Aber nicht nur Betroffene kommen in diesem Band zu Wort, sondern auch mit dem Thema befaßte Juristen, Politiker, Parteien und Organisationen. Gekelers Studie und das darauf basierende Buch dürfte die wohl erste ausführliche Untersuchung der Auswirkungen „kirchlichen Arbeitsrechts“ in der so genannten „Dienstgemeinschaft“ auf den bundesdeutschen Ausbildungs- und Arbeitsalltag sein. Dieses Buch dürfte selbst gestandenen Kirchenkritikern sehr viel Neues vermitteln.
Eine kritische Anmerkung vorab. Sowohl die Autorin, als auch die Betroffenen, und erst recht die die später befragten Experten sprechen fast ausnahmslos unhinterfragt vom „kirchlichen Selbstbestimmungsrecht“. Ein Recht, das nicht vom Grundgesetz und der in dieses inkorporierten „Kirchenartikel“ der Weimarer Reichsverfassung gedeckt ist, und das so erst seit der Adenauer-Regierungszeit unwidersprochen in Gebrauch kam.
Wenn Gekeler auf Arbeitsverhältnisse in und bei Kirchen eingeht, so erfaßt sie damit zwei Gruppen. Zu einen die innerkirchlichen, also „organisationsinternen“, wie Pfarrer, Vikare, Religionslehrer u.ä. Auch hier gibt es Diskriminierungen, hier vor allem mit Bezug auf die private Lebensführung: Homosexualität, Scheidung, Wiederverheiratung. Aber bei allem Inhumanen, was hier durch Entscheidungen der Kirchenleitungen, insbesondere der katholischen, offenbar wird und auch abzulehnen ist, so muß doch gesagt werden: Wer in einer Religionsgemeinschaft Ämter anstrebt, muß nun mal die religiösen Grundwerte anerkennen. So wie es ja auch Parteipolitiker und Vereinsfunktionäre in Bezug auf die jeweiligen Satzungen und Programme müssen.
Ganz anders sieht es im eigentlich außerkirchlichen Bereich aus, wo „die Kirchen“ eigentlich ganz normale Arbeitgeber sind und auf „dem Markt“ mit anderen Anbietern konkurrieren und mit eigenen Unternehmungen wie Caritas, Diakonie bzw. als „Freie Träger“ (Krankenhäuser, Kindergärten, Jugendfreizeitstätten,Beratungsstellen usw.), auftreten. Hier haben sich mittlerweile reine Sozialkonzerne herausgebildet, die nicht anders agieren als privatwirtschaftliche oder weltanschaulich neutrale Träger (wie AWO u.a.).
Gerade in diesem Bereich kommen die Auswirkungen der kirchlichen Sonderrechte zum Ausdruck. Vor allem für die dort Beschäftigten, immerhin fast eineinhalb Millionen Menschen: Ärzte, Krankenschwestern, Büroangestellte, Hausmeister, Reinigungskräfte. Sie alle müssen auf ihre verfassungsmäßigen Grundrechte, wie Glaubens- und Gewissensfreiheit, Schutz des Privatlebens, und auf wesentliche Arbeitnehmerrechte, wie Mitbestimmung und Streikrecht, verzichten. Und zunehmend auch auf angemessene tarifliche Vergütungen. Ganz im Gegensatz zu den Spitzen dieser Sozialkonzerne, die selbstverständlich nicht für „Gotteslohn“ arbeiten, sondern sich nicht anders als privatwirtschaftliche Manager vergüten lassen.
Gekeler wartet mit einer Fülle von Fällen und Problemfeldern (mit Einzelschicksalen, die im 21. Jahrhundert in einem „demokratischen Verfassungsstaat“ das Blut in den Adern gefrieren lassen) auf, die hier aufzuführen den Rahmen sprengen würden. Daher kann der Rezensent nur zum Kauf dieses Buches ermutigen.
Immer wieder wird in diesem Buch angesprochen, daß im Sozialbereich kirchlichen Trägern und Betrieben von bundesdeutscher Politik mit Hilfe des Adenauer’schen Subsidiaritätsgesetzes flächendeckend Monopolstellungen eingeräumt wurde. Tendenz sogar steigend, besonders im Osten mit einer zwischen 70 und 80 Prozent religionsfreien Bevölkerung zu beobachten.
