Made in Germany Zwei - nur noch zwei Tage, bis 19. Aug. 2012 in Hannover

Made in Germany Zwei, Internationale Kunst in Deutschland - nur noch zwei Tage, bis 19. Aug. 2012 in Hannover

Nutzen Sie die beiden letzten Ausstellungstage, um noch einmal etwas genauer anzuschauen oder gar einen ersten Eindruck zu gewinnen (bei sicherlich hohem Besucherandrang). Ein paar Hinweise, persönlich gefärbt, will ich hier geben.

Ich konnte es mir selber erst gar nicht erklären, warum mir immer wieder das Wort "Interlinearversion" in den Sinn gekommen ist. Weil das eigentlich Künstlerische zwischen den Zeilen, in den Leerräumen zwischen dem Sichtbaren zu finden ist, die künstlerische Sprache als Zeichen in den Zwischenräumen?

Migzwei_installationsansicht_kunstverein_kwade_foto raimund zakowski_2

Bei der Installation von Alicja Kwade im Kunstverein - Gewichte von Pendeluhren aus verschiedensten Zeiten hängen von der Decke herab - erwartet man Bewegung und trifft doch nur Erstarrtes an. "Originäre Eigenschaften und Funktionen von Objekten werden aufgehoben und vermeintlich Vertrautes verhält sich anders als gewohnt", heißt es im Kurzkatalog. Aber ich habe etwas herausgefunden: Geht man zwischen den Pendeluhrgewichten hindurch, kann man selber in Bewegung kommen und seinen eigenen Rhythmus finden - der Besucher, ist es, der sich bewegt (nicht die Gewichte der Uhren).

Migzwei_installationsansicht_kunstverein_fujiwara_foto raimund zakowski

Am meisten Zeit habe ich in dieser Installation verbracht. Wenn Sie die Ausstellung in den drei Häusern noch gar nicht gesehen haben und einen Tipp brauchen, ein Beispiel, auf das Sie sich konzentrieren wollen, dann gehen Sie in den Kunstverein in diese nachgebaute Bibliothek - Sie werden hier ein bis zwei Stunden verbringen können und haben eines der komplexesten (vielschichtigsten) und herausragendsten Kunstwerke wahrgenommen (für mich ein Höhepunkt der gesamten Ausstellung). Simon Fujiwara rekonstruiert hier das Leben einer unbekannten Person (oder: welche von den vielen?) mit Namen Theo Grünberg, auf dessen (hauptsächlich bibliothekarischen) Nachlass er auf einem Flohmarkt gestoßen ist. Auf dem Video erzählt er ausführlich die Fundgeschichte - wobei er an demselben Schreibtisch mit den Bananenkisten um sich sitzt, die der Besucher vor sich findet. Bei seiner Suche nach dem ehemaligen Eigentümer der vielen Bücher entdeckt Fujiwara letztlich drei Theo Grünbergs: einen Anthropologen und Amazonasforscher, einen jüdischen Professor für Sexualkunde und einen Professor für Logik der Universität Ankara. Welcher der richtige ist, bleibt am Schluss offen - aber kommt es wirklich noch darauf an? Das Erzählen ist schließlich wichtiger als die mögliche Wahrheit. "Zeitgeschichtliche Fakten und autobiografische Elemente verschmelzen bei Fujiwara zu einer fiktiven, sich vielfach verzweigenden Erzählung, die er vor dem Hintergrund der bibliothekarischen Kulisse entwickelt" (Kurzkatalog).

Migzwei_holzapfel_LichtbildKörper_2011

Von diesem dreidimensionalen Bild von Olaf Holzapfel (im Sprengel-Museum) kann ich hier nur einen schwachen Eindruck vermitteln, denn es fehlt eine sinnliche Ebene: der Duft. Seine Heubilder stellt er zusammen mit polnischen Bauern her. "Myriaden einzelner Halme formen vergleichbar starke Stränge, die in ihren Abweichungen ein ungleichförmiges, in Auflösung ins Einzelne begriffenes Raster ähnlicher Teile hervorbringen" (Katalogtext).

Migzwei_rhode_Harmonika_2009

Nina Rhode hingegen fügt akustische Eindrücke hinzu. Auf der von einem Motor gedrehten Scheibe sind Mundhamonikas befestigt, die einen feinen Klang erzeugen (Sprengel-Museum). In ihren multimedialen Skulpturen experimentiert sie mit Licht, Klang, Farbe, Bewegung. 

Migzwei_czech_brinkmann_2010
Nicht zwischen den Zeilen, aber in ihnen sucht Natalie Czech versteckte Gedichte: Bei "Hidden Poems" (ebenfalls Sprengel-Museum) sind in ganz normalen Zeitschriften Wörter und Wortgruppen markiert, die sich zu einem Gedicht ergänzen. Der ursprüngliche Text bleibt lesbar und tritt in eine merkwürdige Wechselwirkung mit den herausgehobenen Gedichten.

Migzwei_aminde_frontalunterricht_2009
In "Frontalunterricht" von Ulf Aminde ist in einem Video der Versuch "dokumentiert", mit zwanzig arbeitslosen Jugendlichen ein Theaterstück einzuüben. Das scheitert zunächst, wird aber dann möglich, als die Jugendlichen die Aufgabe bekommen, den Regisseur zu spielen, also mit Rollenumkehr. Das Video wird in der Kestnergesellschaft gezeigt.

Haben Sie sich anregen lassen? Sie können am Samstag und Sonntag noch die Ausstellung in den drei Häusern besuchen.

 Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bilder von oben nach unten: Alicja Kwade: Durchbruch durch Schwäche, 2011, 303 Uhrengewichte (Fragmente), Format variabel, Installationsansicht MADE IN GERMANY ZWEI, Hannover, 2012 (Detail), Courtesy Galerie Johann König, Berlin, Foto: Raimund Zakwoski; Simon Fujiwara: The Personal Effects of Theo Grünberg, 2010, Mixed media Installation und Performance, Installationsansicht MADE IN GERMANY ZWEI, Hannover, 2012, Courtesy Neue Alte Brücke, Frankfurt/Main; Gio Marconi, Mailand, Foto: Raimund Zakwoski, Cyprien Gaillard; Olaf Holzapfel: Lichtbild Köper, 2011, Heu, Drahtgeflecht, Fixativ, Holz, 166 x 124 x 28 cm, Courtesy Galerie Gebr. Lehmann, Dresden, Berlin, Foto: Jens Ziehe; Nina Rhode: Harmonika, 2009, 15 Harmonikas auf Acrylglas, Motor, goldene Glühbirne, Seil, Kabel, Dia 140 cm, Courtesy Galerie Sandra Bürgel, Berlin; Natalie Czech: A hidden poem by Rolf Dieter Brinkmann, 2010, Werkgruppe: Hidden poems C-Print, 58 x 74 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2012; Ulf Aminde: Frontalunterricht, 2009, Installation, Stuhl, Video, Minidv PAL, Ton, 39:34 Min., Courtesy Tanja Wagner, Berlin.

 


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