Von Stefan Sasse
Den Oeffinger Freidenker gibt es nun seit über vier Jahren. Viele Themen wurden bereits mehrfach in unterschiedlichen Beiträgen behandelt, so dass es dem Autor oftmals unnötig erscheint, bestimmte Anspielungen oder Einstellungen näher zu erläutern. Seit 2006 hat sich die Leserschaft jedoch stark vergrößert, und für die, die neu dazugekommen sind, mag nicht immer alles sofort klar sein, was der Oeffinger Freidenker schreibt. Die neue Serie "Mal was grundsätzliches…" soll diese Lücke schließen, in dem noch einmal eine Zusammenfassung zu bestimmten Themen gegeben wird. Diese Folge befasst sich mit der LINKEn im Jahr 2010.
Seit der Bundestagswahl 2009 ist die LINKE wie in einem medialen Dornröschenschlaf verschwunden. Obwohl sich die schwarz-gelbe Regierung in einer Geschwindigkeit selbst zerlegt, die selbst die optimistischsten Beobachter nicht für möglich gehalten hätten und die SPD weiter in einem Jammertal der Tränen verharrt, profitiert die LINKE nicht davon. In Umfragen hat sie seit der Wahl sogar an Stimmen verloren. Man hört von ihr nichts von ihr zum Atomdeal, nicht zur Gesundheitsreform, nichts zur Migrationsdebatte. Kein Zweifel, zu jedem dieser Themen hat die LINKE eine Meinung, und die publiziert sie sicher auch brav als Pressemitteilung auf ihrer Homepage. Aber kein Medium interessiert sich dafür, selbst in der Blogosphäre spielt die LINKE kaum eine Rolle. Selbst der aufgebautschte Skandal um Klaus Ernst hat keinen Hund hinter dem Ofen hervorgelockt. Warum ist das so? Wo liegt das Problem der LINKEn?
Selbstverständlich ist das Problem der Medienpräsenz für die Partei auch eines, das von dem Medien selbst geschaffen wird. Sie berichten einfach nicht über die Partei, stattdessen hat sich der Fokus größtenteils auf die derzeit in Umfragen brillierenden Grünen konzentriert. Man muss fairerweise sagen, dass man praktisch die gesamte Legislaturperiode 2005-2009 nichts von den Gründen gehört hat; den Löwenanteil der medialen Aufmerksamkeit hatte die LINKE damals auch sich gezogen. Der eigentliche Grund aber liegt tiefer und ist auch das derzeit mit Abstand größte und gefährlichste Problem der Partei.
Dieses Problem ist nicht lebensbedrohlich für den Bestand der Partei im Parlament. 5% Unzufriedener sollte die LINKE auch in Zukunft als Protestwähler abgreifen können. Es ist aber lebensgefährlich für eine Existenz als politische Alternative, denn eine solche stellt die LINKE gerade nur sehr eingeschränkt dar. Den Mobilisierungs- und Imageschwerpunkt auf den Protestaspekt zu stellen hat der Partei sicherlich geholfen, sich bei den letzten beiden Wahlen so erfolgreich aufzustellen. Sie profitierte davon, dass die SPD sich in der Regierung aufrieb, erst unter Schröder, dann unter Merkel. Das ist jetzt vorbei. Die Sozialdemokraten sind selbst in der Opposition, und der übliche Vergessenseffekt beim Wähler ist bereits ein Jahr nach der Wahl in vollem Gange, deutlich beschleunigt durch das katastrophale Schauspiel, das die schwarz-gelbe Koalition bietet und das die Verwerfungen, die der SPD zuzuschreiben sind, praktisch überdeckt. Allein die Ernsthaftigkeit, mit der man die SPD als Hauptkritiker der Hartz-IV-Reformen der CDU akzeptierte anstatt die bigotte Doppelmoral anzuprangen ist bezeichnend.
