Von Stefan Sasse
Den Oeffinger Freidenker gibt es nun seit über vier Jahren. Viele Themen wurden bereits mehrfach in unterschiedlichen Beiträgen behandelt, so dass es dem Autor oftmals unnötig erscheint, bestimmte Anspielungen oder Einstellungen näher zu erläutern. Seit 2006 hat sich die Leserschaft jedoch stark vergrößert, und für die, die neu dazugekommen sind, mag nicht immer alles sofort klar sein, was der Oeffinger Freidenker schreibt. Die neue Serie "Mal was grundsätzliches…" soll diese Lücke schließen, in dem noch einmal eine Zusammenfassung zu bestimmten Themen gegeben wird. Diese Folge befasst sich mit den politischen Talkshows.
Jede Woche laufen mehrere politische Talkshows im Fernsehen, besonders bei den Öffentlich-Rechtlichen Sendern. Die prominentesten Namen - stets die Moderatoren, die gleichzeitig die "Marke" darstellen - sind Frank Plasberg, Anne Will, Maybritt Illner und Sandra Maischberger, wobei letztere beiden nicht nur politische Talkshowthemen machen, sondern auch andere, die allerdings immer eine irgendwie geartete gesellschaftliche Relevanz haben. Die Themen, wohlgemerkt, nicht die Sendungen. Wenn die feuchten Träume der Intendanten war werden, dürfen wir bald auch noch eine Sendung "Günther Jauch" ansehen, in der "Deutschlands klügster Mann" (laut Umfragen) dann Politiker befragen und an der Aufgabe scheitern darf, deren belanglose Wortblasen zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen oder auch nur so etwas wie einen halbwegs ordentlichen Gesprächsablauf zu organisieren. Denn die politischen Talkshows sind nutzlose Übungen, lediglich wöchentliche Zurschaustellungen schlechten Stils und Demonstrationen dessen, was im Medienzirkus falsch läuft.
Sehen wir uns die typische Gästeliste an, die eine politische Talkshow enthält (die SZ hat praktischerweise eine an Beispielen reichhaltige Galerie erstellt). Unter fünf Gästen geht es meist überhaupt nicht, das sei angeblich der Länge des Themas und den Komplexitäten geschuldet. Das ist Unsinn, aber dazu später. Im Normalfall finden sich mindestens zwei Politiker darin, die möglichst gegensätzliche Ansichten vertreten und aus der zweiten oder sogar dritten Reihe stammen. Kandidaten sind Markus und Christian Lindner (nicht verwandt) aus der FDP, Markus Söder oder Joachim Hermann aus der CSU oder Volker Kauder aus der CDU, Gregor Gisy und Sahra Wagenknecht von der LINKEn, Renate Künast und Jürgen Trittin von den Grünen und Hubertus Heil und Manuela Schwesig von der SPD.
Dabei muss die Paarung immer richtig sein: geht es beispielsweise um Integration, muss die CSU mit aufs Tableau, während man möglichst Renate Künast dagegen setzt; bei Wirtschaftsthemen machen Lindner (egal welcher von beiden) und Sahra Wagenknecht besonders Spaß. Möchte man eine SPD-Quotenmeinung, holt man Manuela Schwesig, die derzeit Dauergast in den Talkshows ist. Wer sie nicht kennt: die Frau ist Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern und war bis 2009 eigentlich total irrelevant, bevor sie Frank-Walter Steinmeier als Sozialministerin in sein Schattenkabinett der Witzfiguren für die Bundestagswahl 2009 holte, um gegen Ursula von der Leyen auch ein junges Blondchen in der Reihe zu haben und so zu beweisen, dass man auch gut aussehende Frauen dabei hat. Schwesig passt also einfach nur ins Schema; durch irgendwelche Inhalte oder politische Initiativen ist sie nicht aufgefallen. Gerade das macht aber den Charme für eine Talkshow aus; sie kann zu jedem Thema eingeladen werden, bei der man für díe SPD ein hübsches Gesicht braucht, das die üblichen Phrasen mit einem Lächeln herbeten kann.
