Mala – Bruce Lee des Dubstep

Mala – Bruce Lee des Dubstep

Publikum auf dem Outlook Festival 2010

Vom diesjährigen Outlook Festival haben wir bereits mehrfach berichtet. Unerwähnt blieb bisher, dass man dort die unzähligen Abzweigungen des von Simon Reynolds beschworenen Hardcore Continuums quasi gleichzeitig erleben konnte. Nicht nur deshalb bot es sich an, zwischen unzähligen Bassdrops und dunkel gebratenen Cevapcici das Gespräch mit der unbestrittenen Dubstep- Legende Mala zu suchen. Ende 2010 scheint es außerdem, an der Zeit zu sein, der Vergangenheit von Dubstep nachzuspüren und dabei die Gegenwart zu reflektieren. Ein exklusives Interview

Nach den Aussagen des 23-jährigen Mitorganisators Joe Barnett befanden sich unter den ca. 5.000 Besuchern 75 % Engländer, was aufgrund der fast ausschließlich im Geburtsland moderner Bassmusik getätigten Werbung jedoch nicht verwunderlich ist. Und trotzdem hatte das Festival einen internationalen Charakter, der historisch begründet ist: englischer Dub-Import aus Jamaika Mitte der 1970er-Jahre; die Vermischung mit US-amerikanischem House vor allem in London: Hardcore, Jungle, Two Step und so weiter – seit den 1990ern nimmt die Hybridisierung kein Ende. Was bleibt, sind die beiden Konstanten tieffrequentiger Bass, komplexer Beat und Dubstep als nächster Zwischenstation. Einer der bedeutendsten Produzenten und mittlerweile unbestrittene Legende dieser Musik ist Mala aus London, der zusammen mit Sgt. Pokes, Loefah und Coki  das legendäre Label DMZ betreibt. Als sein Seit begann, konnte man überall die physische Wirkung der Musik beobachten: Die Anwesenden wurden regelrecht in eine widersprüchliche Mischung aus Ekstase und Kontemplation katapultiert. Der immense Bassdruck ließ eine höchst immersive Atmosphäre entstehen, die sich in den unterschiedlichsten Tanzstilen entlud, sodass man den Eindruck bekam, jeder würde zu einer anderen Musik tanzen. Diese Art des In-sich-gekehrt- Seins braucht Mala auch zum Produzieren, wie er,  zunächst etwas müde, zu Protokoll gibt:

„Um kreativ zu sein, benötige ich eine gewisse Isolation. Für mich gibt es immer einen bestimmten Prozess, der geschehen muss, damit ich einen Track beenden kann. Ich benötige das Studio, um Musik zu machen, denn es braucht viel Zeit, um eine fokussierte Konzentration zu erreichen. Musik ist für mich kein Endprodukt, es geht nicht darum, etwas zu veröffentlichen. Für mich ist das eigentliche Vergnügen nur das Suchen und Finden im Studio.“

Phire: “Hast du aus diesem Grund auch dein neues Album Return II Space genannt?”

Mala: „Ja, denn im Studio kann ich manchmal den ganzen Tag verbringen, ohne irgendetwas anderes zu tun. Dann brauche ich noch nicht einmal die essentiellen Dinge, die man als Mensch benötigt. Es ist ein pures Gefühl der Energie, man lebt einfach nur diesen Moment. Letztes Jahr spielte ich so viele Shows, dass ich mich richtig verloren fühlte. Und mit Return II Space fand ich wieder zu meinem eigenen Raum zurück.“

Mala – Bruce Lee des Dubstep
MC Sgt. Pokes, Labelkollege bei DMZ, während Malas Set (Foto: Ashley Taylor)

Mala sitzt währenddessen bei Orangensaft und entspannter Nachmittagssonne am höchsten Punkt der Festung. Der hinter ihm liegende Ausblick könnte genauso gut Gegenstand eines impressionistischen Gemäldes sein. So malerisch erheben sich die von der Sonne angestrahlten grauen Festungsmauern, während sie das verheißungsvolle Glitzern des adriatischen Meeres leicht verdecken. Die Natur, gepaart mit dieser historischen Anmutung, bildet einen interessanten Kontrast zur durchdigitalisierten Szene, in denen Internetforen mittlerweile mehr sozialer Treffpunkt sind als Plattenläden. Was der Engländer und leidenschaftliche Vinyl- Verfechter kritisch sieht:

M: „Das Internet bringt eine Art Feigheit mit sich. Ohne die Anonymität dieser Netzwerke wären die Menschen viel ehrlicher zueinander. In London benutzen die Menschen nicht mal mehr Türklingeln. Stattdessen rufen sie per Handy an.“

