Der Aberglaube besagt, dass es Unglück bringt, wenn man das Stück Macbeth innerhalb eines Theaters beim Namen nennt. Da sagt man lieber Mr. oder Mrs. M oder auch gerne Das schottische Stück, um mögliches Desaster zu vermeiden. Der Regisseur Viestur Kairish der Neuinszenierung von Verdis Oper in Darmstadt hat sich definitiv nicht daran gehalten.
Der schottische König
Macbeth kehrt mit seinem Kameraden Banquo aus dem Krieg zurück. Auf dem Weg in die Heimat werden die beiden von merkwürdigen Damen aufgehalten, die Macbeth prophezeien, dass er König werde und Banquo vorhersagen, dass er Vater von Königen werde. Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau ermordet Macbeth daraufhin den König, um die Prophezeiung wahr zu machen. Aber direkt nach dem Mord wird Macbeth von seinem Gewissen gequält. Er wird zum König gekrönt. Aber die Prophezeiung sprach auch davon, dass Banquo Vater von Königen wird. Hat Macbeth für die Nachfahren eines anderen getötet? Um das zu verhindern, beschließt das Königspaar kurzerhand Banquo und dessen Sohn zu ermorden. Während die engagierten Mörder Macbeths Kriegskumpan meucheln, der Sohn aber fliehen kann, geben die Macbeths ein rauschendes Fest. Aber der neue König scheint etwas neben sich zu stehen. Er sieht tote Menschen. In seiner Verzweiflung will er nochmal die wissenden Frauen von anfangs befragen. Diese lassen ihn wieder in die Zukunft blicken: Er solle sich vor Macduff hüten. Niemand, der von einem Weib geboren wurde, könne ihm schaden. Er sei unbesiegbar, bis der Wald von Birnam sich auf ihn zu bewege. Macbeth findet, das seien gute Nachrichten. Nur für alle Fälle bringt er trotzdem Macduffs Familie um die Ecke. Macbeths blutrünstiger Regierungsstil bleibt dem Volk jedoch nicht verborgen. Einige sind geflüchtet und haben sich unter Malcolm, dem Sohn des ermordeten Königs, zusammen getan. Macduff ist auch dort und muss aus der Ferne vom Tod seiner Familie hören. Das will er auf keinen Fall auf sich sitzen lassen und Malcolm hat auch schon eine gute Idee, um Macbeths Festung zu stürmen. Er und seine Gefolgschaft verbergen sich hinter Ästen und Zweigen, um das Überraschungsmoment auszunutzen. Auf dem Schlachtfeld tötet Macduff Macbeth. Wie gut, dass er durch Kaiserschnitt zur Welt kam. Die Lady hatte sich schon vor Macbeths Ende selbst umgebracht.
Wieviele Kinder hatte Lady Macbeth?
Die Macbeths haben keine Kinder. Das ist sowohl bei Shakespeare als auch bei Verdi klar. Unklar ist allerdings wieso. Ist die Lady unfruchtbar? Ist Macbeth impotent? Sind die beiden biologisch inkompatibel? Man weiß es nicht. Es ist für das Königspaar jedenfalls Grund zur Sorge, dass sie keine Nachfahren haben, welche die Krone nach dem Tod Macbeths übernehmen können. Der erste einer ganzen Dynastie von Königen zu sein, scheint in der vorgestellten Welt der ganz große Traum zu sein. Ich bin grundsätzlich damit einverstanden, dass das Thema der Nachkommenschaft und damit auch Familie das gesamte Stück durchzieht. Nicht einverstanden bin ich damit, dass ich deswegen auf der Bühne halbnackte blutverschmierte Föten unterschiedlicher Größe sehen muss. Die sollen dem Zuschauer dann wohl vermitteln, dass der Königsmord das nicht-geborene Kind ersetzt. Die Assoziation ist sicher nicht abwegig, aber bühnenwirksam ist es mitnichten, wenn ein Kind mit rot-fleckiger Glatze und Shorts neben der Lady im Bett sitzt. Wieviele Föten haben wohl im Mutterleib Hosen an? Nach Kairish offenbar alle, denn das ungeborene Kind ist nicht nur Statist in dieser kopfgeborenen Regie, sondern singt auch. Der bemitleidenswerte Darsteller des Macduff trägt eine nackte, ebenfalls blutige Kopferweiterung, obenrum ein blutbeflecktes hautfarbenes Trikot und untenrum... eine blaue kurze Hose. Aber was noch viel schlimmer ist - die Gleichsetzung von Macduff mit einem Ungeborenen ist absolut daneben. Es ist erstens faktisch falsch, da es schon in der Vorlage von Shakespeare gerade um die Irreführung in der Prophezeiung geht. Er wurde zwar nicht auf normalem Wege geboren, ABER er wurde aus dem Mutterleib heraus gerissen, also kam durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Warum in Darmstadt jetzt ein Fötus Macbeth tötet, indem er ihm eine grüne Spielzeugschaufel in die Hand drückt, ist und bleibt mir schleierhaft. Das Programmheft schweigt sich ebenfalls darüber aus.
