Mal was grundsätzliches...zur Bundeswehr

Von Stefan Sasse
Den Oeffinger Freidenker gibt es nun seit über vier Jahren. Viele Themen wurden bereits mehrfach in unterschiedlichen Beiträgen behandelt, so dass es dem Autor oftmals unnötig erscheint, bestimmte Anspielungen oder Einstellungen näher zu erläutern. Seit 2006 hat sich die Leserschaft jedoch stark vergrößert, und für die, die neu dazugekommen sind, mag nicht immer alles sofort klar sein, was der Oeffinger Freidenker schreibt. Die neue Serie "Mal was grundsätzliches…" soll diese Lücke schließen, in dem noch einmal eine Zusammenfassung zu bestimmten Themen gegeben wird. Diese Folge befasst sich mit der Bundeswehr. 
Die Abschaffung der Wehrpflicht durch Verteidigungsminister Guttenberg, die seine wohl unbestritten größte politische Leistung darstellt - ganz egal, wie man selbst zum Sachthema steht - hat eine ganze Reihe von Ängsten und Befürchtungen geweckt. Im Guten wie im Schlechten wird Deutschland ab sofort nur noch eine Berufsarmee haben. Über all dem schwebt stets der drohende Schatten Weimars, wo die Berufsarmee sich als "Staat im Staate" gerierte und maßgeblich an der Instabilität und dem finalen Fall der Republik schuld war. Viele sehen dieses Weimarer Gespenst nun auch mit einer Berufsarmee "Bundeswehr" am Horizont wetterleuchten. Es gehört zusammen mit der Hyperinflation wohl zu den zwei größten mentalen Erbstücken aus der Weimarer Zeit. Wie groß aber ist diese Bedrohung? Und welche Richtung könnte die Bundeswehr in Zukunft nehmen? 
Die Wehrpflicht schien bei der Schaffung der Bundeswehr in den frühen 1950er Jahren noch eine unvermeidbare Tatsache zu sein. Die potentiellen Millionenarmeen des potentiellen Gegners im Osten erforderten zwangsläufig eine substantielle konventionelle Armee, wollte man wenigstens annähernd ein Gleichgewicht aufrecht erhalten. Dies war nur mit der Wehrpflicht zu stemmen, deren Einführung 1955, gerade zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, zur ersten großen politischen Protestbewegung in Deutschland führten: in der so genannten "Ohne mich"-Bewegung protestierten zehntausende gegen die Einführung der Wehrpflicht. Da die neuen Offiziere praktisch ausschließlich aus altem Wehrmachtspersonal bestanden, war die Befürchtung einer Kontinuität zum Militär des Dritten Reichs alles andere als grundlos.
Aus diesem Grund wurde neben der Wehrpflicht, von der man sich eine Zusammensetzung der Armee aus allen Schichten und damit - im Gegensatz zu Weimar - die Verhinderung einer sozial homogenen, der Gesellschaft gegenüber feindlich eingestellten Gruppe erhoffte, das Leitprinzip der "Inneren Führung" ausgegeben. Das Selbstbild der Bundeswehr unterschied sich unter dieser "Inneren Führung" vom Selbstbild von Armeen früherer Tage: sie sollte lediglich zu Verteidigungszwecken und bei Katastrophen eingesetzt werden können, ihre Mitglieder galten als "Staatsbürger in Uniform" und waren durch das aktive und passive Wahlrecht und eine uniformierte Meinungsfreiheit bei Sicherheits- und Militärthemen deutlich stärker in die Demokratie integriert, als dies noch in Weimar der Fall gewesen war, wo Soldaten nicht wählen und gewählt werden durften.
