Machtübergabe

Von Renajacob @renajacob

Inhaltlich völlig falsch und psychologisch völlig irreführend ist meines Dafürhaltens das Wort ‚Machtergreifung’. Denn schauen wir uns das Wort genauer an: Benutzt wird es in Verbindung mit dem 30. Januar 1933, als Adolf Hitler zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg ernannt wurde. Somit war es eine ‚Machtübergabe’, denn die Partei Hitlers, die NSDAP konnte ein Drittel der Wählerstimmen bei den Wahlen im November 1932 auf sich vereinen und in Hinsicht auf die Zerstrittenheit der linken Parteien und mit Hilfe der konservativen Kräfte innerhalb des Parlaments, aber auch der Gesellschaft, konnte Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt werden; dies völlig legal und entsprechend der demokratischen Gesetze der Weimarer Republik.

In weiten Teilen der konservativen Gesellschaft wurde die Weimarer Republik abgelehnt, ebenso die sich freiheitlich entwickelnde Gesellschaft; vielen fehlte die ‚Starke Hand’ des Kaisers, der Blick zurück auf angeblich ‚glorreiche’ Jahre in Deutschland, war weitaus mehr verbreitet als es den Augenschein hat. Hinzu kamen die Ängste der Menschen, ihre bisherige Welt fiel aus ihrer Sicht aus ‚allen Fugen’, Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und ein Gefühl er Ohnmacht hatte sich breit gemacht. Es gäbe hier noch vieles über die beginnenden 30iger Jahre zu schreiben, doch muss ganz klar gesehen werden, das Adolf Hitler die eingeforderte Macht übergeben wurde, er sie also nicht durch einen ‚Staatsstreich’ errang.

Aber abgesehen von der Unrichtigkeit auf dem politischen Parkett über ‚Machtergreifung’ zu sprechen, hat das psychologisch eine verheerende Wirkung. Denn durch den suggerierten Begriff der ‚Machtergreifung’ entwickelt sich das Gefühl, dass Hitlers Regierungsübernahme über das deutsche Volk kam und das ohne sein zutun, es also selbst nicht in der Verantwortung steht. Das Wort der ‚Machtergreifung’ erscheint so wie ein ‚Pilatusbecken’, in dem sich der einzelne Bürger die schmutzigen Hände reinwaschen kann.

Da hilft es wenig, wenn man dem, die Fakten von demokratischen Wahlen entgegen stellt, tief verinnerlichte Gefühle können eine weitaus stärkere Wirkung haben, als alle Fakten zusammen. Ganze Generationen von Nachkriegsdeutschen sind so infiziert und können deshalb auch schwer Verantwortung für ihre eigene Geschichte übernehmen, vor allen Dingen emotional. So kann der Begriff der ‚Machtergreifung’ nicht nur zu einem Unwort erklärt werden, nein, es muss in Verbindung mit dem NS-Regime völlig getilgt werden um rationaler an die Fakten heranzugehen, aber auch, um zu erkennen, wie entscheidend und Weichen stellend  jede einzelne Wählerstimme hat, damals genauso wie heute.

Zum 80. Mal schauen wir heute auf den Tag er Machtübergabe an den damaligen Reichskanzler Adolf Hitler durch den greisen und äußerst konservativen Reichspräsident Paul von Hindenburg zurück. Doch was machen wir heute mit diesem Tag? Nun, ein Feiertag verbietet sich von selbst, ein Gedenktag kann und darf es so nicht sein, so kann es nur ein Nach-Denk-Tag sein um für sich und die Gesellschaft, aber auch für die Zukunft, einen klareren politischen, realistischen Blick zu entwickeln. Nun, werden sich manche Fragen, warum ich einem Gedenk-Tag eine Abfuhr erteile, nun, im Hinblick, dass wir erst vor drei Tagen den HOLOCAUST MEMORIAL DAY begingen, und zwar als Gedenktag, so denke ich, dass sich verbietet beide Ereignisse in einem Mund zuführen und der gleichen Kategorie zuzuordnen. Denn gerade ein Nach-Denk-Tag eignet sich für den Tag der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und deren Unterstützer, um genau dies Ereignis genauer zu betrachten ohne Vermischung anderer Ereignisse.

Wichtig dabei ist es, sich die damalige Gesellschaft genau anzuschauen, die miserable wirtschaftliche Lage zu betrachten und auch die emotionale Gemengelage nicht außer Acht zu lassen. Durch den verlorenen Ersten Weltkrieg und den Verlust der Identitätsfigur des Kaisers war für weite Teile der Gesellschaft, die Welt aus den Fugen geraten. Natürlich gab es auch einen sehr großen Teil der Bevölkerung, die diese demokratische Weimarer Republik freudig begrüßten, vor allem links gerichtet denkende Menschen, doch die die Anhänger von SPD und KPD konnten und wollten nicht miteinander arbeiten, im Gegenteil es kam nicht nur zu politischen Grabenkämpfen, sondern auch zu  Saal- und blutigen Straßenkämpfen. Ganze Buchreihen befassen sich mit diesem Thema, so will ich das hier nur aufs allerkürzeste erwähnen, um ein ‚Stimmungsbild’ darzustellen, dass zu dieser Machtübergabe führte.

