Malerei als Medizin gegen Fernweh

Von European-Cultural-News

Graue Tage in Wien evozieren gerne Fernweh, aber auch die Überlegung, eines der vielfältigen Kulturangebote zu nutzen. Mit der Ausstellung „Vietnam Reworked“ in der Galerie Kunst & Handel in der Himmelpfortgasse kann man im Moment sowohl sein Fernweh als auch den Hunger nach Kunst stillen. Verantwortlich dafür ist Alfred Resch, in Graz lebender Künstler, der von der Galerie Sommer bereits seit vielen Jahren vertreten wird und dort immer wieder mit Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen präsent ist.

„Vietnam Reworked“ – der Titel ist Programm. Zu sehen sind Photos, die Resch bei einer Vietnamreise aufgenommen hat, um sie anschließend mit Ölfarbe zu überarbeiten. Arnulf Rainer winkt von fern – mit hektischen Gesten, seine Übermalungen von Landschaften ergehen sich in dunklen Farben. Schwarz sowieso. Heischen nach Aufmerksamkeit, oberflächlicher, um den Blick abprallen zu lassen. Resch hingegen bleibt in seinem malerischen Duktus oft sogar kleinteilig, verwendet Farbe nicht als einmal getroffene Wahl, sondern als Anpassung an das Reale. Oder aber als Gegenpol. Immer jedoch variabel. Als Endprodukte sind schließlich unterschiedliche stilistische Variationen innerhalb des Themenbereiches übermalte Fotografie zu erkennen. Dabei arbeitet Resch einerseits mit Streifenüberdeckungen, die er schon in seinen frühen Werken als Kennzeichen einsetzte. Das Bild wird mit abziehbaren Folien teilweise bedeckt, die Fläche dann bemalt, um schließlich die einzelnen Folienstreifen schrittweise wieder abzunehmen. Andererseits übermalt er die Photos mit Walzen und Pinseln direkt und kratzt aus der Farbe mit dem Pinselstil grafische Elemente heraus. Dadurch entsteht eine lebendige Oberfläche, die einmal mehr, einmal weniger das Darunter verdeckt. Allen gezeigten Bildern gemeinsam ist ein kleiner, freigelassener Rand von ca. 1,5 Zentimetern, der das Ursprungsfoto zeigt. Dieser klitzekleine Rand hat es aber in sich. Er ist jenes Moment, in welchem die Wahrnehmung dazu verleitet wird, auch im übermalten Teil nach Bekanntem zu suchen. Nach Fortsetzungen der frei gelassenen Randteile. Resch erreicht damit aber nicht nur eine Art Bilderrätsel, dem man unbedingt auf den Grund gehen möchte. Vielmehr zwingt er die Betrachtenden zu einem genauen Hinsehen. Einem Vergleichen, einem Abwägen, einem Abmessen der Fläche mit den Augen, schlicht – einer gesteigerten Aufmerksamkeit dem Bild selbst gegenüber. Erst in dieser Auseinandersetzung werden jene Feinheiten sichtbar, die den Reiz der gesamten Komposition ausmachen. Dabei kommt man zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, welchen Abstand man bei der Betrachtung zum Bild einhält. Ähnlich wie im Pointilismus erkennt man bei einem weiteren Abstand die Gesamtkomposition wesentlich besser. Steht man aber nur wenige Zentimeter von der Bildfläche entfernt, kann man die Pinselstriche, den Walzenauftrag oder die Gravuren besonders gut erkennen.

Als Motive hat sich Resch Menschen gesucht, die er portraitierte – wie jene junge Frau, die sich in der Ausstellung gleich mehrfach wieder findet. Einmal in einem beinahe eklektizistischen Stil, umrahmt von Mustern, die an Gustav Klimts Damenportraits erinnert. Das Bild erstrahlt in hellen blau-grauen Tönen und lässt nur das Gesicht der Portraitierten völlig unbehandelt. Ein anderes, direkt daneben Gesetztes, zeigt dieselbe Frau in anderer Pose, dieses Mal jedoch mit dunklen Farben übermalt. Das Gewühl von Menschen in der Großstadt Hanoi oder Motorradfahrer, die sich bei der Überfahrt auf einer Fähre befinden, sind ebenfalls präsent. Ein Bauer im Reisfeld – so übermalt, als probte Resch einen speziellen, lyrischen Impressionismus oder der Blick auf eine rote Felsformation, wie ein Musterbeispiel naturalistischer Abstraktion gestaltet, zeigen die große stilistische Bandbreite mit der Alfred Resch arbeitet. Zu letzt genanntem Bild erklärte Resch:„Das Bild ist nicht weit vom Photo weg, die Farbfelder im Gestein sehen in Natur auch so aus und auch die aufgetragene Farbe selbst ist ziemlich nah am Original“. Ein gutes Beispiel für den an zeitgenössischer Kunst geschulten Blick, der in der Natur selbst jene Abstraktionen sieht, die er danach dem Foto erst beibringen möchte.

