Bei Ludwigsburg denken die meisten ans Blühende Barock, an Wüstenrot oder an den Weihnachtsmarkt, doch obwohl die ehemalige Residenz- und Soldatenstadt, heutige Barock-, Märchen- und Medienstadt gerade etwas über 300 Jahre jung ist, hat sie einige Besonderheiten zu bieten, ja ist eine Besonderheit an sich: “Langweilige Städte gibt’s schon genug”, meinte herzog Eberhard Ludwig, und gründete die Planstadt Ludwigsburg mit rechtwinklig angelegten Straßenzügen. Seit 2013 macht das neu konzipierte, schicke Ludwigsburg Museum “MIK – Museum, Information, Kunst” die bewegte Stadtgeschichte erlebbar.
Passenderweise wurde ein barockes Amtshaus in der Eberhardstraße von der Architektengemeinschaft Lederer Ragnarsdottir Oei und den Museumsgestaltern HG Merz zu einem Gesamtkunstwerk konzipiert und hinter der historischen Fassade befindet sich nun ein einzigartiger, stylisher “Gemischtwarenladen”, der moderne Kunst, Stadtgeschichte, Touristeninformation, die Verwaltung mit Bibliothek und Archiv sowie ein Café und den MIK-Shop eindrucksvoll miteinander verbindet.
Für alle, die wie ich (noch) nicht vor Ort waren, hat die Stadt Ludwigsburg ein außergewöhnliches Buch heraus gegeben. Hinter Buchdeckeln im Sichtbeton-Design zeigen zahlreiche Farbfotos die beeindruckenden Räume, einige durch Tänzer dynamisch in Szene gesetzt und die Botschaft kommt an: hier ist kein museales Vakuum entstanden, sondern ein Ort, der lebendiger Treffpunkt für Bewohner und Gäste der Stadt sein will. Auch die Texte im Buch sind durchgehend zweisprachig. Aufgrund seiner zentrale Lage kommt die Stadt nicht nur ins Museum, sondern das MIK wirkt – nicht zuletzt mit zahlreichen Veranstaltungen – in die Stadt hinein.
Die detailreiche Innenausstattung kommt in einigen Räumen pur weiß daher und rückt die Exponate auf besondere Weise in den Fokus der Besucher.
Die ständige Ausstellung stellt die Planstadt Ludwigsburg vor und belebt die Idealstadtidee ihres Gründers. Herzstück ist die Installation “Stadtbild” mit einem vertikal aufgestellten Stadtmodell umgeben von scheinbar willkürlich zusammen gestellten Exponaten.
Im ersten Stock zeigt sich die “Stadtchronik”, streng chronologisch auf weißen Quadern angeordnet. Sichtfenster zwischen den Quadern geben Durchblicke auf die sechs Kabinette frei, in denen ausgewählte Aspekte der Stadtchronik thematisch vertieft werden. Wie ein Rückgrat verbindet die Themenräume eine durchgehende Sitzbank auf denen Besucher zur Ruhe kommen können. Großformatige Texte und iPads vermitteln weitere Informationen zu den Exponaten.
Fürsten und Herrscher finden hier genau so ihren Platz wie frühere und heutige Unternehmen der Stadt, so stehen beispielsweise im Kabinett “Neuerfindung” in verglasten Kuben dicht an dicht “Ludwigsburger” Erfindungen von Bleyle bis Botox. Im ganzen Haus finden sich kleine rote Täfelchen, das “Anekdoten-ABC”: jede Tafel ergänzt die Stadtgeschichte mit einer Geschichte aus einer anderen Perspektive oder einer anderen Zeit.
Unter den Exponaten sind viele Überraschungen, zum Beispiel eine Hakle-Clopapierrolle, die vermutlich aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts stammt und die im Unternehmen des Ludwigsburger Ehrenbürgers Hans Klenk gefertigt wurde. Bis zu seiner Erfindung war der Gebrauch von Einzelblättern üblich.
Auch die Zellophantüte mit Espressobohnen erscheint auf den ersten Blick wenig spektakulär. Erst die Geschichte hinter dem Objekt offenbart die Poesie des Ausstellungsstückes: fünf Jahre bevor Deutschland das Gastarbeiter-Anwerbeabkommen mit Italien schloss, kam Francesco Moro nach Ludwigsburg. In einem römischen Kloster hatte er sich in eine junge deutschte Witwe verliebt, wurde aus seinem Konvent ausgeschlossen und er folgte ihr in ihre Heimat. Die beiden gründeten eine Familie und Francesco Moro arbeitete auf dem Bau, doch aufgrund der Fremdenfeindlichkeit seiner Kollegen wurde er zum fliegenden Händler.
Als in den kommenden Jahren immer mehr Italiener nach Deutschland kamen, hatte Moro eine Idee: er ließ einen schwäbischen Nudelhersteller original italienische Spaghetti herstellen, die sich bestens verkauften – Moro erweiterte sein Angebot und führte 1970 den größten italienischen Lebensmittelhandel der Region. Mit im Sortiment: Espresso aus Bella Italia.
Stadt Ludwigsburg / Dr. Alke Hollwedel “Ludwigsburg Museum”, 270 Seiten mit 152 farbigen Abbildungen, Hardcover, av edition