„Ding-Dong! The Witch Is Dead“ – ein bekanntes Lied aus dem Musical „Der Zauberer von OZ“ – mutierte im April 2013 plötzlich zu einem Anti-Thatcher-Bekenntnis. Einige Tage, nachdem die ehemalige britische Premierministerin verstorben war, wurde das Lied massenhaft als Klingelton für Handys heruntergeladen. Das wiederum provozierte eine Gegenaktion im Befürworterlager der Eisernen Lady. Die Getreuen initiierten eine Gegenkampagne mit dem Song „I`m in love with Margaret Thatcher“, entstanden 1979 und intoniert von einer Punkband. Eine absurde Geschichte, die in Zusammenhang mit einer umstrittenen Politikerin steht, die noch nach ihrem Tod die Lager polarisiert.
Am Max Reinhardt Seminar erlebte am 14. März das Stück Maggie T. des Autorenduos Nolte Decar seine Uraufführung. Im kleinen Programmzettelchen war dazu zu lesen, dass das Stück eine auf „Improvisation beruhende Überschreibung von Shakespeares „Troilus und Cressida“ ist, welche die Handlung von dem Trojanischen Krieg wegführt und sie auf die Falklandinseln 1982 verlegt. Darin wird versucht, den Falklandkonflikt mit dem klassischen Epos und dessen dramatischer Verzerrung durch Shakespeare zu vergleichen, um Schnittstellen zu erspielen, an denen sich allgemeinere Strukturen von Macht, Militär und Medien ablesen lassen können.
Soweit also ein eher akademischer Prolog, in dem eines ganz und gar nicht deutlich gemacht wird: Nämlich der Spaß, der an diesem Abend zur Aufführung gelangt. Zum Ausdruck kommt auch nicht die überbordende Spielfreude der NachwuchsschauspielerInnen, die auf der Bühne standen und agierten, als gelte es, alles in Grund und Boden zu spielen. Und der Text verrät auch nichts von der kreativen Regie von Matthias Rippert, der zugleich auch der Initiator dieses Stückes war.
Sosehr Michel Decar und Jakob Nolte auch ein historisches Textvorbild vor Augen hatten, so ganz und gar unhistorisch, locker flockig und rasant präsentiert sich ihre Farce, in der Maggie T. – unschwer ist die Abbreviation als Thatcher zu lesen – die Hauptrolle zukommt. Gespickt zwar mit Querverweisen auf Shakespeares Drama, ist das Stück doch so stark an einigen ProtagonistInnen des Falklandkrieges ausgerichtet, dass die literarische Ausgangssituation und Bezugnahme nur als lockere Klammer wahrgenommen wird. Mit überaus geschickt gemachten Zeitverschiebungen erlebt das Publikum die Entwicklung von Maggie T. von einem unsicheren, aber dennoch schon willensstarken Backfisch, hin zu einer despotischen Führerfigur. Das beginnt bei einem Schülerausflug der jungen Maggie nach Argentinien, bei welchem sie sich in Leopoldo (Galtieri Castelli) – den späteren „de facto Präsidenten“ von Argentinien verliebt, der sein Land in den Falklandkrieg treiben sollte. Nolte Decar konstruieren Thatchers spätere seelische Befindlichkeit aus dieser ersten, unerfüllten Liebe heraus, die Anne Kulbatzki als Maggie T. schlichtweg berauschend interpretiert. Was diese junge Frau an schauspielerischem Talent vorzuweisen hat, kann in diesem Stück pur genossen werden. Ob als verschrobenes Girlie, als Erzfeindin der Queen Mum, ob als Hundemenschenabrichterin oder als staatsräsonierende Frau im blauen Pliseerock, den sie weit ausbreitet, um in Trippelschritten wie einst die spanischen Infantinnen über die Bühne zu huschen – sie schlüpft von einer Szene in die nächste, von einer Extrembefindlichkeit in das komplette Gegenteil, als wären das alles keine Herausforderungen. Bis hin zur verzagten, wehleidigen jungen Frau, die an der Welt verzweifelt und ausruft: „Maggie, es wird jemand kommen, der dich braucht!“ ist sie trotz ihrer Jugend eine derartige Idealbesetzung für dieses Stück, dass man sie für kommende Aufführungen vom Stand weg verpflichten müsste. Lukas Wurm als Leopoldo an ihrer Seite agiert dabei in seinem Spiel des Öfteren als Publikumsverbündeter, der Maggies urkomische und zugleich beängstigende Anfälle überhaupt nicht deuten kann und froh ist, fliehen zu können. In mehreren Szenen aufgeteilt, agieren die beiden vor einem einfachen Schilfrohrparavent beinahe wie ein Kabarettduo, wobei sie einen Lacher nach dem anderen evozieren. Ausdrucksstark und urkomisch führen sie in die Jugend der beiden Machtmenschen zurück, in welcher Maggie unbeholfen auf jeden Annäherungsversuch agiert.