Dieses hehre Prinzip musste sich natürlich dem Praxistest stellen. Der Alltag der Bundeswehr erfordert ein Maß an Unterordnung und Disziplin und Verzicht auf einige Grundrechte, die sich mit dem freiheitlich-demokratischen Anspruch eigentlich kaum vereinbaren lassen. Selten war die Truppe im öffentlichen Fokus, so dass krude Praktiken und Rituale immer wieder lange vor sich hingären konnten, ehe man ihnen durch Zufall auf die Schliche kam. Es steht wohl außer Frage, dass die Gesinnung der meisten Berufssoldaten deutlich rechts von der Mitte zu finden ist - bei der Mehrheit noch innerhalb des demokratischen Spektrums, kein Zweifel, aber Parteigänger von SPD, Grünen oder gar LINKEn wird man in ihren Reihen kaum finden. Auch die FDP dürfte es schwierig haben.
Nach dem Ende des Kalten Krieges fiel die Bundeswehr in ein Legitimationsloch. Der große Feind, gegen den sie einst gegründet worden war existierte nicht mehr. Stattden begann eine neue Tradition: die Teilnahme an Auslandseinsätzen mit der Legitimation humanistischer Intervention, die sich in den NATO-Ländern seit Wegfall der kommunistischen Bedrohung in der Dritten Welt steigender Beliebtheit erfreute. War das Motiv 1993 in Somalia noch ebenso glaubhaft wie Mitte der 1990er Jahre bei der Sicherung Bosniens, so geriet bereits der Kosovo-Krieg 1999 in einen schlechten Ruf. Spätestens die Teilnahme am Afghanistankrieg erweist sich als große Nervenprobe der Bundeswehr: der Einsatz ist völlig ziellos, bei der Bevölkerung weitgehend verhasst, teuer und gefährlich, ohne dass irgendein greifbarer Erfolg absehbar wäre.
Für die beteiligten Soldaten im Speziellen und die Institution Bundeswehr im Allgemeinen stellt das alles ein enormes Problem dar. Sie muss mit dem Problem leben, einen Krieg zu kämpfen, der zuhause abgelehnt wird und wie weiland die GIs in Vietnam als Babymörder verschrien zu werden. Diese Erfahrung ist neu für Soldaten, und es muss gesagt werden: die Politik hat sie bislang schmählich dabei im Stich gelassen. Das Herumeiern um die Begriffsfindung Krieg, die Abwiegelung und Darstellung des Einsatzes als Brunnebohren eines bewaffneten THW - all das muss für diejenigen, die ihr Basislager tatsächlich nur noch schwer gepanzert und stets auf der Hut verlassen können unendlich frustrierend wirken. Entsprechend können die Soldaten, von der Politik und den Medien weitgehend allein gelassen, eigentlich nur noch auf ein professionelles Ethos zur Sinngewinnung rekurrieren. Professionelles Soldatentum ohne irgendeinen anderen Hintergrund aber fragt nicht nach Sinn der Handlung, sondern macht nur einen Job. Professionelles Soldatentum dieser Art führt die Prinzipien der Inneren Führung ad absurdum.
Paradoxerweise ist es gerade die krampfhafte Verweigerung einer "Normalisierung" des Blicks auf die Bundeswehr, der für ihre innere Verfasstheit Gefahren erzeugt. Es sind Diskussionen wie die, ob es Tapferkeitsmedaillen und Gedenkstätten für Gefallene braucht und die mit merkwürdigen Ressentiments geführt werden. Wäre ich Soldat, würde ich mir wahrscheinlich ziemlich verscheißert vorkommen: einerseits riskiere ich Leben oder doch zumindest körperliche und geistige Unversehrtheit, und andererseits diskutiert man zuhause darüber, ob ich das wirklich tue und ob ein bestanztes Stück Blech diesen Zustand irgendwie beeinflusste.
