Nikolai Tokarev (c) Uwe Arens
In dieser Saison gibt es bei den Konzerten des OPS, dem Philharmonischen Orchester in Straßburg, nicht nur allerlei selten gespielte Repertoireentdeckungen für Orchester zu hören, sondern auch eine geballte Kraft an jungen Pianisten. Nach Andreas Haefliger und Evgeny Kissin gehörte das Konzert am 10. März dem jungen Nikolai Tokarev. Ende März folgt dann noch der Chinese Yundi Li, sowie im April der Mazedonier Simon Trpčeski. Damit wird und wurde dem Publikum in Straßburg eine wunderbare Vergleichsmöglichkeit jener Pianisten zuteil, die derzeit allesamt an einer steil nach oben strebenden Karriere arbeiten.
Das Konzert vom 10. März dirigierte wieder der künstlerische Leiter des OPS, Marc Albrecht, höchstpersönlich. Mit der Suite aus der Bühnenmusik zu Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ op. 11 des in Österreich geborenen Erich Wolfgang Korngold ließ er die Ohren der Zuhörerinnen und Zuhörer ganz groß aufgehen. Dieses schöne, selten gespielte Werk reiht in 5 kleinen Sätzen in narrativer Art und Weise eine bildhafte Bühnenmusik aneinander. Interpretiert wird es mit einem kleinen Salonorchester. Erich Wolfgang Korngold, der in den 30er Jahren für die großen Filmstudios in Hollywood Filmmusik machte, davor aber schon in Wien mit großen Werken wie seiner Oper „Die tote Stadt“ aufhorchen ließ, wurde im Laufe des vergangenen Jahrhunderts fast vergessen. Er nahm in den USA die amerikanische Staatsbürgerschaft an und hatte nach seiner Rückkehr nach Wien nach Beendigung des 2. Weltkrieges mit massiven Vorurteilen zu kämpfen.
Einem Komponisten, der zu dieser Zeit nicht atonal komponierte, sprach man jegliche Qualität ab. Seit einigen Jahren nun ist aber eine regelrechte Korngoldauferstehung festzustellen und das zu Recht. Mit der Suite aus der Bühnenmusik und der als Abschluss gegebenen einzigen Symphonie Korngolds gelang Marc Albrecht, das breit umrissene Schaffen dieses interessanten Künstlers kompakt vorzuführen. Die leise, wunderschöne Melodie, die zu Beginn der Suite steht und in eine hüpfende und wiegende Musik, getragen von Streicherklängen mündet, macht sofort deutlich, dass es Korngold darum ging, Musik als Untermalung für ein Bühnenstück zu gestalten, indem sie die darin verwendeten Bilder voll und ganz unterstützt. Die unverkennbar wienerischen Streicherklänge im 4/4 Takt des zweiten Satzes gab Alexander Somov als erstem Cellisten wieder einmal die Möglichkeit, sein Können zu zeigen. Der warme Ton seines Cellos und sein intensives Vibrato ließen die feinen Seelenregungen der jungen Frau im Brautgemach zart nachempfinden. Noch einmal, nämlich im vorletzten Satz, war es Somov, der sein Cello singen ließ und die Liebe zwischen Beatrice und Benedict hinaustrug in den großen Saal. Deutlich zu hören waren die melodischen Parallelen zu Bernsteins „Somewhere“ aus seiner „West-Side-Story“, die die amerikanischen Einflüsse Korngolds musikalisch offenbaren. Das spitzfindig intonierte Ende des letzten Satzes, der alle Instrumente, vorrangig die Hörner lautstark rasen lässt, um dann in ein paar ganz langsame Takte zurückzufallen, ließ mit seinem letzten aufbäumenden Takt richtig auflachen. Eine wunderbare Interpretation des OPS, die Marc Albrecht, wie immer, hervorragend analysierte und vorantrieb.
