Nikolaustag. Manchmal habe ich den Eindruck, seitdem man die Mentalität Südeuropas zum Auslöser der Krise auserkoren hat, ist so gut wie jeden Tag Nikolaustag. Keiner, an dem rauschige Bärte, cocacolarote Roben und fette Bäuche vorstellig werden. Einer, bei dem eine zeitgemäße Interpretation des Nikolo, frei von Runzeln, frei von altbackener Schwerfälligkeit, molestiert. Im Geschäftsanzug gerafft, schön glatt rasiert und gescheitelt, liest er nicht aus einem güldenen Buch Sünden heraus, sondern spricht leger aus dem Stehgreif. Das ist moderner. Und die müßiggängerische Eintagespräsenz per annum reicht auch nicht mehr in Zeiten, da Flexibilität und Erreichbarkeit Primärtugenden sind. Bald ist Nik'lausabend da, kann man mehrmals im Jahr singen. Und es ist nicht nur der Abend alleine für ihn reserviert. Er stapft in Talkshows, schreibt in Gazetten, ist immer als Nikolaus präsent, der keine Geschenke zu verteilen hat, wohl aber Vorwürfe, Vorurteile und den drohenden Finger.
... Nik'laus ist ein guter Mann ...
Neulich lauschte ich zwei Kollegen. Sie sprachen von einer Talkrunde am Vorabend. Zu Gast mehrere Leute aus der Politik und den Medien. Meinungsmacher eben. Einer bestätigte dem anderen, das dieser Nikolaus Blome doch eine recht gute Figur gemacht habe. Ich traute meinen Ohren kaum. Ausgerechnet dieser Mann, ausgerechnet der gegelte Blome. Letztlich darf das einen nicht verwundern. Blome ist omnipräsent. Wie sein Namensvetter aus der Legende scheint er alles zu sehen, zu hören, zu riechen, ist immer zur Stelle. Er hat nicht zu allem eine Meinung, aber zu seinem Lieblingsthema hat er die einzig richtige und gültige Meinung. Eine populistische, die nach fünf Pils noch nachvollziehbar und logisch klingt. Ein so beharrlicher Mensch, der ins Fernsehen drängt, um dort nochmal zu verlesen, was er zuvor in seine Zeitung schrieb, erntet irgendwann Anerkennung. Man verwechselt Beharrlichkeit manchmal mit Seriosität.
... Nik'laus legt gewiss was drauf ...
Das Thema, das ihn besonders beschäftigt, sind die Griechen. Es könnten auch die Spanier, Italiener und Portugiesen sein. Vielleicht sind die das Thema kommender Jahre. Ökonomische Fragen sind ihm dabei eher zweitrangig, Zusammenhänge egal. Die Krise des Euro ist für ihn ein Produkt völlig inakzeptabler Mentalitäten, wie man sie am Mittelmeer findet. Zur Korruption und Hang zur Hängematte, attestiert dieser Nikolaus den Südländern außerdem Undankbarkeit. Die Eurokrise hat für ihn keine ökonomischen Grundfeste, sondern ist rein ein Problem falscher Geisteshaltung und mediterraner Rückständigkeit. Erfüllen die Krisenstaaten die vorgegebenen Kriterien, so legt Nik'laus gewiss noch was drauf, fordert noch mehr deutsche Tugendhaftigkeit für Europa und die nachhaltige Kleinhaltung mediterranen Lebensgefühls.
Lasst uns froh und munter sein ...
Nikolaus platzt nicht nur in unser Wohnzimmer, um die bösen Kinder zu schelten. Er sagt, dass wir froh und munter sein sollen, denn die deutsche Mentalität hat alles richtig gemacht. Sie ist der Urgrund einer standfesten deutschen Wirtschaft. Weil dem Deutschen der Müßiggang üblicherweise fremd ist, lebten wir als paradiesische Insel inmitten der Agonie. Die Wirtschaft schwingt auf, die Menschen hätten Arbeit, die Kanzlerin hütet unsere Interessen und Nikolaus teilt uns mit, dass jetzt Glück programmiert ist, dass wir Dankbarkeit zeigen sollten dafür, mit so guter Mentalität ausgestattet zu sein. Natürlich belohnt ein richtiger Nikolaus auch die braven Kinder. Er lobt sie und sagt ihnen, dass man jetzt noch mehr Anstrengungen machen müsse, um das Vollbrachte weiterhin zu sichern. Blut, Schweiß, Tränen als Belohnung für Niedriglöhne, sinkende Einkommen und prekäre Arbeitsverhältnisse. Und gerade deshalb: Lasst uns froh und munter sein!
... Bald ist Nik'lausabend da ...
Der stellvertretende Chefredakteur der BILD-Zeitung ist ein Platzhirsch. Er hat es in den letzten Jahren geschafft, von einer breiten Öffentlichkeit als ein ehrlicher Makler angesehen zu werden. Immerhin vertritt er die behäbigen Ressentiments, die eben diese breite Öffentlichkeit teilt. Er wirkt mit seiner kühlen, glatten Art nicht wie ein Populist, sondern wie jemand, der sagt, was er sagt, um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Er und sein Blatt brechen komplexe ökonomische Prozesse auf Mentalitätsfragen herunter. Diese Popularisierung der Krise ist zugleich eine Trivialisierung. Nikolaus Blome bedient den deutschen Chauvinismus und erntet Anerkennung. Und ein ihm an die Seite gestellter Knecht Ruprecht namens Augstein putzt seinen chauvinistischen Sendungsauftrag zu Seriosität heraus.
... Hast denn die Rute auch bei dir? ...
Jeder Zeitgeist erhält den Nikolaus, den er geistig vorbereitet. Das autoritäre Bürgertum kannte den cholerischen, den schlagenden Nikolaus, der nur Stichwortgeber des Ruprecht war. Die Aufbruchsgesellschaft nach dem letzten Weltkrieg kannte den gnädigen und verständigen und lobenden Nikolaus, der kurz vor dem Abendessen ohne Ruprecht zu Besuch kam. Und in chauvinistischen Zeiten, da die inneren Diskrepanzen im Lande dazu führen, nach Außen wie ein Hegemon aufzutreten, da trägt der Nikolaus keine Mitra, sondern Anzug; ist er nicht mit der Gelassenheit des Alters sondern mit jugendlicher Arroganz am Werk; ist er nicht großherzig sondern kühl und herablassend.