Doch in der richtigen Erkenntnis, dass die Phrasen alleine keine besonders unterhaltsame Sendung machen (Kunststück wenn man bedenkt, wie oft die Moderation sie anstandslos durchgehen lässt), lädt man oft noch zwei weitere Sorten von Diskutanten ein: einmal Experten und einmal Publizisten. Bei den Publizisten handelt es sich oft um Chefredakteure größerer Zeitungen und Zeitschriften, aber auch sonstige Meinungsmacher wie Michael Friedman, die einfach "schon immer" im Medienzirkus engagiert sind. Große Namen sind hier Hans-Ulrich Jörges (Stern), Michael Spreng (ehemals BamS), Helmut Markwort (ehemals Focus) oder Roger Köppel (Weltwoche). Der Vorteil der Publizisten ist, dass sie frei nach Schnauze reden und hemmungslos polarisieren und kritisieren können, was die Politiker nicht können, die sich stattdessen einfach nur beschimpfen.
Die verheerendste Talkshow-Gattung aber sind die Experten. "Experte" darf dabei nicht mit "Mensch mit Fachwissen und Reputation" übersetzt werden, sondern mit einer von drei möglichen Definitionen: entweder "kein Publizist/Politiker" oder "jemand, der eigentlich die Defintion für einen Publizisten treffen würde, aber keine Zeitung oder Sendung hat" oder "jemand, der neutral aussehen soll, weil er damit eine uns genehme Meinung richtig rüberbringt". Diese Expertendefinition sorgt dafür, dass Hans-Olaf Henkel als neutraler Wirtschaftsexperte ebenso brillieren darf wie Hans-Werner Sinn, dass Peter Scholl-Latour wahlweise als Afrika-, Nahost-, Asien- oder Südamerikaexperte auftritt, dass Josef Ackermann als Finanzexperte aufs Parkett darf und Florian Gerster als Arbeitsmarktexperte. Zwei weitere Sorten von Gästen gibt es noch. Da ist zum Einen der Exot zu nennen, der keine der obigen Kategorien füllt. Exoten unterliegen besonderen Regeln: man hört ihnen aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen und ignoriert dann das von ihnen Gesagte indem man so tut, als ob es sich mit der eigenen Meinung decken würde. Das geht umso einfacher, als Exoten keine Talkshowerfahrung haben und deswegen den Meinungskampf um Aufmerksamkeit verlieren müssen. Die zweite Art sind die ausgeschiedenen Politiker wie Wolfgang Clement und Heiner Geißler. Obwohl sie technisch eigentlich zu den Politikern gesteckt werden müssten, da sie oft immer noch die nur mit einigen wenigen Ausfällen garnierte Parteilinie vertreten, werden sie von der Moderation behandelt wie die Experten - echte Zwitter also, weswegen sie für die Sendungen auch so wertvoll sind. Um der Gefahr eines allzu elitären Touches zu entgehen, werden oftmals "Gäste" auf das Sofa gesetzt, die irgendwann einmal kurz ihre Lage schildern dürfen, weil sie vom aktuellen Thema irgendwie betroffen sind, woraufhin alle so tun, als würde sich das Gesagte mit dem von ihnen Gesagten decken.
Soweit die Gäste. Aber den wichtigsten Diskuttanten haben wir vergessen: die Person des Moderators. Es gehört zum Spiel der Talkshows, dass der Eindruck erweckt wird, die Moderatoren wären genau das: Moderatoren. In Wahrheit sind sie ebenfalls Diskuttanten, denn oftmals haben sie eine Meinung zum Thema, die sie offensiv vertreten. Das ist umso einfacher, als dass ihnen nicht nur das mächtige Mittel der Einspieler zur Verfügung steht, sondern auch die Hoheit darüber, wer reden darf, und eine Schiedsrichterfunktion. Es ist wie bei einem Fußballspiel, bei dem der Schiedsrichter offensichtlich parteiisch ist, nur fällt es hier fast niemandem auf.