Hierbei muss ferner bedacht werden, dass es die Menschen damals eher gewohnt waren zu gehorchen, als zu diskutieren. Sich Anweisungen, Verordnungen und Gesetzen zu fügen, war tief verwurzelt in den Menschen. Eine Kultur der Auseinandersetzung durch Diskussionen war (noch) nicht weit verbreitet, frei nach dem Ausspruch Bismarcks über den Reichstag, den dieser als ‚Quasselbude’ beschrieb. Den konservativen Teilen der Gesellschaft waren sozialdemokratische Regierungen, beziehungsweise deren Beteiligung suspekt, auch war es ihnen ein Dorn im Auge, dass ihre eigene gesellschaftliche Stellung ihren ‚bedeutenden’ Stellenwert verloren hatte. Doch sie trauerten nicht nur einer vergangenen Zeit, dem Kaiserreich, nach; nein, sie wollten ‚Ruhe’ und ‚Ordnung’ nach ihrem Muster. Eine Zeit, in der sich ein Land wieder finden musste, eine Zeit der ‚Marktschreier’ der Politik, eine Zeit des Umbruchs; doch eins bekam dieses Land nicht, Zeit zum gestalten eines Umbruchs, die Zeit, sich zu finden, um sich dann auch zu gestalten. Hinzu kam die wirtschaftliche Lage Deutschlands, die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg stark eingeengt und reguliert war, denn die Sieger verlangten Reparationen auf höchstem Niveau. Doch vielleicht wäre das in den Griff zu bekommen gewesen, wenn es nicht durch den weltweiten wirtschaftlichen Kollaps, zu einem wirtschaftlichen Desaster in Deutschland gekommen wäre.

Nun kam zur Gemengelage des Umbruchs die wirtschaftliche Not, das Herausfallen aus der eigenen Schicht, oftmals wirkliche Aussichtslosigkeit. Da wird Agitatoren gern geglaubt, die zum einen ‚Schuldige’ für die Misere anbieten, zum anderen versprechen, eine klare Ordnung wieder herzustellen. Genau das taten die NSDAP und ihre ‚Führerfigur’ Adolf Hitler. Sie boten keine politischen Lösungen an, denn diese hatte die NSDAP nicht zu bieten, doch boten sie eine vermeintliche Sicherheit an und dies mit dem Hinweis darauf, die ‚Schuldigen’ an dem ‚Untergang’ Deutschlands zu bestrafen. Ferner boten sie ein Hierarchie-Denken an, das den Menschen vertraut war. Wir würden das heute als ‚Stammtischreden’ abtun, doch die breite Masse der Menschen damals war es weniger geübt, Reden dieser Art zu hinterfragen. Zur ‚Ehrenrettung’ der Deutschen muss aber auch gesagt werden, dass die NSDAP mit ihren Hasstiraden nur langsam an politischem Boden gewann und auch bei den letzten Wahlen vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ‚nur’ ein Drittel der Wähler diese Partei wählten. Doch die Konservativen Kräfte des Landes, die auch über keine Mehrheiten verfügte, war bereit mit dieser Partei zu koalieren, in übersteigertem Selbstbewusstsein dachten sie auch, diese ‚Schwätzer’ in den Griff zu bekommen. Die Mehrheit der Bevölkerung wählte zwar Parteien der Arbeiterschaft, doch konnten diese keinen politischen Konsens schafften; so war es möglich, dass ein Adolf Hitler in diesem Vakuum der politischen Machtstrukturen zum Kanzler ernannt wurde.

Warum wir heute diesen Tag nicht abhaken können, als einen Teil der deutschen Geschichte, hat zum einen mit den monströsen Verbrechen dieses Regimes zu tun, aber auch damit, zu erkennen, welch verheerende Wirkung Wahlergebnisse haben und wie eine Gesellschaft, tief durchdrungen von Vorurteilen, einfachen Lösungen nachrennt ohne diese zu reflektieren, einzuordnen und ohne politischen Prozessen die Zeit zu gewähren, die sie benötigt. Wir können unser gesellschaftliches Denken heute, nicht mit dem von damals direkt vergleichen; doch müssen wir misstrauisch bleiben, wenn uns einfachste Problemlösungen angeboten werden, wenn uns ‚Schuldige’ präsentiert werden und wenn uns Fanatismus begegnet. Natürlich ist es oft nicht einfach politische Ursachen und ihre Wirkung zu analysieren, da ist es häufig leichter sich abzuwenden, vor allem in einer schwer zu durchschauenden, enger rückenden Welt; doch auch für das Nichthinschauen müssen wir die Verantwortung übernehmen, vielleicht dafür mehr als für das möglichst objektive Hinschauen.

Dem geneigten Leser wünsch ich eine gute Nach-Denk-Zeit …

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Der Altonaer Blutsonntag • Das Beil von Wandsbek

Bild: SA-Fackelzug nach Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – Quelle: welt.de