Hätte, hätte, Fahradkette
Dabei hätte die Regie sogar Potential zu großen Bildern gehabt. Zum Beispiel dominiert das eheliche Bett der Macbeths die meisten Szenen. Zu Anfang steht es im fast naturalistischen Schlafzimmer der beiden, das sich nachher absurd vergrößert. Dann steht es mitsamt totem Banquo in der Mitte des Festsaales - unsichtbar für die Gesellschaft. Und zuletzt ist es bedeckt von Schmutz und befindet sich bereits unter der Erde, als die Lady sich das Leben nimmt. Nur leider wird diesem vielfältig symbolischen Ort sofort jegliche Ernsthaftigkeit abgesprochen, als die Lady und ihr Mann mit Straßenschuhen quer darüber latschen. Im Programmheft steht so schön, dass das Bett ein Ort von Schlaf und Traum, von Sterben, Zeugen und Geborenwerden ist. Ich würde dem noch hinzufügen wollen, dass es ein Ort der Geborgenheit und Intimität ist und sicherlich auch von Lust und Leidenschaft. Aber wie soll ich all das auf der Bühne sehen und assoziieren, wenn die Darsteller mit diesem Gegenstand nicht so umgehen, wie es ihm gemäß ist? Eine Schande! Denn was hätte man mit diesem weißen Bett nicht alles machen können! Den toten König zwischen die beiden legen, wäre da noch eine der plumperen, aber nichtsdestotrotz schlüssigen Ideen. Aber was wäre wenn beispielsweise die Lady zu Beginn aus dem Bett steigt, die Decke zurückschlägt und einen großen Fleck von Menstruationsblut vorfindet? Ist sie vielleicht enttäuscht oder gar froh darüber, nicht schwanger zu sein?
Ein weiteres simples aber sinnfälliges Symbol, das die Darmstädter Inszenierung leider nicht ausschöpft, ist die Erde. Dieses schöne, braune Element wird erst im letzten Drittel in der Hexenhöhle eingeführt. Hier passiert übrigens der einzig kluge Moment, indem Macbeth die prophezeienden Erscheinungen aus dem Boden ausbuddelt, sie sich also selbst erschafft. Im Folgenden bleibt die Erde auf der Bühne und stürzt als unaufhaltsame Naturgewalt langsam aber beständig in das königliche Schlafzimmer, das zuletzt selbst und vollends Erde ist. Wie schade, dass dieses Sinnbild von Natur, Fruchtbarkeit und Tod erst so spät kommt. Ich hätte mir sie auch gut als erste Andeutung vom Ende Macbeths bereits im ersten Bild des ehelichen Bettes vorstellen können. Es hätte sich dann sukzessive verstärken können bis hin zur letztendlichen Überlagerung von Macbeths Welt. Hätte.
Sch***!
Der Aberglauben über Das schottische Stück bietet auch Reinigungsrituale an, falls einem der Titel doch rausrutschen sollte. Eins davon geht so: Man verlasse das Theater, renne dreimal ums Haus, spucke über seine linke Schulter, sage etwas Obszönes und warte dann bis man eingeladen wird, das Theater wieder zu betreten. Herr Kairish würde vielleicht jetzt noch draußen stehen.
Kritik in der Frankfurter Rundschau vom 29. September 2014Kritik in Echo-online vom 29. September 2014Kritik im Wiesbadener Tagblatt vom 29. September 2014Macbeth. Oper in vier Akten (UA 1847 Florenz; 1865 Paris)Staatstheater Darmstadt
Musikalische Leitung: Will Humburg
Regie: Viestur Kairish
Bühne: Reinis Dzudzillo
Kostüme: Ilse Welter
Choreographie: Jo Siska
Dramaturgie: Mark Schachtsiek
Besuchte Vorstellung: 27. September 2014 (Premiere)