Luc Jochimsen: Eine Woche in Iran, Teil 5

Dr. Lukrezia Jochimsen (Foto: Bundestag.de)

Dr. Lukrezia Jochimsen (Foto: Bundestag.de)

Am nächsten Tag geht es nach Qom, der heiligen Stadt, der Stadt, von der die Revolution ausging. Für den frühen Morgen war nochmal ein „Briefing“ im Außenministerium vorgesehen. Auf dieses verzichteten wir bewusst. Was sollte uns da Neues erzählt werden? Was sollten wir uns zum x-ten Mal wieder anhören? Für uns galt jetzt das Versprechen: am 21. Oktober erhalten die Inhaftierten konsularische Betreuung. Und für uns galt außerdem: wir würden die Gespräche in Qom nutzen, um auf unser Anliegen in dieser Angelegenheit überall aufmerksam zu machen. Auf die Weiterreise nach Isfahan verzichteten wir. Wir wollten uns am Tag der versprochenen konsularischen Betreuung der beiden Inhaftierten in Teheran aufhalten, in der Nähe des Parlaments, um handeln zu können – so oder so.

Die Fahrt war erstmal eine Ausfahrt aus dem Moloch Teheran Richtung Süden. Eine zersiedelte Mega-Baustelle, in der 16 Millionen Menschen leben, wo offenbar jeder, der sich ein Stück Boden aneignen kann, bauen darf was er will und wie er will. Hochhäuser, Mickey-Mouse-Appartements wie aus Disneyland, Shopping-Malls, Supermärkte, Werkstätten, kleine und große Fabriken, ein städtebauliches Chaos. Entlang der Stadtautobahn allerdings neuangepflanzte Grünanlagen, bewässert und gepflegt, kleine Oasen neben dem achtspurigen Autoverkehr.

Nach dem Moloch kommt ganz schnell die Wüste. Hügelig, dünig, sanft gewellt der endlose Sand – und dann Qom. Und Qom ist wie ein verkleinertes Teheran mit vielen Moscheen. Auch hier Neubauviertel, Baustellen, Verkehrsströme.
Eines fällt sofort auf: während in Teheran die Frauen ganz unterschiedlich gekleidet waren, viel H & M bis Calvin Klein – sind hier alle bodenlang im schwarzen Shador verhüllt, alle. Ein sonderbares Straßenbild ergibt das: die Männer in Jeans und Hemden, T-Shirts, Anzügen – die Frauen alle vollkommen schwarz verhüllt. Wie Gespenster.

In Qom herrschte Hochstimmung. Seit zwei Tagen schon ist Revolutionsführer Ayatollah Khamenei in der Stadt – seit drei Jahren zum ersten mal. Und zwar mit einem klar veröffentlichten Ziel: die Geistlichkeit auf die Linie der Regierung einzuschwören. Das ist in allen Zeitungen zu lesen, das wird in den Fernseh-Nachrichten ganz offen dargelegt. Der Revolutionsführer wurde am Ankunftstag von Abertausenden begeistert begrüßt.
In der Stadt herrscht eine Art „Kirchentagsstimmung“ – ein Personenkult ohnegleichen prägt Straßen, Plätze, Hausfassaden. Überall überlebensgroße Plakate der Geistlichkeit. Man bewegt sich in einem Portrait-Wald.

Unsere erste Anlaufstelle ist das Imam Khomeini Institut für Wissenschaft und Forschung, eine Gründung von Wissenschaftlern und Geistlichen. Dort wird zunächst das „Briefing“ des Außenministeriums nachgeholt, das wir in Teheran abgesagt haben. Nach der Devise, das lassen wir mit uns nicht machen, hören wir wieder „Grundsätzliches“. Dann wird uns das geistliche Ratskollegium vorgestellt, darunter ein amerikanischer Professor deutscher Abstammung, der seit Jahren in Qom lebt und uns versichert, wie frei er über das Christentum lehren und forschen kann an diesem Institut.

Danach fahren wir weit an den Stadtrand, direkt bis an die ersten Wüsten-Dünen zur noch teilweise im Bau befindlichen Universität der Religionen und Konfessionen. In einem klassenzimmerartigen Vorlesungsraum treffen wir ein Dutzend ganz junger Shador-Frauen, die uns erklären, dass sie Theologie studieren – und Ayatollah könnten auch Frauen werden – nur Großayatollah nicht. Zwischendurch weist man uns auf die Zahl der studierenden Frauen im Iran hin: sie liegt jetzt bei knapp über 50%. „Wir müssen demnächst über eine Männer-Quote nachdenken“, erklärt der Universitätspräsident.

Quelle: lukrezia-jochimsen.de


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