Kaum ein Prozess gegen NS-Verbrecher erregte so viel öffentliches Aufsehen wie der Majdanek-Prozess, nicht nur wegen der monströsen Zahl von 250 000 Opfern im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek, sondern
Das Lager Majdanek war 1941 nahe der Stadt Lublin im damaligen Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete eingerichtet worden. Der Name stammt vom Lubliner Stadtteil Majdan Tatarski, offiziell trug es den Namen Konzentrationslager Lublin. Insgesamt wurden im Lager Majdanek etwa 250.000 Menschen ermordet beziehungsweise in den Tod getrieben. Am 23. Juli 1944 wurde das Lager durch die Rote Armee befreit. Durch eine polnisch-sowjetische Kommission begann noch im Juli die
Doch zurück zum Majdanek-Prozess der 70iger Jahre. Das, was Prozessbeobachter ganz besonders ins Auge stach, waren die Angeklagten: Die Herren in mehr oder weniger gut sitzenden Anzügen, doch immer mit gut gebügelten Hemden und dazu passenden Krawatten, saßen da mit unbeweglichen Gesichtern, so als ginge sie das Geschehen um sie herum nichts an, erinnern konnte sich keiner von ihnen, je irgendwelchen Gräueltaten beigewohnt zu haben, weit von sich wiesen sie Beschuldigungen, an solchen beteiligt gewesen zu sein. Doch da saßen auch die Frauen, die ehemaligen Aufseherinnen, mit frischen Dauerwellen, im gepflegten Kostüm oder Kleid, auch sie völlig emotionslos und so fürchterlich ‚harmlos’ wirkend. Dazu die Riege der Verteidiger, viele aus der bekannten rechten Szene, einige ausgewiesene NPD Mitglieder, deren Befragung der Zeugen mehr als häufig die angereisten Opfer-Zeugen demütigten und wieder zu Opfern machten. Mancher Angeklagte hatte bis zu drei Verteidiger, was zusätzlich auf viele einschüchternd wirkte. Auf der anderen Seite die Staatsanwaltschaft mit ihrem Hauptankläger Dieter Ambach und seinen Kollegen, die mit möglichst unbewegter Mine den zeitweise hoch emotionalen Prozesstagen, mit weitgehenst unbeweglicher Mine zu folgen hatten. Ambach dazu: "Angeklagt waren ungefähr 120 Taten, was auch eine Erklärung für die lange Laufzeit sowohl der Vorermittlungen als auch des Prozesses gewesen sind. Es sollte untersucht werden, welche Mordtaten in einem Konzentrationslager, Majdanek war ein besonderes, nämlich wie Auschwitz ein Vernichtungslager, sich ereignet hatten." Während des Prozesses erhielten die Richter und Staatsanwälte anonyme Drohungen von Sympathisanten der Angeklagten aus der rechtsextremen Szene. Zeitweilig stand Dieter Ambach unter Polizeischutz, Polizei überwachte seine Wohnung und seinen Parkplatz. Ambach: "Aber es ist letztendlich nichts passiert. Aber auch in der Zeit nach dem Verfahren bis in die jüngere Vergangenheit kommen ab und zu mal noch Anrufe nach wahrscheinlich irgendwelchen Kameradschaftsabenden, wo dann gesagt wird, dass man mich nicht vergessen habe, der ich doch die Kameradinnen und Kameraden so verunglimpft hätte." Dann, an der Stirn des Gerichtssaals der Vorsitzende Richter Günter Bogen mit seinen Richterkollegen und Beisitzern, der diesen schwierigen Prozessverlauf leitete. Die Verteidigungen der verschiedenen Angeklagten überhäuften immer wieder das Gericht mit den absurdesten Anträgen, einer davon war, dass sie einen Gutachter forderten, der nachweisen sollte, dass verbrannte Tierkadaver den gleichen
Doch am 369. Verhandlungstag, im fünften Jahr des Prozesses kam Bewegung in das Verfahren. Es war ein besonderer Verhandlungstag: Hermine Ryan, geborene Braunsteiner, 60 Jahre alt, verheiratet mit einem Amerikaner, von denen, die Majdanek überlebten, ‚Stute’ genannt, genauer aber: ‚Schindermähre’, war am 368. Verhandlungstag zusammengebrochen und hatte plötzlich laut geschrieen: „Ich kann es nicht mehr aushalten. Helft mir! Helft mir!“ Der Vorsitzende Richter Günter Bogen unterbrach die Sitzung. Am nächsten Verhandlungstag, bei dem ‚vorübergehend abgesetzten Verfahren gegen Hermine Ryan-Braunsteiner’, wurde erst der medizinische Sachverständige gehört, von dem es heißt, er sei in diesem Prozess der ‚wichtigste Mann’. Sie sei, so der Arzt, seit nunmehr 14 Jahren in einem Stresszwang, befinde sich in einer Konfliktsituation. Dann drang Richter Bogen in die vor ihm sitzende, bleiche Angeklagte, die ihren Mantel anbehalten hatte: Sie sollte sich jetzt, nachdem sie vier Jahre lang nichts gesagt habe, überlegen, ihr ‚totales Schweigen’ aufzugeben. „Ich bin dabei gewesen“ Es war still in dem großen, dunkel getäfelten, fast leeren Sitzungssaal 111 des Düsseldorfer Landgerichts: Vorn saß das Gericht mit dem Ersatzrichter, den Ersatzschöffen, der Protokollantin und dem Staatsanwalt. In den sonst voll besetzten Reihen vor der Richterbank wirkte die Angeklagte mit ihren beiden Verteidigern wie verloren. Auf den Zuhörerbänken warteten nur ihr Mann und drei Wachtmeister, die Hermine Ryan aus dem Untersuchungsgefängnis gebracht hatten. Dann sagte sie: „Es sei ihr Pech gewesen, dass die Oberaufseherin Ehrich sie als ihre Vertreterin ausgewählt habe. Während ihrer Zeit in Majdanek sei sie überhaupt acht Monate lang krank gewesen und anschließend in den Urlaub gefahren. Darum sei sie „nicht immer da gewesen, wenn etwas passiert sein sollte“. Dann gab sie zu, bei „Transporten, die weggingen, dabei gewesen“ zu sein, aber nicht bei „abgehenden“. Dann, als Richter Bogen weiter fragte, räumte sie endlich auch ein, bei den „ankommenden Transporten“ mitgemacht, also selektiert, für den Mord in der Gaskammer aussortiert zu haben.
