Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

Von Pressplay Magazin @pressplayAT

Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

7Drama

Inbrunst ist Kunst – selbst wenn sie manchmal ein wenig schief klingt … Marguerite Dumont ist wie ihr liebstes Haustier der Pfau – schillernd, extravagant, der Welt entrückt scheinend und mit einer Stimme gesegnet, die klingt, als würde man eine Katze quälen.

Glücklicherweise ist der fanatischen Opernliebhaberin, die nichts lieber tut, als sich als Diva zu inszenieren, das selbst nicht bewusst. Ihrem Publikum, das sich bei privaten Konzerten der wohlhabenden Dame regelmäßig von der stimmlichen Kapazität seiner Gastgeberin überzeugen darf, aber leider schon. Die Umgebung ist amüsiert über Marguerites Talentlosigkeit, ihr Ehemann hingegen beschämt vom Spott, den die Aspirationen seiner Frau, eine große Opernsängerin zu werden, auf sie ziehen. Vordergründig wird ihr Gesang allerdings gelobt. Niemand wagt es, Marguerite über ihre stimmliche Unzulänglichkeit aufzuklären, was erst zum Problem wird, als sie durch einen jungen Kritiker die Möglichkeit erhält, öffentlich vor einem großen Publikum aufzutreten und der Zusammenbruch des großen Lügengerüstes unweigerlich bevorsteht.

Basierend auf der realen Geschichte der Amerikanerin Florence Foster Jenkins, die sich im New York des frühen 20. Jahrhunderts den Ruf der schlechtesten Sängerin aller Zeiten eroberte, siedelt der Regisseur Xavier Giannoli die Handlung seiner Interpretation im Paris der Zwischenkriegszeit an, in dem soziale und gesellschaftliche Umbrüche unter der Oberfläche brodeln. Als schillernde Gestalt eines untergehenden Adels und seiner weltfremden Dekadenz, und dennoch als zweifellose Sympathieträgerin, lässt er die Protagonistin ins Rampenlicht treten. Catherine Frot verkörpert die herzzerreißende Zerbrechlichkeit und die gleichzeitige innere Stärke der Marguerite so überzeugend und bezaubernd, dass einem nach jeder Enttäuschung das Herz ein wenig mitblutet. Und davon gibt es reichlich. Erstaunlich ist mitanzusehen, wie die naive und trotzdem keineswegs auf den Kopf gefallene Marguerite sich mit leidenschaftlicher Unnachgiebigkeit trotz aller Widerstände den Weg zur großen Bühne bahnt, wobei immer in Zweifel gezogen werden darf, ob die völlige Ignoranz ihrer eigenen Talentlosigkeit gegenüber tatsächlich echt oder doch mehr selbstschützende Fassade ist.

Schleichend und glaubhaft kippt zunehmend ins Drama, was als Komödie begonnen hat, die Tragik wird dabei vom Optimismus und der mitreißenden Fröhlichkeit der Hauptfigur gleichsam gedämpft wie gesteigert. Weniger gut nachvollziehbar gestalten sich hingegen die Nebenhandlungen. Von der jungen, aufstrebenden Sängerin über den Sozialrevolutionär, den Kritiker und verhinderten Autor bis hin zum vermeintlich treu ergebenen Diener – Zaungäste sind bei Marguerites opernhaftem Aufstieg und Untergang reichlich vorhanden. All diese Nebenrollen tragen auf ihre Weise dazu bei, Marguerites Illusion bis zuletzt aufrecht zu erhalten, wobei die dahinter steckenden Motivationen teilweise nebulös bleiben. Das kann man als den Versuch einer andeutungshaften Abzeichnung des sich selbst bereichernden Lügengeflechts um Marguerite ansehen. Der Handlung verleihen die vielen dadurch entstehenden losen Nebenstränge aber auch einen etwas zerfransten Eindruck. Der Ehemann bietet mit seinem Wandel vom sich schamvoll Distanzierenden zum liebevoll Besorgten als einzige Nebenfigur eine stringente und gut ausgearbeitete Entwicklung.

Ungeachtet dieser Handlungsschwächen und zwischenzeitlicher Längen ist Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne ein bewegender Film über kostbare Illusionen, große Leidenschaften und das grandiose Scheitern geworden. Und, um Florence Foster Jenkins selbst zu zitieren: „Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte.“ Warten wir ab, was Stephen Frears, der sich ebenfalls dieser bemerkenswerten Persönlichkeit angenommen hat, aus der Geschichte macht. Dessen Biopic über Florence Foster Jenkins, mit Meryl Streep in der Titelrolle, wird voraussichtlich 2016 erscheinen.

Regie: Xavier Giannoli, Drehbuch: Xavier Giannoli, Marcia Romano, Darsteller: Catherine Frot, André Marcon, Denis Mpunga, Sylvain Dieuaide, Filmlänge: 127 Minuten, Kinostart: 30.10.2015, www.marguerite-film.de


Autor

Karin Gasch

Aufgabenbereich selbst definiert als: Zwielichtaufsuchende mit Twilight-Phobie. Findet "Ours is a culture and a time immensely rich in trash as it is in treasures" (Ray Bradbury) zeitlos zutreffend.


 
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