Mal was grundsätzliches...zu Auslandseinsätzen

Von Oeffingerfreidenker
Von Stefan Sasse
Den Oeffinger Freidenker gibt es nun seit über vier Jahren. Viele Themen wurden bereits mehrfach in unterschiedlichen Beiträgen behandelt, so dass es dem Autor oftmals unnötig erscheint, bestimmte Anspielungen oder Einstellungen näher zu erläutern. Seit 2006 hat sich die Leserschaft jedoch stark vergrößert, und für die, die neu dazugekommen sind, mag nicht immer alles sofort klar sein, was der Oeffinger Freidenker schreibt. Die neue Serie "Mal was grundsätzliches…" soll diese Lücke schließen, in dem noch einmal eine Zusammenfassung zu bestimmten Themen gegeben wird. Diese Folge befasst sich mit Auslandseinsätzen.
Auslandseinsätze sind, wenn es nach der Bundesregierung geht, eigentlich ein recht einfaches Thema. Die neue, globalisierte Welt bietet sowohl Herausforderungen und Chancen als auch Gefahren für die Sicherheit Deutschlands, denen man am besten präventiv begegnet, indem man sie noch am Ursprungsort bekämpft - Deutschlands Freiheit wird, nach diesem Diktum, auch am Hindukusch verteidigt. Neuerings hört man immer öfter die Argumentationslinie, dass deutsche Handels- und Wirtschaftsinteressen ebenfalls durch die Bundeswehr beschützt werden müssen. Die Opposition der LINKEn, als einzige generell gegen Auslandseinsätze eingestellt, sieht die Sache ebenfalls einfach: laut Grundgesetz darf sich Deutschland nur im Angriffsfalle verteidigen, aus der NATO sollte man nach Ansicht radikalerer LINKEr ohnehin austreten und ansonsten ist Krieg verwerflich und unmoralisch. 
Diese beiden Positionen sind natürlich die konträrsten, die sich finden lassen. Seit 1993 befindet sich die Bundeswehr mehr und mehr in Auslandseinsätzen, in denen zumeist versucht wird, eine wie auch immer geartete zumindest offiziell humanitäre Zielsetzung für einen beschränkten Zeitraum durchzusetzen, etwa in Somalia 1993, in Bosnien 1997 oder in Mazedonien 2000. Diese Einsätze sind nicht grundsätzlich in der Kritik, obwohl auch sie nicht so eindeutig sind, wie es den Anschein hat; doch dazu später mehr. Problematisch sind vor allem zwei Einsätze der Bundeswehr. Der erste, seit 1999, ist der Kosovo. Er ist innenpolitisch kaum umstrítten und gilt allgemein als "guter" Krieg, bei dem man - in den Worten Fischers - ein neues Auschwitz verhindert habe. Obwohl diese Argumentation prinzipiell unsinnig ist, stößt der Einsatz auf mehr Gegenliebe als der zweite, kontroverseste: der deutsche Einsatz in Afghanistan.
Was ist es, das den Afghanistaneinsatz fundamental von den anderen Bundeswehreinsätzen, etwa am Horn von Afrika oder im Kosovo unterscheidet? Zum ersten wäre da die Distanz. Alle Einsätze vor Afghanistan waren entweder in der traditionellen deutschen Interessenssphäre (Balkanregion) oder UNO-Mandate in Afrika, produzierten also taugliche Bilder (Nahrung verteilen an Afrikaner sieht immer humanitär aus). Afghanistan liegt in Asien, die Menschen dort tragen Bärte, Turbane und AKs. Sie sind muslimisch auf eine Weise, die wir sofort als muslimisch identifizieren (anders als etwa im ebenso muslimischen Somalia), weil es sich mit den Klischees deckt. Das Klischee des muselmannischen Turbanträgers, der sich zum Sturm gegen die abendländische Zivilisation rüstet, ist mindestens so alt wie der Türkensturm auf Wien im 16. Jahrhundert. Wirklich anders aber ist die Struktur, der die Bundeswehr sich in Afghanistan gegenübersieht.
Auf dem Balkan war man in Staaten tätig; in gescheiterten oder geschlagenen Staaten größtenteils, aber in Strukturen, die zumindest grundsätzlich bekannt waren. In Somalia hatte man es mit einer scheinbar typischen humanitären Notsituation zu tun. In Afghanistan aber führte man vor dem Einsatz selbst einen Krieg gegen den Staat, den man (freilich ohne es gleich zu merken) dabei vollkommen zerlegte. Man kam als Besatzer, da sich schnell herausstellte, dass die Verbündeten - die so genannte Nordallianz - effektiv keine Verbündeten waren. Mal ehrlich wer redete denn in den letzten Jahren noch von der Nordallianz? Sie war ein Vehikel, um den Krieg in bekannten Schienen verlaufen zu lassen, mit den Alliierten (zu denen nun auch Deutschland gehörte) auf der einen und den Bösen auf der anderen Seite. Doch seit Beginn des Einsatzes ist das Feindbild diffus.
