Ihr Lieben,
heute Abend möchte ich Euch eine Geschichte von Gabor von Varga erzählen:
„Vom Prinz zum Frosch“
„Es war einmal ein Ehepaar, das sich sehr liebte und sich ein Kind wünschte.
Sie bekamen auch eins – und es war ein Prinz.
Und das Kind fühlte sich auch als Prinz.
Aber dann fingen die Eltern an, sich daran zu erinnern,
was schon ihre Eltern für gut gehalten hatten.
Und weil sie fürchteten, aus ihrem Kind könne nichts werden,
gaben sie all das an ihr Kind weiter.
Das Kind aber fühlte sich immer weniger als Prinz.
Und die Eltern halfen ihm dabei:
Sie lehrten es früh laufen und ließen ihm keine Zeit zum Krabbeln.
Sie sagten: „Fass das nicht an, sonst geht es kaputt!“
Und das Kind verstand: „Ich mache alles kaputt, ich bin nicht gut!“
Und die Eltern sagten: Wir mögen Dich, wenn Du ruhig und brav bist!“
Und das Kind verstand: „Sei ruhig und folgsam, sonst habe ich Dich nicht mehr lieb!“
Die Eltern sagten auch: „Mach keine halben Sachen! Das kannst Du noch besser!“
Und das Kind verstand: „Du darfst keine Fehler machen. Du bist nie gut genug!“
Die Eltern gaben ihrem Kind all diese guten Ratschläge natürlich nur,
weil sie das Beste für ihr Kind wollten.
Sie sagten: „Sei stark“, weil sie spürten, dass sie selbst schwach waren.
Sie sagten: „Mach schnell“, weil sie sich selbst keine Zeit gönnten.
Sie sagten: „Sei perfekt“, weil sie mit sich selbst nicht zufrieden waren.
Die Eltern sagten: „Du hättest doch eigentlich…“
Und das Kind hörte: „Fühl Dich schuldig. Du tust nie, was man von Dir verlangt!“
Die Eltern sagten auch: „Was tust Du mir denn schon wieder an!“
Und das Kind verstand: „Du bist schuld daran, wenn es mir schlecht geht! Bitte tu mir jeden Gefallen, damit ich zufrieden bin."
Und dann sagten die Eltern noch: „Du sollst es einmal besser haben als wir!“Und der Prinz musste dazu herhalten, all die unerfüllten Träume der Eltern endlich wahr werden zu lassen.
Das Kind, das als Prinz geboren wurde, verlor langsam seine Krone und wurde vor lauter Regeln, Geboten und Familienbotschaften ganz grün im Gesicht.
Eines Tages, es war schon in der Pubertät, wollte es auch nicht mehr „Ja, Vati“ und „Ja, Mutti“ sagen, sondern es quakte nur noch „Nein!“Denn nun war es kein edler schöner Prinz mehr, sondern ein trotziger Frosch.“
Ihr Lieben,
in dieser Woche vor Ostern hatte ich hier in Bremen ein Gespräch mit einer Mutter, die sehr darunter leidet, dass sie und ihr Mann nicht mehr an den 16-jährigen Sohn herankommen.
Sie beklagte sich darüber, dass ihr Junge, der früher ein so liebes und gehorsames Kind gewesen sei, sich nun vollkommen von ihnen abkapseln und allem, was sie sagten, widersprechen würde.
Während dieses Gesprächs erinnerte ich mich an die heutige Gute-Nacht-Geschichte und ich schickte der Mutter abends diese Geschichte mit einer E-Mail.
Am nächsten Tag rief mich die Mutter an und erzählte mir davon, dass sie die kleine Geschichte ihrem Mann abends vorgelesen habe und da sei es ihnen wie Schuppen von den Augen gefallen, was sie alles falsch gemacht hätten.
Und sie fragte mich: „Herr Forneberg, gibt es auch eine Möglichkeit, unseren Sohn wieder vom Frosch in einen Prinz zu verwandeln!“
Und ich antwortete ihr: „Ja, die gibt es!“ Aber davon möchte ich etwas später sprechen.
Wichtig ist, dass wir erkennen, dass unsere Kinder und Enkelkinder nicht unser Besitz sind, sie gehören uns nicht, wir bekommen sie nur anvertraut.
Unsere Kinder und Enkelkinder sind nicht dazu da, die Träume zu verwirklichen, die wir nicht verwirklichen konnten. Sie sind nicht dazu da, unsere Hoffnungen zu erfüllen, unsere Sehnsüchte zu stillen.
Es ist umgekehrt:
Wir sind für unsere Kinder und Enkelkinder da, damit sie, durch uns geschützt, durch uns geliebt, durch uns ermutigt, zu selbstbewussten starken jungen Menschen heranwachsen können, die anderen Menschen ohne Angst ins Gesicht blicken können, die offen und ohne Angst ihre Meinung sagen können, die ohne Angst ihren Weg gehen können.
Ein solches Kind darf man mit Fug und Recht als einen Prinzen bezeichnen!
Was aber ist, wenn ein Kind durch die eigenen Eltern oder Großeltern bewusst oder unbewusst dazu veranlasst worden ist, ein trotziger Frosch zu werden?
Gibt es dann noch Hoffnung?
Kann aus einem trotzigen Frosch wieder ein Prinz werden?Das war die Frage der Mutter, von der ich Euch erzählt habe.
Die fröhliche Kunde lautet: Ja, es ist möglich,
aber dafür müssen wir zwei Bedingungen erfüllen:
Wir müssen das offene Gespräch mit dem trotzigen Frosch suchen, wir müssen ihm begreiflich machen, dass wir Fehler gemacht haben, dass uns diese Fehler von Herzen leidtun und dass wir mit ihm zusammen einen anderen Weg gehen möchten.
Das Märchen vom Froschkönig der Gebrüder Grimm weist uns darauf hin, worauf es zweitens ankommt:
Damit aus dem Frosch ein Prinz werden kann, muss er geküsst werden!Der Kuss aber ist das Sinnbild der Liebe.
Wenn wir also aus einem trotzigen Frosch einen Prinzen machen wollen, das müssen wir ihm vor allem unsere Liebe zeigen.
Unsere Liebe, die sich darin zeigt, dass wir zu ihm stehen in allen Lebenslagen,
die sich darin zeigt, dass wir ihn ermutigen, damit er sich etwas zutraut,
die sich darin zeigt, dass wir ihm helfen, wo immer er unsere Hilfe und Unterstützung braucht,
die sich darin zeigt, dass nicht unsere Wünsche und Träume im Vordergrund stehen, sondern unser Kind.
Ich wünsche Euch nun eine gute erholsame Nacht und grüße Euch herzlich aus Bremen
Euer fröhlicher Werner
Quelle: Karin Heringshausen