Nikolai Tokarev, der junge Shootingstar aus Moskau, der in Japan alle Zuschauerrekorde unter den jungen Leuten bricht, wagte sich an das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 von Sergej Rachmaninoff. Es war ein Brausen und ein Hacken, ein Jagen und ein Wüten, dass einem Hören und Sehen vergehen konnten. Das Stück, das nicht nur eine immense technische Herausforderung für einen Pianisten darstellt, bietet auch noch allerlei andere Hindernisse. Im ersten Satz ist der Solist förmlich gezwungen, gegen den groß ausnotierten Klangapparat zu kämpfen, um nicht unterzugehen. In seinem Solo ersetzte Tokarev jedoch von der ersten Sekunde an das komplette Orchester mit dem dichten, auf vielen Akkorden aufbauenden Klangvolumen des Instrumentes, sodass man meinte, er spiele mit 20 Fingern. Im melancholischen zweiten Satz, der zwar vom Tempo her nicht so anspruchsvoll ist, hat Tokarev dennoch keine Zeit auszuruhen, zu stark steht hier sein Part im Vordergrund. Das Ende, mit einem langen, langen Nachhall der Instrumente versehen, bezauberte unglaublich. Der Ausgleich im dritten Satz, in dem das Orchester das Klavier viel stärker als zu Beginn unterstützt, wartet in seiner ebenfalls melancholischen Grundstimmung mit einer großen Anzahl von fingerbrecherischen Läufen auf. Tokarev meisterte sie alle, ohne auch nur ein einziges Mal den Eindruck zu erwecken, dass er sich gerade mit einem der schwersten Klavierwerke beschäftigte. Seiner technischen Fulminanz setzte er in seiner Chopinzugabe dann schließlich eine Innigkeit gegenüber, die man so nicht erwartet hätte. Bewusst interpretierte er Chopins Nocturne cis moll, das nach seinem Tod veröffentlicht wurde, als Gegengewicht zur technischen Raserei bei Rachmaninow. Bekannt wurde das Werk in den letzten Jahren vor allem durch den Film „Der Pianist“ von Roman Polanski, der die Autobiografie „Mein wunderbares Leben“ des Pianisten Władysław Szpilman verfilmte, der den Horror des Warschauer Ghettos überlebte. Es stellt sich die Frage, wie Tokarev, dieser junge, technisch brillante Pianist wohl in 10 oder 20 Jahren spielen wird, wenn er auf eine Lebenserfahrung zurückblicken kann, die sich dann auch in seinem Spiel wiederfindet.
Der Abschluss bestand, wie eingangs schon erwähnt, aus Korngolds einziger Symphonie. Einem beinahe 1stündigen, 4sätzigen Werk, das nicht nur von einer komplexen Struktur, sondern vor allem von einem durchgehend melancholischen Grundcharakter geprägt ist. Die Flöten – an ihrer Spitze Sandrine François, die in dieser Saison schon mehrfach ihr Können, ihre Musikalität und ihre Nervenstärke unter Beweis stellen durfte, aber auch alle ersten Geiger, Altisten und Cellisten haben in diesem Stück Glück, sind doch wunderbare Melodien ihren Instrumenten gewidmet. Marc Albrecht dirigierte dieses Werk durchsichtig unterstützend und mit sichtbarem Enthusiasmus. Baden und waten bis zum Hals in Depression, so könnte man wohl am besten die Stimmung dieser Korngoldsymphonie beschreiben, in der immer wieder in einzelnen Stellen ein Toben und Wüten zu vernehmen ist, das jenem von dem zuvor gespielten Rachmaninow in nichts nachsteht. Die zum Teil langen, dunklen Endlosschleifen, die sich wieder und wieder im Kreis drehen sind, bevor man sich ganz dem schwermütigen Ertrinken hingibt, immer wieder auch mit einzelnen Hoffnungsschimmern versehen. Erst im Abschlusssatz setzte der Komponist eine verspieltere und tänzerische Stimmung ein, die sich jedoch im Mittelteil des Satzes noch einmal an alle schwermütigen Tiefen der vorherigen Teile erinnert. Dass Korngold auch die gesamte Bandbreite der modernen Streichertechnik instrumentieren konnte, zeigt jene schöne Stelle im letzten Satz, in der die Saiten abwechseln rasch hintereinander gestrichen, gezupft und geschlagen werden, sodass den Instrumenten alle nur denkbaren Klänge entströmen. Mit Strauss´schen Verweisen endet die Symphonie fulminant. Das OPS glänzte mit lupenreinen Soloeinsätzen ebenso wie mit gesamtorchestralen Partien, die tiefes Feingefühl von allen Musikerinnen und Musikern verlangen. Für all jene, die Lust bekommen haben, sich die beiden Werke von Korngold anzuhören, hier noch ein kleiner Hinweis: Marc Albrecht spielt in den nächsten Tagen die Suite und die Symphonie mit dem OPS auf CD ein, die unter dem Label Penta Tone Classics erhältlich sein wird.
Was dem Orchesterchef mit dieser Stückauswahl gelang, war nicht nur eine zu Ohren und Herzen gehende Interpretation, sondern vor allem eine wunderbare Demonstration, wie sehr sich die drei ausgesuchten Werke in einigen Passagen miteinander vergleichen lassen. Die lyrischen Stellen der Suite und die rasenden der Symphonie sind bei Rachmaninow in komprimierter und exemplarischer Form schon vorhanden und zeigten ein halbes Jahrhundert später noch immer berechtigte Auswirkungen. Vielleicht bekehrt dieser Vergleich auch jene, die bis jetzt Korngold unterschätzten.
Verfasser: Michaela Preiner
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Schlagwörter: Erich Wolfgang Korngold, Marc Albrecht, Nikolai Tokarev, Sergej Rachmaninow
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