Das Feindbild in Afghanistan, das sind "die Taliban". Darunter wird vieles subsumiert. Das erste Kriterium, ein Taliban zu sein ist es, bei einem Militäreinsatz der ISAF-Truppen zu Tode gekommen zu sein. Reflexartig wird jeder Tote zum Taliban erklärt, sofern er nur männlich ist und wenigstens körperlich in der Lage, eine AK zu tragen. Nach jedem solchen Einsatz dreht sich das Rad des Vertuschens von zivilen Verlusten aufs Neue, als ob irgendjemand ernsthaft annehmen würde, Kollateralschaden ließen sich vermeiden, wo Explosivwaffen benutzt werden. Des Weiteren ist "Taliban" jeder, der die ISAF und das von ihr unterstützte Regime Karsais opponiert. Gegen ein so diffuses, nicht greifbares Feindbild aber kann man zwar Propaganda ins Feld führen, nicht aber kämpfen.
Afghanistan ist der kontroverseste Kriegseinsatz, weil hier keine Erfolge zu verbuchen sind. Im Kosovo ist mittlerweile die Eigenstaatlichkeit erreicht, und obwohl das Land eine riesige Kriminalitäts- und Arbeitslosigkeitsquote hat und immer noch nicht gerade zu den sichersten Plätzen der Erde zählt, kann man dort wenigstens einen Erfolg verbuchen, wenn man das will - dank der steten Separationstendenzen der albanischstämmigen Bevölkerung gibt es hier einen deutlichen Teil, der hinter der Eigenstaatlichkeit und damit der NATO-Aktion steht, völlig losgelöst von der Frage, ob es völkerrechtlich illegal war oder ob das Massaker von Rascak wirklich stattgefunden hat oder nicht. In Afghanistan ist das anders. Hier sind keine Erfolge zu verbuchen. Jede Meldung zeigt seit Jahren nur in eine Richtung: nach unten. War zu Beginn des Einsatzes der Norden Afghanistans das freundliche Gebiet, auf dem deutsche Aufbauhelfer winkend durch die Straßen fahren konnten und gab es nur im Süden vereinzelte Widerstandsnester, so ist selbst in den positivsten Berichten heute ein Verlassen der befestigten Camps selbst im Norden nur noch unter steter Gefahr möglich. Von Wiederaufbau redet längst niemand mehr; wie zu besten Zeiten des Vietnamkriegs feiert der Bodycount als Gradmesser des Erfolgs fröhliche Urständ.
Dazu kommt, dass Afghanistan kein Staat ist. Es ist ein Gebiet, dessen willkürlich gezogene Grenzen im 19. Jahrhundert imperialen Interessen Russlands und Großbritanniens entsprachen. Noch heute ist Afghanistan eine Stämmegesellschaft, die sich selbst seit hunderten von Jahren erbittert befehdet und Gemeinsamkeit nur in ihrem Hass für Ausländer empfindet, die glauben, das Land besetzen zu können. Briten im 19. Jahrhundert, Sowjets im 20. und nun die NATO im 21. Jahrhundert haben dieselbe leidvolle Erfahrung machen müssen. Fakten über Afghanistan sind kaum bekannt; ich habe darüber in "Der Nebel des Krieges" schon geschrieben. Es ist weder Rot-Grün, noch Schwarz-Rot, noch Schwarz-Gelb bisher gelungen, der Bevölkerung den Einsatz zu verkaufen. Solide deutlich über 70% sind seit Jahren dagegen. Ich lehne mich wohl nicht übertrieben weit aus dem Fenster wenn ich prognostiziere, dass Deutschland das Ende des Einsatzes unter einem Verteidigungsminister Guttenberg einleiten wird.
Doch abseits Kosovo, Mazedonien, Afghanistan und Horn von Afrika: wie steht es um die Frage von Auslandseinsätzen generell bestellt? Sind sie, wie erst Köhler und nun Guttenberg verkündeten, notwendig zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen und der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit? Oder handelt es sich, wie es besonders Linke sehen, um eine Neuauflage der Kolonialära, in der die starken europäischen Staaten und die USA einfach knallhart ihre Interessen durchsetzen? Vermutlich ist es ein wenig von beidem.
