Bei einem tragischen Unfall in einem Therapiezentrum in Miracle Creek sterben zwei Menschen aufgrund eines Brandes. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde und die Hauptverdächtigen nicht zu besagter Zeit zugegen waren. Plötzlich gerät die Mutter des toten Jungen ins Visier, die sich vor Gericht behaupten muss. Doch nach und nach wird klar, dass sie nicht die einzige Person mit einem Motiv war und fast alle Beteiligten irgendwie mit im Fall involviert sind.
Krimis und Thriller sind nicht mein Fall, was den einfachen Grund hat, dass mir darin oftmals die Entwicklung und Tiefe der darin agierenden Figuren fehlen. Miracle Creek bot mir jedoch ein aktuelles Gegenbeispiel zu meiner These. Dieses ist zwar als Roman ausgeschrieben, hat aber auch Freund*innen der Spannungsliteratur einiges zu bieten und erinnerte mich stellenweise an die Romane von Celeste Ng. Aus sieben Perspektiven setzte sich beim Lesen ein Puzzle aus Lügen und Intrigen zusammen, wie es irreführender nicht sein könnte. Die Autorin schaffte es sogar, mich von meiner ersten, richtigen Vermutung abzubringen und in eine andere, falsche Richtung zu lenken, was ich ihr hoch anrechne.
Angie Kim unterscheidet sich jedoch noch aus anderen Gründen von ihren Schriftstellerkolleg*innen, denn ihre Darstellung von Gefühlen und Gedanken ist gnadenlos. Unverschönert und ehrlich bekommt man eine Palette an Emotionen dargeboten, die einen zu packen drohen, einen zwingen, über Situationen und Sachverhalte nachzudenken, von denen man sich normalerweise abwendet oder die man einfach nicht bis in die eigene Tiefe vordringen lässt. Hinter den Lügen der handelnden Personen verbirgt sich nämlich vor allem eines: Menschlichkeit, ausgedrückt im Wunsch nach Anerkennung, im Bedürfnis, das Richtige zu tun und der Angst vor gesellschaftlichem Abstieg. Die Autorin schiebt dem klaren Schwarz-Weiß-Denken einen Riegel vor, indem sie ihren Leser*innen vor Augen führt, wie schmal der Pfad zwischen „Gut“ und „Böse“ ist und wie nur ein kleiner Hauch darüber entscheiden kann, wer schlussendlich als Täter*in oder als Opfer dasteht.
Als kleine Feministin, die ich nunmal bin, komme ich nicht umhin zu erwähnen, dass das Buch darum bemüht ist, rassistische und patriarchale Strukturen aufzubrechen oder sie den Leser*innen jedenfalls vor Augen zu führen. Der Roman las sich für mich deswegen (aber auch aus anderen Gründen, die ich für die Spoilerfreiheit unbenannt lasse) auch wie ein kleiner Lobgesang an all die aufopfernden Mütter da draußen, die so viel leisten, über die aber auch am meisten geurteilt wird. Ich musste beim Lesen so oft an Unsichtbare Frauen denken... aber das ist eine andere Geschichte.