Aber es sind nicht nur Kulbatzki und Wurm alleine, die das Stück mit so enormem Spielfeuer ausstatten. Lisa Hofer in der Rolle als Kassandra – die gleich zu Beginn auf den 7jährigen Trojanischen Krieg verweist und am Ende eine zeitenumspannende Conclusio zieht, agiert auch als Queen Mum. Als solche wird sie von Maggie wie ein Zinnsoldat so auf ihrem Schlachtplan hin- und hergeschoben, wie es der Politikerin gerade passt. Als Intimfeindin wird sie von ihr mit einer Schimpfkanonade bedacht, schon mal als „nervige Kackeule“ betitelt, darf später jedoch auch in der auf der Bühne mittig platzierten Badewanne Platz nehmen, um an den Kriegsverhandlungen im „falsch gelieferten Strategieraum“ teilzunehmen und wird schließlich als Pfand gegen Diego ausgetauscht. Anna Krestel schlüpft in die Rolle der Opernsängerin Estrella Corazon, die die Moral der Truppe durch einen siebenstündigen Gesangsauftritt in silbrigem Paillettenkleid hochhalten muss, bei welchem sie sich Hals über Kopf, oder besser gesagt, von ihren Sexualhormonen gelenkt, in Diego Galtieri, den Sohn des Kriegstreibers, verliebt. Silas Breiding als Subjekt ihrer Begierde muss nur eine einzige Frage an Estrella stellen, um sie in einen furiosen Kampf gegen das Schnurtelefon zu schicken, bei welchem sie gefühlte hundertmal mit ihren Double-High-Heels zu Boden geht ohne sich dabei auf wundersame Weise nicht ernstlich zu verletzen. Slapstick at its best.
Die Verrücktheit des militärischen Kadergehorsams zeigt der Regisseur mit dem Auftritt von Diego und einem Soldaten – ebenfalls von Wurm gespielt. Dabei wird Diego nur mit Hotpants und einer ärmellosen Lederweste bekleidet zum gar nicht willfährigen Untergebenen, der mit wenigen Gesten und Blicken die Autoritätsübungen seines Vorgesetzten untergräbt. Wunderbar passt in dieser Szene die Kostümierung von Selina Traun, der es gelingt, die Absurdität der einzelnen Figuren ins dementsprechende Outfit umzusetzen. Breiding darf auch in einem Pas-de-deux mit Kulbatzki brillieren, in welchem Maggie T. sich den Sohn des argentinischen Oberkommandierenden als Hund abrichtet. Mit „Sitz! Platz! Rolle, Rolle! gibt sie ihm stakkative Kommandi, die Breiding artistisch meistert. Dabei fegen sie derart über die Bühne, dass man ihren langen Atem und ihre Kondition bestaunen muss. Matthias Rippert war offenbar darauf bedacht, das Rampenlicht auf all seine SchauspielerInnen zu setzen, was Lisa Hofer als Queen Mum in Gefangenschaft die Möglichkeit gibt, auch ihr Talent auszuspielen. Leopoldo, der mit ihr „eh schon das Kinderbingo“ spielt, verzweifelt an ihrer Unfähigkeit, dieses Spiel zu verstehen und drängt sie durch seinen emotionalen Ausraster in eine bedrohliche Situation, in welcher sie zusammengekauert auf einem Peddingrohrsofa verharren muss. Die Retourkutsche jedoch kommt prompt. In ihrem Lieblingsspiel „Pferderennen“ muss er, getrieben durch ihre Anfeuerungsrufe, auf allen Vieren um das Sofa springen, bis die Erschöpfung auf beiden Seiten dem Treiben ein Ende setzt.
Das Grauen des Geschehens – im Falklandkrieg kamen etwas mehr als 900 Menschen ums Leben – wird nur an zwei Stellen kurz angetippt. Einmal mit einer Erschießungsszene, in welcher die mit Schafsmasken austaffierten SchauspielerInnen von Leopoldo mit einer MP niedergemetzelt werden, ein anderes Mal mit dem kurzen Auftritt eines beinamputierten, flötenspielenden Hirten. Ein medienkritischer Ansatz darf wohl derzeit kaum in einem zeitgenössischen Stück fehlen, wobei sich die Manipulation des Volkes durch die Vorbesprechung einer Radiosendung, die Live-Charakter haben soll, in diesem Fall in Grenzen hält. Der Rücktausch der Gefangenen, der veritable Monty-Python-Züge trägt und die finale Versammlung aller Entscheidungsträger bei einer Gartenparty rund um eine kleine Kühltasche schließen diese Falklandepisode. Wobei das letzte Wort abermals Kassandra gehört. „So bleibt nichts als Geilheit und Krieg. Geilheit und Krieg. Nichts sonst bleibt in der Mode“.
Decar und Nolte konzentrieren sich in ihrem Text hauptsächlich auf die zutiefst menschlichen Entscheidungen, die weit davon entfernt sind, rational abseits von der jeweiligen psychischen Befindlichkeit getroffen zu werden. Verletzter Stolz oder ein Machtwille, der in Wirklichkeit die eigenen Unzulänglichkeiten verschleiern hilft, kommen deutlich zum Vorschein und werden durch die Regie von Rippert noch zusätzlich unterstrichen. Er beeindruckt vor allem mit seiner gewitzten Figurenführung, aber auch mit dem Tempo, in dem das Geschehen abgehandelt wird. Dass sich darin zusätzlich unglaublich schöne Lichteffekte einschleichen (Fabian Liszt stattete die Bühne auch darüber hinaus mit einprägsamen Bildern aus), kann man als Surplus des Abends verbuchen.
„Ding-Dong! The Witch Is Dead“, nein, im Moment stimmt das ganz und gar nicht. Wer Gelegenheit hat, sie sich im Max Reinhardt Seminar auf der Bühne anzusehen, der sollte dies auf alle Fälle tun. Täuscht der Eindruck, oder mutiert unter der Regieklasse Krassnigg/Kušej die ehrwürdige Ausbildungsstätte gerade zu einem zeitgenössischen „Must-see-Theater“? Tolle Vorstellung. So und so.
Weitere Vorstellungen: 19./20. März 2014, 19:30, Neue Studiobühne, Max Reinhardt Seminar.
Links:
Webseite Max Reinhardt Seminar
Infos Nolte Decar