Niggemeier, eine Niedersachse wie die Sängerin Lena, etwas dicker, aber als Medienaufseher seit seiner Erfindung des "Bild-Blog" beinahe ebenso erfolgreich, handelte das Thema Anfang des Jahres in einem vor innerer Empörung zitternden Beitrag ab, der sich eine Bild-Meldung über angeblich sinkende Zahlen bei rechtsextremen Straftaten zum Aufhänger nahm. Wegen eines " alten, aus ideologischeren Zeiten übrig gebliebenen, rechten Reflexes" sei das Blatt wohl daran interessiert, "das Ausmaß rechtsextremistischer Gewalt in diesem Land kleinzureden", analysierte Niggemeier messerscharf, ehe er daran ging, "exemplarisch" (Niggemeier) zu beschreiben, wie "flächendeckende Desinformation" mit einer "Falschmeldung über den Rückgang rechter Gewalt" (Niggemeier) betrieben worden war.
Am Anfang habe „Bild”-Chefkorrespondent Einar Koch gestanden und mit ihm sein "Wahn, die Zahl rechtsextremer Gewalt kleinschreiben zu wollen", hieß es in Niggemeiers Blog-Beitrag "Malen nach Zahlen". Anschließend seien reihenweise unverantwortliche Medienkollegen gekommen und hätten die von "Bild" in die Welt geblasenen Zahlen weiterverbreitet - ein Beweis dafür, dass der "Zahlenfetisch der Massenmedien bizarre Ausmaße" angenommen habe, wie Niggemeier, eine Ikone der deutschen Internet-Unterhaltung, folgerte.
Die Runde herum stimmte dann auch - ein Abschreiben hier, ein Weitersagen dort. Es war wie immer bei der stillen Post, niemand wusste etwas, aber alle waren bemüht, es möglichst schnell weiterzusagen, obwohl die "Bild", so Niggemeier im Brustton ehrlichen Entsetzens, nicht einmal die vorläufigen, geschweige denn die offiziellen Statistikzahlen zur Rechts-Kriminalität abgewartet hatte.
Also sowas auch! Wartet nicht ab! Zitiert ungenannte Quellen! Um zu verharmlosen! Niggemeier, er sich seine ersten Sporen beim Werbefachblatt "Werben&Verkaufen;" verdient haben soll, schlug mit dem ganz großen Hammer um sich." Sie möchte gar nicht wissen", hielt er der "Bild" vor, "wie sich die Zahl der rechten Gewalttaten im vergangenen Jahr verändert hat. Sie möchte nur irgendwas als erster melden, was vielleicht stimmt und vielleicht nicht."
In dem von ihm angeprangerten Fall waren die Zahlen bei den rechtsextremistischen Straftaten nämlich ausnahmsweise gefallen, laut Vorabmeldung der "Bild". Üblich und medialer Konsens dagegen ist, dass sie steigen, Jahr für Jahr, zuverlässig und unter breiter medialer Anteilnahme, obwohl die journalistische Grundregel sagt: Mann beisst Hund = Nachricht, Hund beisst Mann = keine Nachricht.
Hier biss der Mann den Hund und die Bild machte eine Nachricht draus, Niggemeier hingegen nutzte diese Gelegenheit, sich zu empören: Der Rechtsradikalismus werde mit Falschmeldungen verharmlost, jaja, mindestens. Wer darauf verwies, dass sämtliche von den Behörden genannten und in den Medien kolportierten Zahlen es an innerer Logik mangeln lassen, weil etwa zuletzt 624 rechte Gewalttaten nur 614 Opfer hatten, wie PPQ vorgerechnet hatte, bekam von Niggemeier als oberster Instanz eines ideologisch sauberen Journalismus den Rüffel, er agiere "ähnlich schlimm wie Politically Incorrect".
Offen muss deshalb die Frage bleiben, wie empört Niggemeier über die "Bild" gewesen wäre, hätte das Boulevardblatt gemeldet, die Zahl der Fälle rechtsextremer Straftaten sei gestiegen, obwohl das die Falschmeldung gewesen wäre. Denn die von Niggemeier als falsch und verantwortungslos bezeichnete Bild-Vorabmeldung zu den gesunkenen Zahlen stellte sich zwei Monate nach seiner Philippika gegen das vorschnelle Melden nicht-amtlicher Statistikzahlen als nahezu völlig richtig heraus. Allerdings betrug der Rückgang der rechten Gewalttaten nicht wie von "Bild" gemeldet 8,5 Prozent, sondern 13,8 Prozent betrug, der Rückgang bei den rechtsextremistischen Straftaten insgesamt hingegen lag nicht wie von der "Bild" vermeldet 0,35, sondern bei 4,7 Prozent.
Aber das erklärt sich schnell, wenn man Niggemeier noch einmal liest: "Die endgültigen Zahlen sind immer höher als die vorläufigen", schrieb der Kenner damals. Seitdem hat er sich zum Thema wohlweislich nicht mehr zu Wort gemeldet.Wir sprechen zwar verschiedene Sprachen. Meinen aber etwas völlig anderes.