Maikäfer, flieg!

Von Martin Gehring

Drei Jahre und die letzte Nacht
hat er als Engerling verbracht.
Er ist im Erdreich tief gesessen
und hat sich munter vollgefressen.
Doch heute nun, es ist bald Mai,
ist seine Ruhezeit vorbei.
Frierend und mit müden Knochen
kommt aus dem Humus er gekrochen.
Er schleppt sich mühsam in die Sonne.
Bald pumpt er fleißig. Welche Wonne
für den kaum noch müden Schläfer:
Vom Engerling zum Maienkäfer.
Schon spreizt er tapfer seine Schwingen.
Der Jungfernflug, er muss gelingen.
Er hebt sich summend in die Lüfte,
genießt die Wärme, saugt die Düfte.
Nun fliegt er, taumelnd wie von Sinnen
und denkt an flotte Käferinnen
Voll Freude und mit Überschwang
brummt eine Straße er entlang.
"Da vorne ist ein Käfertier,
ein Weibchen. Schnell, das hol' ich mir.
Wie groß es ist. Und dick. Und blau?!
Kurz: Die perfekte Käferfrau."
Im Anflug denkt er: "Ach, Du Schreck.
Das ist was and'res. Ich muß weg!"
Schnell versucht er eine Wende.
Die Windschutzscheibe ist sein Ende.
Und als er auf das Fenster klatscht,
fühlt er sich platt und arg zermatscht.
Im Schwall der Scheibenwaschanlage
stirbt er noch vor dem Maientage.