Der Vietnamzyklus von Alfred Resch gerät nur in einigen Bildern zur idyllischen Urlaubserinnerung. In anderen, vielen anderen jedoch, ist es einerseits der scharfe Blick für das richtige Sujet, der besticht. Andererseits die Übermalungen, die das Freigelassene wie aus einer anderen, künstlichen Welt erscheinen lassen. Und das in Bildern, die nicht Urlaub evozieren, sondern den Verkehr in einer Großstadt, das Zusammengepferchtsein auf einem Boot oder Wäsche, die im Wind trocknet und nur mehr aus grafisch aufgelösten Elementen besteht, die mehr verhüllen als freigeben. Gerade diese Abkehr der realistischen Lesbarkeit von Fotos, erreicht mit grafischen und malerischen Mitteln, machen diese Arbeiten so reizvoll.

Noch bis 24. April in Wien in der Galerie Kunst & Handel

Ferry Boat

Der Blick wird magisch nach oben gezogen, hin zu jenen, die zurückschauen. Durch schmale Augenschlitze blicken sie aus ihrer Zeit und ihrem Raum in mein Hier und Jetzt. Eingefroren und doch jederzeit startbereit. Wie Wesen aus einer anderen Galaxie tragen sie ausnahmslos Helme. Zu ihrem Schutz – oder um nicht erkannt zu werden? Ihre leicht gebogene Körperhaltung lässt sie in einer Art Schwebezustand erscheinen. Und immer wieder die starren, dunklen Blicke, die nicht aufhören, mich anzusehen. Querverspannte Eisenhalterungen hindern sie offenbar daran, aus dem Bild zu fahren, zu steigen, zu springen. Bilden eine geisterhafte Sperre. Eine stabile Abwehr. Darüber weiße Eisenträger, quer über alle Köpfe, darauf, rechts an den Bildrand gedrängt, große, zylinderartige Gefäße. Schwimminseln, Rettungselemente oder gehören sie zu einer technischen Ausstattung, deren Benutzung nur den Seeleuten auf der Fähre keine Rätsel aufgibt?

Gedränge unter Helmen mit Sehschlitzen, immer noch. Das Knattern der Motorräder eingefroren in einen hellen Dunst. Über einem verwaschenen Blau. Einem Blauwasser, einer Spiegelfläche, einer filigranen Farbschicht, die Mensch und Maschine an ihrer Oberfläche hält und sie nicht einsinken lässt. Jederzeit bereit, sich in einem nassgünstigen Moment doch über sie zu ergießen. Über jene, die keinen Gedanken daran verlieren. Keine Gedanken an ein Ende, an ihr Ende. Die nur damit beschäftigt sind, ihre Sehschlitze zu nützen, permanent, ohne Unterlass. Die aus ihrer Zeit und ihrem Raum in mein Hier und Jetzt blicken. Der Rand am Rand – Helles und Dunkles, Himmel, Meer und Fähre. Ein Stück Haus, ein Dock, eine Ausfahrtsmöglichkeit, ein Anlandbringen, das Ende vom Blauwasser. Wie, wenn alles nur geträumt?

End of a day in school at the countryside

Sie schieben ihre Fahrräder im Pulk, leicht bergauf. Sie – Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Ihre Gesichter sind nicht erkennbar, nur von hinten sieht man das Schwarz ihrer Haare. Lange, zu Schwänzen gebundene Haare, Rossschwänze sagte man einmal – in meiner Kindheit. Sagt man das immer noch, ist das politisch korrekt? Und kurze Haare – sie gehören zwei Männern. Quer über deren Schultern hängen große Taschen, hell blinken Reißverschlüsse. Verschlossene. Darin wohl Federpennale – sagte man einmal in meiner Kindheit. Sagt man das immer noch? Wohl Hefte und Bücher. Vielleicht etwas Essbares, etwas zu trinken? Obst? Schon aufgegessen? Münzen oder Papiergeld in einem kleinen Täschchen? Abweichend von den schwarzen, schmal geschnittenen Hosen, leuchtet eine am rechten Rand rot heraus. Die Schultasche gleich nebenan konkurriert in rot-blau. Ich kann mehr Farbe als du! Rosarot ein einziges Shirt, mit dem Fahrrad darunter in Konkurrenz tretend, nein, eine Einheit bildend, eine farbliche Seelenverwandtschaft – du mein Fahrrad, du! Das Feld davor, dahinter und darunter, hell, nur durch Schraffuren belebt. Der Photorand zeigt – es ist kein Feld, sondern ein Feldweg. Links und rechts davon grünes Gras. Nicht zu sehen unter den Fahrrädern, die geschoben werden, im Pulk, leicht bergauf. Gemeinsam in eine Richtung. Auch nach der Schule, so sagt es der Titel, und der muss es ja wissen. Der vermeintliche Winter, der sich unseren unwachen Blicken eiskalt unter unsere Schädel unterschieben möchte, ist ein Sommer. Grün und saftig und so warm, dass die Ärmel aufgekrempelt werden. Der Vermeintliche kommt nicht vom Foto selbst, er ist ein malerisches Konstrukt. Ein „in-die-Irre-führen“, ein Scherz, eine Auslöschung von Farbe durch Farbe. Oder vielmehr eine Auslöschung von Farbe durch eine Nicht-Farbe. Sie schieben die Fahrräder beständig, immer noch. Sie werden sie immer weiter schieben, immer weiter, ohne je anzukommen. Wie viele sind es eigentlich? Und gibt es dort Winter?