Unfassbar war der ‚Alltag’ in Majdanek: Sechs Gaskammern ‚arbeiteten’ jahrelang, Tag und Nacht. Andere Opfer, vor allem Frauen, Kinder und Kranke, wurden erschlagen, erdrosselt, erhängt, ertränkt. Die Angeklagte Ryan wurde ‚Schindermähre’ genannt, weil sie Menschen, die in ihre Gewalt gerieten, mit ihren Stiefeln totgetreten haben soll. Hildegard Lächert, die eine Reihe hinter ihr saßt und vor der Zeuginnen bei der Gegenüberstellung noch heute zittern, hieß
Auch die sogenannte ‚Aktion Erntefest’ wurde im Prozessverlauf eingehend behandelt, die Zeugenaussagen waren eindeutig, wenn auch subjektiv, aber doch gerichtsverwertbar. Dazu der ehemalige Staatsanwalt Ambach: "Eine der grausamsten Aktionen im Lager Majdanek war die so genannte Aktion "Erntefest". Das bedeutete, an diesem Tag Anfang November 1943 wurden sämtliche Juden aus der Umgebung Lublins und sämtliche Juden, die noch im Lager lebten, zusammen getrieben. In den Tagen vorher hatten die im Lager lebenden Juden Gräben ausheben müssen, in diese Gräben wurden dann schubweise die Juden nach Entkleidung hinein getrieben und wurden von SS- und Gestapo-Angehörigen, die am Grubenrand standen, erschossen. Bei dieser Aktion, die sich von morgens früh bis zum Abend hingezogen hat, sind mindestens 18.000 Juden erschossen worden."
Doch insgesamt war es eine schwierige Prozessführung, denn nach 30 Jahren konnten nicht alle angereisten Zeugen die Täter identifizieren, zumal ihnen damals verboten war, den uniformierten Männern und Frauen ins Gesicht zu schauen, auch konnten sie nicht immer korrekte Angaben zu Tagen oder Monaten der Mordgeschehen machen, doch überschnitten sich die Aussagen der Opfer so häufig, das ein Tatablauf rekonstruiert werden konnte, wobei die Tatbeteiligung der Angeklagten, entsprechend ihrer Position innerhalb des Lager klar war, nicht immer eindeutig nachgewiesen werden konnte. So blieb das Gericht in seiner Urteilverkündung oftmals weit unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Diese Urteilsverkündung hinterließ einen Sturm der Entrüstung in den Medien und der Öffentlichkeit.
Hermine Braunsteiner-Ryan, Aufseherin: Lebenslänglich
Hildegard Lächert, Aufseherin: 12 Jahre Haft
Hermann Hackmann, SS-Hauptsturmführer: 10 Jahre Haft
Emil Laurich, SS-Hauptscharführer: 8 Jahre Haft
Heinz Villain, SS-Unterscharführer: 6 Jahre Haft
Fritz Heinrich Petrick, SS-Oberscharführer: 4 Jahre Haft
Arnold Strippel, SS-Unterscharführer: 3,5 Jahre Haft
Thomas Ellwanger, SS-Rottenführer: 3,5 Jahre Haft
Heinrich Groffmann, SS-Hauptscharführer: Freispruch
Bei den anderen Angeklagten wurden die Verfahren abgetrennt, manche wurden verhandlungsunfähig, beziehungsweise verstarben.
Doch in der Zeit des sechsjährigen Prozesses und darüber hinaus arbeiteten Historiker, Journalisten und viele andere an diesem Thema, auch Filmemacher wie Eberhard Fechner, mit seinem Dokumentarfilm.
In jüngster Zeit hatte der Roman ‚Der Vorleser’ und seine Verfilmung noch einmal ein Streiflicht auf den Majdanek-Prozess gelenkt.
Weiterlesen:
➼ Majdanek • Hölle der Zwangsarbeit und Vernichtung
➼ Die schändliche „Aktion Erntefest“
➼ Otto Freundlich • Pionier der Abstrakten • Vergast in Majdanek
darüber hinaus:
➼ Index der Täter • Die Blutspur des Arnold Strippel