Über Sympathisanten von Die Linke, die sich für Merkel entschieden.
Er stimmt mir und meinen Genossen, wie er sie nennt, oft zu. Die Linken haben schon richtige Ansichten, sagt er dann. Bei mir muss man aufpassen, findet er. Denn ich würde ihn noch glatt umdrehen, zum Kommunisten machen. Deshalb sei ich sein gefährlichster Arbeitskollege, meint er augenzwinkernd. Infantile Scherze, die das Arbeitsklima auflockern. Am Donnerstag vor der Bundestagswahl sagte er mir dann, dass er am Sonntag für Merkel stimmen wolle. Das Motiv dahinter: Uns gehe es ja gut. So ist er, der Jürgen.
Dieses Phänomen kennen viele Linke. Viele Werktätige und Arbeitslose geben ihnen recht. Im wesentlichen stimmen die Schwerpunkte, die die politische Linke setze. Mehr sozialer Ausgleich und die Einhaltung demokratischer Prozesse. Das kann man unterschreiben. Gewählt wird aber konservativ. Die Wahl scheint in diesem Land ein sadomasochistischer Drang zu sein, ein intellektueller Selbstverrat, bei dem man das glatte Gegenteil dessen wählt, was man eigentlich möchte.
Jürgen ist vielleicht der typische Merkel-Wähler. Kein Konservativer. Er ist höflich, lustig und kollegial. Aber auch duckmäuserisch, obrigkeitstreu und wenig phantasievoll. Er liebt seine Strukturen. Was nicht strukturiert ist, nennt er sofort Chaos. Gewiss ist das ein wenig spießig. Aber jeder sollte seinen Spleen haben dürfen. Er ist nicht mal Bild-Leser, guckt aber viel Plasberg und Jauch und glaubt sich da auch umfassend informiert. RTL sieht er kritisch - aber er sieht es. Manchmal fängt er dann an, mir einige (für ihn) kuriose Positionen von Talkshow-Gästen auszubreiten und ich winke nur ab. Kümmert mich wenig, was da geredet wird. Aber ihn beschäftigt es.
Sozialer Ausgleich ist notwendig, findet er. Der Arbeitsmarkt sei eine Katastrophe. Die Arbeitsbedingungen würden immer schlechter. Mieten unbezahlbar. Stromkosten für Arme kaum mehr zu bezahlen. Jürgen hat das alles erkannt und pflichtet mir in so existenziellen Fragen uneingeschränkt bei. Dass sich was ändern muss, sieht er auch ein. Als ich ihm sagte, dass der freie Markt in vielen Gebieten nicht angebracht sei, in staatliche Obhut gehörten, runzelte er die Stirn und gab mir auch da recht. Wagenknecht nennt er hochintelligent. Gysi auch. Lafontaine findet er nicht sympathisch, aber hält ihn für einen begnadeten Redner. Aber was nützte es? Er stimmte ja doch für Merkel. Manchmal möchte ich den Jürgen einfach nur würgen.
Aber das hilft ja auch nichts. Schließlich ist Jürgen wie so viele andere den neoliberalen Kampagneros erlegen, die ihre angebotsorientierte Sicht von der Welt als Vernunft hinstellen. Deren offenes Linken-Bashing überhört Jürgen zwar. Aber ihre latente Sozialstaatsfeindlichkeit nimmt er als Sachzwang wahr. Dass sie das Zusammenleben der Menschen als reine Geldfrage ansehen, hinterfragt er nicht. Ethische Bewertungen läßt die Begrenzung auf Finanzierbarkeiten halt nicht mehr zu. Natürlich muss man sehen, wie etwas bezahlt wird - aber wenn das nicht mit dem moralischen Aspekt des menschlichen Miteinanders korreliert, dann betreibt man die methodische Sinnentleerung des organisierten Zusammenlebens. Jürgen spricht freilich nie von Ethik.
Und so wählt Jürgen keine Partei, die ... ich will nicht sagen, "... die gut für ihn wäre", ich sage lieber: "... die besser für ihn wäre". Er wählt, was sonst noch so da ist. Das schlechte Gewissen nach Jahren der Kampagnen gegen Die Linke machen es möglich. Und das alles in Zeiten, da linke Politik, nachfrageorientierte Ökonomie und alternative Konzepte eigentlich Hochkonjunktur haben müssten.
Ach komm, Jürgen, ist mir scheißegal, antwortete ich ihm. Er wollte mir nach der Wahl doch unbedingt noch einen Grund nennen, weshalb er sich für Merkel ausgesprochen habe. Lass es, jetzt ist es eh zu spät, bat ich ihn. Er ließ sich allerdings nicht abbringen. Weil ich ihr das meiste Vertrauen schenke, sagte er. Du solltest deiner Frau vertrauen und nicht irgendwelchen Weibern, die du gar nicht kennst, sagte ich ihm. Er schaute mich doof an. Mein Satz erinnerte mich plötzlich an einen Ausspruch eines früheren Bundespräsidenten. Kennst du das vom Heinemann, als man ihn fragte, ob er Deutschland liebe und er sagte: Ich liebe nur meine Frau, fragte ich Jürgen. Ich wollte ihm damit nur deutlich machen, dass Liebe und Vertrauen und all diese Worte nicht für die Politik nützlich sind, sondern im Privatleben bleiben sollten. Ach Heinemann, das war eh ein Scheißpräsident, gab er zur Antwort. Total senil und orientierungslos, schob er nach und ging weg. Er verwechselte Heinemann mit Lübke.