Ich gehe nicht davon aus, dass eine strikte Linie der generellen Ablehnung von Auslandseinsätzen gezogen werden kann. Die Idee einer humanitären Intervention zur Prävention von Völkermord ist keine, die man einfach beiseite werfen sollte, nur weil mit ihr Schindluder bei der Legitimierung anderer Einsätze getrieben wurde. Das Schlachten zwischen Tutsi und Hutu beispielsweise (siehe auch hier) hätte durch eine entsprechende Intervention verhindert werden können. Nur, niemand führte sie durch. Denn wenn man ehrlich ist: das Kämpfen und Sterben deutscher Soldaten mit dem Wohl und Wehe von Afrikanern zu verknüpfen ist eine politisch suizidale Angelegenheit. Sterben für die Neger? Die Diskussion an deutschen Stammtischen mit diesem Tenor ist gerade vor der Folie der Sarrazin-Debatte keinesweges weit hergeholt. Nichts destrotrotz wäre dies ein Ziel, für das ein Militäreinsatz gerechtfertigt wäre. Auch das Beseitigen einer brutalen Diktatur muss nicht immer eine schlechte Zielsetzung sein, nur weil es in dessen Land zufällig auch Öl gibt. Dummerweise haben wir solche Einsätze bisher nicht gesehen. Nach mittlerweile offizieller NATO-Doktrin ist es für Einsätze maßgeblich, die Rohstoffzufuhr der heimischen Wirtschaften sicherzustellen. Perverserweise hat diese Legitimationslinie in der Bevölkerung auch mehr Unterstützung; "Sterben für das Bruttosozialprodukt" scheint eine deutlich bessere Aussicht als "Sterben für Neger" zu sein. Es ist pervers, aber bittere Realität.
Die Zielsetzung der Sicherung von Handelswegen sollte dagegen nicht sofort verworfen werden. Zwar ist es verwerflich, wie die NATO im neokolonialen Stil Einsätze in Drittweltländern zu führen, um sich die dortigen Rohstoffe zu sichern (indem man die eigenen Unternehmen bevorzugt, ein Muster, das von Kongo bis Irak mehrfach sichtbar ist). Moderne Volkswirtschaften basieren aber auf ungehinderten internationalen Handelsströmen, das ist Fakt. Würde jemand versuchen, diese abzuschneiden, wäre dies ein kriegerischer Akt. Ihre Sicherung ist also durchaus auch im Sinne des Grundgesetzes eine legitime Aufgabe der Bundeswehr. Noch einmal: es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Sicherung von Handelswegen und Sichern von Rohstoffzufuhren. Auf das eine hat man dank Völkerrecht und internationalen Verträgen Anspruch, auf das andere nicht.
Auslandseinsätze sind also eine Angelegenheit, die nicht mit einer simplen Formel (immer ja, immer nein) geklärt werden können. Auch die prinzipielle Notwendigkeit einer Intervention muss stets diskussionswürdig bleiben. Das führt uns zum letzten Beispiel: den Piraten am Horn von Afrika. Sie gefährden, so der offizielle Tenor, die Handelswege, die im Umkehrschluss militärisch gesichert werden müssen. Das ist nach der obigen Definition eindeutig zulässig, und rein völkerrechtlich ist es das in meinen Augen auch. Ich bin nur der Überzeugung, dass man am Horn von Afrika wenigstens flankierend andere Maßnahmen ergreifen müsste. Es ist ein Grundproblem dieser neuen Auslandseinsatzdebatte, dass die militärische Lösung nicht nur als ultima ratio, sondern als una ratio, als einzige Lösung, angesehen wird. Im Falle der Piraten von Afrika hätte man schnell feststellen können, dass sie ein hausgemachtes Problem sind - wer den Fischern durch industrielles Überfischen der Küste jede Lebensmöglichkeit nimmt muss sich nicht wundern, wenn diese sich anderen Methoden zuwenden. Vermutlich könnte man die Piraterie mit einem recht kleinen, unambitionierten Sozialprogramm fast eliminieren, das deutlich weniger kosten würde als der Einsatz dort. Aber dann begeistert sich die Bevölkerung leider mehr dafür, den Panthersprung von Mogadischu zu sehen, als das Sozialprogramm von Mogadischu. Geld auszugeben, um das Leben der Afrikaner zu verbessern ist bei der Weihnachtskollekte von Misereor vertretbar, aber nicht mit Steuergeldern. Mit denen beschießt man sie aus irgendeinem Grund besser.
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