Das soll jetzt nicht falsch verstanden werden: ich bin absolut gegen den Einsatz in Afghanistan, und heute auch gegen den Kosovo-Krieg (als der ausbrach war ich für eine politische Meinung noch zu jung). Aber das ändert nichts daran, dass die Soldaten ihren Job dort machen. Sie sind nicht verantwortlich dafür, und sie durch eine Verleugnung gewissermaßen in Geißelhaft zu nehmen ist nicht richtig. Mit gefällt es nicht, dass sie dort sind, aber sie sind es - also brauchen sie auch Tapferkeitsmedaillen und Erinnerungsorte, denn das sind wir ihnen schuldig. Wenn die Gesellschaft sie verleugnet und als Aussätzige betrachtet, obwohl diese Verachtung eigentlich eher jenen gebührt, die Jahr für Jahr ohne Reflexion und Aussicht auf Erfolg das Mandat verlängern - wie soll man dann erwarten können, dass sie sich weiter als "Staatsbürger in Uniform" fühlen und der "Inneren Führung" verpflichtet sehen? Die Gefahr der Weimarer Zustände, also einer sich als soldatische Profis begreifenden Berufsarmee, die mit der "schmutzigen Politik" nichts zu schaffen haben will und stolz darauf ist, einen unabhängigen Ethos zu besitzen, ist viel größer dadurch, dass man die neuen Realitäten nicht anerkennt als dadurch, dass man Tapferkeitsmedaillen verteilt.
Denn tatsächlich bietet die Umwandlung der Bundeswehr zu einer Berufsarmee Chancen, die derzeit überhaupt nicht diskutiert werden. Dass man bereits jetzt diskutiert, sie Geringqualifizierten und Ausländern gegenüber zu öffnen wird stets nur unter den potentiellen Gefahren betrachtet. So kann die Bundeswehr gerade solchen Leuten eine solide Ausbildung geben, ihnen Fertigkeiten vermitteln, mit denen sie nach Ende ihrer Dienstzeit auch im Zivilleben etwas anfangen können (was die Bundeswehr ja bereits tut, aber der Umfang kann noch deutlich ausgeweitet werden). Begleitende Sprachkurse, theoretische Kenntnisse anhand bestehender Bildungspläne, Ausbildung zu Fachkräften von LKW-Fahren über medizinische Kräfte hin zu Mechatronikern und Studium an Bundeswehruniversitäten sind möglich. Natürlich sind diese militärisch gefärbt und vor entsprechender Indoktrination nicht sicher. Wäre die Bundeswehr eine abgekapselte Parallelgesellschaft, so wäre dieses Vorgehen für das demokratisch verfasste Gemeinwesen tödlich.
Tatsächlich aber ist es auch möglich, der Bundeswehr ein dauerhaft republikanisches Gesicht zu geben. Es existiert nur ein kleines Zeitfenster dafür, und es ist der einzige Nachteil der aktuellen Affäre um Guttenberg, dass dieses wohl ungenutzt bleiben wird (obgleich die Chance schon vorher verschwindend gering war). Es ist notwendig, die Bundeswehr als eine Parlamentsarmee, als eine der Demokratie und der Republik verpflichtete Armee zu begreifen. Frankreich und die USA besitzen seit Jahrzehnten Berufsarmeen, ohne dass von diesen jemals eine Gefahr für die Republik ausgegangen wäre. Sie haben ihre Armeen auch stets auf die demokratischen Staatswesen eingeschworen, und amerikanische Soldaten dienen heute noch in aller Welt stets im Bewusstsein, die Freiheit zu verteidigen (auch wenn sie es nicht immer tun). Deutsche Soldaten dienen im Bewusstsein, eben ihre Pflicht zu tun. Seine Pflicht kann man aber auch tun, wenn man irgendwann einmal in der Heimat Demonstrationen zusammenschießt - die Freiheit verteidigen nicht. Selbst wenn es oft genug verlogen ist, wenn es oft zur Legitimation zweifelhafter Manöver missbraucht wird - die aktuelle Geschichte deutscher Auslandseinsätze zeigt, dass es keine Freiheitspropaganda braucht, um Soldaten zu missbrauchen. Eine solide Verankerung in einem demokratischen Gemeinwesen, das symbolisch durch Gedenken und Medaillen seine Wertschätzung ausdrückt, verhindert sicher nicht Unrecht in fremden Ländern. Es erschwert aber deutlich das Unrecht im eigenen Land.

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