Der Hartz-Streit ist ein hevorragendes Beispiel um zu zeigen, an was für einem Problem die LINKE leidet. Musste jemand ernsthaft nach einer Wortmeldung von Klaus Ernst suchen, um zu wissen, welche Position die Partei einnimmt? Sie ist dagegen, und natürlich für eine Erhöhung der Hartz-Sätze, "mindestens" auf 400, aber eigentlich gleich auf 500 Euro. Das vertritt sie schon eine Weile. Sie begründet es auch nicht wirklich. Versteht mich nicht falsch - es gibt eine Menge guter Gründe dafür. Nur hat sich die Partei das Image einer Protest- und Hartz-IV-Interessenpartei zugelegt, und dieses Image steht ihr nun beständig im Weg. Noch einmal: daran sind die Medien alles andere als unschuldig. Aber die LINKE hat kaum echten Konzepte und Visionen, beziehungsweise stellt sie nicht in den Mittelpunkt. Bevor wir aber sehen wollen, was die Partei sein könnte wollen wir zuerst sehen, was sie nicht ist.
Sie ist keine Partei, die einen echten Gegenentwurf zur herrschenden Irrlehre des Neoliberalismus' anbietet. Was sie stattdessen tun will - ich habe das bereits besprochen - ist einfach Geld ins System zu pumpen. So löblich das in diesem Fall auch ist, ein Konzept scheint kaum dahinterzustehen. Letztlich teilt die LINKE das gleiche Ziel der Vollbeschäftigung mit den anderen Parteien. Nur anstatt die Arbeitslosen zu bestrafen, will sie ihnen das Leben angenehmer machen. Das ist sicher vorzuziehen, aber in ein stimmiges Gesamtbild pflegt es sich kaum ein. Die LINKE wurde nicht müde zu betonen, dass die vier etablierten Parteien in einem Gesamtkonsens verhaftet sind, den sie nicht teilt. Das ist richtig. Aber einen eigenen Konsens stellt sie dem nicht entgegen, mehr ein Potpourri, das hauptsächlich aus "Dagegen" besteht. Kein Wunder braucht man bei politischen Themen dieser Tage gar nicht zur LINKEn schauen, sie ist ohnehin dagegen. Das ist nichts Neues.
Aber was ist eigentlich "links" im 21. Jahrhundert? Was steht dahinter? Eine echte Antwort scheint man im Liebknecht-Haus nicht zu haben. Dabei könnte die LINKE tatsächlich so viel sein. Es ist schließlich nicht so, dass kein Bedarf nach einem Gegenentwurf zur herrschenden Politik bestehen würde. Sie bietet ihn nur nicht. Es sind viele Zutaten vorhanden, auf dass jeder nehme was ihm genehm ist und darüber hoffentlich die Teile übersieht, die andererseits stören würden. Aber was würde die Partei tun, käme sie tatsächlich an die Regierung? Würde sie den NATO-Austritt betreiben und die WTO boykottieren wollen, alldieweil man die Mitgliedschaft in der EU kündigt? Wie sieht das Deutschland aus, das von der LINKEn regiert wird? Erhöhung von Hartz-IV als Kompromiss auf 399 Euro?
Ich würde mir wünschen, dass die Partei ein Gesamtkonzept vorlegt, wenn man so will, eine Vision. Das sollten, nebenbei, auch die Sozialdemokraten machen. Und die Grünen. Und die CDU. Die FDP kann es gerne sein lassen und in dem Orkus der Bedeutungslosigkeit verschwinden, in den sie gehört. Was wir brauchen sind Konzepte, für die es sich zu streiten lohnt, eine Idee davon, wie unsere Gesellschaft aussehen sollte und nicht nur, wie sie nicht sein sollte. Die LINKE könnte die Kraft werden, die eine neue Gesellschaft erträumt, wie die SPD das in den 1960er Jahren tat. Dazu gehört dann auch eine Vorstellung, wie das in die Realität umgesetzt werden soll. All das ist möglich. All das wird nicht getan.