiel ihre stolze Brust zusammen.

Kaum waren die Kinder aka Jungdarsteller da, stieg die Lautstärke wieder auf die Dezibelwerte eines Vulkanausbruchs und der Vater, mit dem ich mein zähes Pläuschchen geführt hatte, ergriff die Flucht ohne mir Tschüss zu sagen. So konnte ich meine brennenste Fragen nicht mehr stellen: Wissen Kinder eigentlich noch was Fernsehen ist? Wo kann ich mein Baby für seine Youtube-Karriere anmelden? Und darf ich dann als Mutter in Kindercafés auch keinen Spaß mehr haben? Oder bestelle ich mir lieber einfach ein Stück Kuchen?



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