Die Tatsache, dass es auf seinem Label DMZ keine digitalen Releases gibt, macht seine Skepsis gegenüber dem Zeitalter der allgegenwärtigen technischen Reproduzierbarkeit am besten deutlich. Als er aber kürzlich aufgrund seiner Erlebnisse in Venezuela bemerkte, dass vielen dort der Weg zum Plattenladen verwehrt bleibt, veröffentlichte er auf seinem eigenen Label Deep Medi mehrere CD-Compilations. Aber nicht nur dieser Umstand wurde von der Gegenwart eingeholt. Denn Dubstep ging in letzter Zeit immer wieder Liasions mit Popmusik ein. Da wäre zum einen der zum Star avancierte Skream, dessen Sound sich teilweise dem scheinbaren Lechzen englischer Teenager nach cheesy Remixen angepasst hat und zum anderen die ambitionierten Undergroundkünstler, die vor allem auf Subtilität setzen. Mala weiß auch das zu kommentieren:

„Das Interessante heute ist, wie unterschiedlich auf die Musik der einzelnen Künstler reagiert wird. Als gestern Distance auflegte, konnte man die hohe Konzentration der Leute richtig spüren. Im Gegensatz zum Set von N-Type, bei dem die Leute völlig ausrasteten und ständig ihre Arme hochwarfen. Diese Fokussierung ist genau das, was ich an dieser Musik liebe. Joe Nice war vor ein paar Jahren in meinem Studio. Dort sagte er zu mir, dass meine Musik klingt wie Bruce Lee. Er war ja bekanntlich stets sehr ruhig und ausgeglichen. Aber das, was eigentlich in ihm steckte, war pure Energie. Wenn er wollte, konnte er einfach explodieren. Als ich dies hörte, wurde mir erst richtig klar, was ich tat. Dubstep hat ja mittlerweile viele verschiedene Richtungen. Und manche Leute kritisieren vor allem den Mainstream-Dubstep. Ich aber kenne Skream und Benga z. B. schon lange persönlich und respektiere sie und ihre Musik.“

Mala – Bruce Lee des Dubstep
Mala im Pressezentrum während des Interviews (Foto: automat)

Mala, der Bruce Lee des Dubstep, besser lässt sich seine Musik und Persönlichkeit kaum beschreiben. Zeit, eine Bilanz des Dubstep zu ziehen. Als Außenstehender, der zu der Zeit der Entstehung weder in England war, noch damals etwas von dieser Musik zu hören bekam, konfrontiere ich Mala mit einer Frage, die sich mir schlicht aufdrängte, als ich dieses Frühjahr ein Interview mit dem Musikwissenschaftler und Blogger Adam Harper führte.

Phire: „Kann man Dubstep, diese Musik, die aus dem Kontrast aus gleichzeitiger Geschwindigkeit und Langsamkeit sowie aus der Ästhetik des Stets-etwas-Verbergens ihr innovatives Moment bezieht, nicht als eine Art Opposition verstehen, die sich gegen die damals wie heute doch sehr oberflächliche Musiklandschaft stellt?“

Mala: „Um 2003 war die Musik vor allem eins: schnell. Es ging vor allem um die Build-Ups und die Drops. Und bei dem, was die Leute heute als Dubstep bezeichnen, geht es auch genau darum. Doch damals war die Entwicklung genau umgekehrt. Es gab vielleicht ein 16-taktiges Intro, dann folgte bereits der Drop. Es war Rückwärtsbewegung und Fortschritt zugleich. Im damaligen Dubstep gab es nicht die konventionellen Faktoren, die in der elektronischen Tanzmusik üblich waren. Daher war es interessant zu sehen, wie die Leute im Club darauf reagierten. Als ich mit Coki damals im Studio saß, dachte niemand von uns, dass wir Tanzmusik schreiben. Ich nutzte das Studio, um negative Energie loszuwerden, die sich in meinem Brotjob aufstaute. Es war nie geplant, dass ich Jahre später auf dem Sónar Festival vor 8.000 Leuten auflegen würde.“

Noch während des Interviews wird deutlich, dass Malas gelassene Persönlichkeit das Wesen von Dubstep genau widerzuspiegeln scheint. Er ist stets präsent, hält aber gleichzeitig stets etwas zurück. Zum Schluss hallen seine Worte nach wie die letzten Töne seines großartigen Sets am Samstagabend: „Ich versuche immer so ehrlich wie möglich zu sein und versuche niemandem etwas zu verkaufen, es gibt keine große Presseveröffentlichungen, denn eigentlich geht es doch nur um Sound. Das Problem mit Technologie, mit den Regierungen und mit den Medien ist, dass alle versuchen, die Menschen daran zu hindern, für sich selbst zu denken. Wir können doch alle selbst denken. Und ich hoffe, dass die Leute, die meine Musik hören, selbst denken, und sei es nur für ein paar Sekunden.“

Text: Phire


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