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Er stimmt mir und meinen Genossen, wie er sie nennt, oft zu. Die Linken haben schon richtige Ansichten, sagt er dann. Bei mir muss man aufpassen, findet er. Denn ich würde ihn noch glatt umdrehen, zum Kommunisten machen. Deshalb sei ich sein gefährlichster Arbeitskollege, meint er augenzwinkernd. Infantile Scherze, die das Arbeitsklima auflockern. Am Donnerstag vor der Bundestagswahl sagte er mir dann, dass er am Sonntag für Merkel stimmen wolle. Das Motiv dahinter: Uns gehe es ja gut. So ist er, der Jürgen.
Dieses Phänomen kennen viele Linke. Viele Werktätige und Arbeitslose geben ihnen recht. Im wesentlichen stimmen die Schwerpunkte, die die politische Linke setze. Mehr sozialer Ausgleich und die Einhaltung demokratischer Prozesse. Das kann man unterschreiben. Gewählt wird aber konservativ. Die Wahl scheint in diesem Land ein sadomasochistischer Drang zu sein, ein intellektueller Selbstverrat, bei dem man das glatte Gegenteil dessen wählt, was man eigentlich möchte.
Jürgen ist vielleicht der typische Merkel-Wähler. Kein Konservativer. Er ist höflich, lustig und kollegial. Aber auch duckmäuserisch, obrigkeitstreu und wenig phantasievoll. Er liebt seine Strukturen. Was nicht strukturiert ist, nennt er sofort Chaos. Gewiss ist das ein wenig spießig. Aber jeder sollte seinen Spleen haben dürfen. Er ist nicht mal Bild-Leser, guckt aber viel Plasberg und Jauch und glaubt sich da auch umfassend informiert. RTL sieht er kritisch - aber er sieht es. Manchmal fängt er dann an, mir einige (für ihn) kuriose Positionen von Talkshow-Gästen auszubreiten und ich winke nur ab. Kümmert mich wenig, was da geredet wird. Aber ihn beschäftigt es.
Sozialer Ausgleich ist notwendig, findet er. Der Arbeitsmarkt sei eine Katastrophe. Die Arbeitsbedingungen würden immer schlechter. Mieten unbezahlbar. Stromkosten für Arme kaum mehr zu bezahlen. Jürgen hat das alles erkannt und pflichtet mir in so existenziellen Fragen uneingeschränkt bei. Dass sich was ändern muss, sieht er auch ein. Als ich ihm sagte, dass der freie Markt in vielen Gebieten nicht angebracht sei, in staatliche Obhut gehörten, runzelte er die Stirn und gab mir auch da recht. Wagenknecht nennt er hochintelligent. Gysi auch. Lafontaine findet er nicht sympathisch, aber hält ihn für einen begnadeten Redner. Aber was nützte es? Er stimmte ja doch für Merkel. Manchmal möchte ich den Jürgen einfach nur würgen.
Aber das hilft ja auch nichts. Schließlich ist Jürgen wie so viele andere den neoliberalen Kampagneros erlegen, die ihre angebotsorientierte Sicht von der Welt als Vernunft hinstellen. Deren offenes Linken-Bashing überhört Jürgen zwar. Aber ihre latente Sozialstaatsfeindlichkeit nimmt er als Sachzwang wahr. Dass sie das Zusammenleben der Menschen als reine Geldfrage ansehen, hinterfragt er nicht. Ethische Bewertungen läßt die Begrenzung auf Finanzierbarkeiten halt nicht mehr zu. Natürlich muss man sehen, wie etwas bezahlt wird - aber wenn das nicht mit dem moralischen Aspekt des menschlichen Miteinanders korreliert, dann betreibt man die methodische Sinnentleerung des organisierten Zusammenlebens. Jürgen spricht freilich nie von Ethik.
Und so wählt Jürgen keine Partei, die ... ich will nicht sagen, "... die gut für ihn wäre", ich sage lieber: "... die besser für ihn wäre". Er wählt, was sonst noch so da ist. Das schlechte Gewissen nach Jahren der Kampagnen gegen Die Linke machen es möglich. Und das alles in Zeiten, da linke Politik, nachfrageorientierte Ökonomie und alternative Konzepte eigentlich Hochkonjunktur haben müssten.
Ach komm, Jürgen, ist mir scheißegal, antwortete ich ihm. Er wollte mir nach der Wahl doch unbedingt noch einen Grund nennen, weshalb er sich für Merkel ausgesprochen habe. Lass es, jetzt ist es eh zu spät, bat ich ihn. Er ließ sich allerdings nicht abbringen. Weil ich ihr das meiste Vertrauen schenke, sagte er. Du solltest deiner Frau vertrauen und nicht irgendwelchen Weibern, die du gar nicht kennst, sagte ich ihm. Er schaute mich doof an. Mein Satz erinnerte mich plötzlich an einen Ausspruch eines früheren Bundespräsidenten. Kennst du das vom Heinemann, als man ihn fragte, ob er Deutschland liebe und er sagte: Ich liebe nur meine Frau, fragte ich Jürgen. Ich wollte ihm damit nur deutlich machen, dass Liebe und Vertrauen und all diese Worte nicht für die Politik nützlich sind, sondern im Privatleben bleiben sollten. Ach Heinemann, das war eh ein Scheißpräsident, gab er zur Antwort. Total senil und orientierungslos, schob er nach und ging weg. Er verwechselte Heinemann mit Lübke.
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