Die Einspieler sind dabei eine wirklich mächtige Waffe. Jede Talkshow hat mindestens zwei davon, in denen fast immer auf extrem parteiische, polarisierende Weise irgendetwas verkündet wird, das entweder ein zu erwartendes Politikerstatement aus den Angeln heben soll - bei einer Show zur Integration würde man mit dem "Multikulti ist gescheitert"-Einspieler eben warten, bis Renate Künast sich über die entsprechende Aussage Joachim Hermanns echauffiert - oder aber den Ton festsetzt. Zu Hochzeiten der Hartz-Hetze waren Einspieler über irgendwelche verwahrlosten, arbeitsunwilligen Hartz-IV-Empfänger Standard, mit denen man dann eine Allgemeingültigkeit implizierte. Auf diese Art und Weise kann der Moderator nicht nur den Ton setzen, sondern die Diskussion auf einfach abbrechen, wenn sie in einer ihm nicht genehmen Richtung verläuft - nach dem Einspieler hat man ein neues Thema, und wen interessiert noch, was davor gesagt wurde?
Genauso schlimm aber ist die Schiedsrichterfunktion der Moderatoren. Da bei fünf bis sieben Gästen ein Durcheinanderreden ohnehin nicht zu vermeiden ist und das Format den schlechten Stil des Dazwischen- und Niederschreiens kultiviert hat, fällt dem Moderator eigentlich die Funktion zu, dafür zu sorgen dass jeder zu seinem Recht kommt. Nur ist er eben parteiisch und fällt deswegen in dieser Funktion aus. Die Moderatoren sind deswegen auch das größte Problem der politischen Talkshows: nicht nur täuschen sie die Zuschauer permanent über die Natur der eigenen Rolle; sie erfüllen zudem auch die wichtigste Funktion nicht, nämlich Moderieren. Der ungemein schlechte Stil, der besonders Politiker und Lobbyisten eint, sich ständig ins Wort zu fühlen, entrüstet "nein" zu schreien und generell nicht ausreden zu lassen, um dann bei Worterteilung weder die Frage des Moderators zu beantworten noch irgendetwas zum aktuellen Gegenstand gehörendes zu sagen - diesen schlechten Stil einzudämmen und zu verhindern wäre die Aufgabe des Moderators. Stattdessen schwelgt er darin, heizt die Stimmung mit billigen Einspielfilmchen an und mischt selbst tatkräftig mit.
Dabei wäre seine Aufgabe wahrlich fordernd. Die Idee, nicht nur zwei Diskuttanten mit schlechtem Stil einzuladen - was oftmals bereits völlig ausreichend zum Verhindern eines ernsthaften Gesprächs ist - sondern derer gleich fünf bis sieben aufeinander loszulassen, ergänzt durch den Moderator, der ja ebenfalls als Teilnehmer einzustufen ist; das macht die Aufgabe praktisch unmöglich. Entsprechend miserabel ist das Ergebnis. Wie sonst könnte es sein, dass zwischen einer Talkrunde zur aktuellen (!) Gesundheitsreform zwischen 2007 und 2010 weder ein Unterschied in Teilnehmern noch Aussagen besteht? Welchen Mehrwert sollte so etwas bringen?
Man müsste endlich dazu übergehen, die Gäste nach vernünftigen Prinzipien einzuladen, also solche, die auch etwas zu sagen haben und nicht solche, die nur Krawall machen. Selbst das aber ließe sich unter Umständen vermeiden, wenn der Moderator seiner Aufgabe nachkäme und dafür sorgte, dass Wortbeiträge zum Einen in der richtigen Reihenfolge und zum anderen zum Thema erfolgen und bei Wortblasengefahr einfach entsprechend nachhakt. Das aber passiert einfach nicht; stattdessen wird immer wieder die gleiche Blase produziert, in der sich danach alle pluralistisch fühlen können, die bestehende Meinungen reproduziert und vor allem nichts Substantielles hervorgebracht hat.