Betroffene, ja selbst einzelne Kleriker, äußern sich dazu sehr offen:
„Krankenhäuser gehören nach meiner Meinung in eine unabhängige oder private Trägerschaft. Dann können auch die Ärzte ihre Arbeit besser entfalten“, so ein Internist. (S. 18)
„…haben Caritas und Diakonie schon lange eine Monopolstellung. Ich empfinde das nicht nur als Unrecht, sondern als unverschämt. Das darf doch nicht hier in Deutschland passieren, wo man immer von der Trennung von Kirche und Staat redet“, so ein empörter und aus der Kirche ausgetretener Sozialarbeiter, vormals vier Jahre Zögling eines Priesterseminars. (S. 19)
Eine Pädagogin, die aus Sorge um ihren Arbeitsplatz nicht aus der Kirche auszutreten wagt, äußert sich so: „Ich würde mir wünschen, daß den Kirchen und kirchlichen Trägern die finanzielle Bevorzugung entzogen würde. Der Staat sollte sich nicht weiter aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales herausziehen, sondern sich wieder stärker engagieren und für klare Regelungen sorgen. Der Anteil konfessioneller Kindertagesstätten, Schulen, Seniorenheime, Krankenhäuser etc. ist meiner Meinung nach viel zu hoch.“ (S. 33)
Die Betroffenen sprechen immer wieder an, daß all diese Einrichtungen eben nicht von „der Kirche“ finanziert würden, sondern meist zu 90 Prozent, teilweise sogar zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand und den Sozialkassen. Doch diese Geldgeber hätten nichts zu bestimmen, sondern ausschließlich der Klerus.
Warum das so ist, warum sich der Klerus so an sein Monopol klammert, auch das kommt zum Ausdruck: weil man so sein behauptetes Image pflegen kann: „Die Kirchen tun so viel Gutes, sind Verbündete im Kampf für den Frieden und gegen Sozialabbau…“ Es wird zwar nicht so deutlich gesagt, aber dennoch geht es aus Wortmeldungen hervor: Mit diesem Image will der Klerus seinen Einfluß, seine Macht über Menschen, Gesellschaft und Staat bewahren und ausbauen. Und nicht zuletzt kann der Klerus so Menschen in der Kirche halten, über Dritte (Arbeitgeber und staatliche Finanzämter) die Mitgliedsbeiträge ohne eigene Bemühungen eintreiben.
So äußert sich ein pastoraler Mitarbeiter wie folgt: „Im System ‘Mutter Kirche’ geht es nicht darum, mündige Kinder zu erziehen. Ganz im Gegenteil.“ (S. 45) Und weiter: Ich bin für die Aufhebung aller Sonder-Arbeitsrechte für die Kirche! (…) In der Kirche bewegt sich nach meiner Einschätzung an dieser Stelle erst etwas, wenn es ums Geld geht. Das Verweigern von Zuschüssen ist die einzige Sprache, die die Kirchenleitungen verstehen.
Aus meiner Sicht kann in diesem Fall nur der Gesetzgeber bzw. Geldgeber eine Änderung erwirken. Wenn die Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechtes in erheblichem Maße auch aus Steuern finanziert wird, kann es nicht angehen, daß kirchliche Mitarbeiter in weiten Bereichen ‘außerhalb’ des Rechtes stehen. Da muß Druck auf die Träger ausgeübt werden durch die Zuwendungsträger. (…) Sich da auf Dialog einzulassen bewegt wenig. Die Mehrheit der Bischöfe legt doch von vorneherein fest, worüber geredet werden darf und was dabei herauskommen soll.“ (S. 49/50)
Ausführlich geht es in Gekelers Buch dann um die Rechtslage, insbesondere wird hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz angesprochen und wie hierzulande eine EU-Richtlinie kirchenfreundlich umgesetzt worden ist. Desweiteren geht es hier um konkrete arbeitsrechtliche Gerichtsurteile (u.a. das kirchenfreundliche
Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1985)sowie um Veränderungsmöglichkeiten durch Parteipolitik, Gewerkschaften und weitere Organisationen.
Gekeler schreibt hierzu: „Das Arbeitsrecht wird abgeleitet aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Absatz 3 WRV. Darin heißt es: „Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“ (S. 111)
Wenn man als normal denkender Mensch mit historischen Kenntnissen liest, ist das eigentlich eindeutig. Den bisherigen Staatskirchen werden mit der Trennung von Staat und Kirche die Rechte eingeräumt, die Vereine, Parteien etc. auch haben. Denn bis dato war ja der jeweilige Landesfürst auch als summus episcopus zugleich Kirchenoberhaupt und kirchliche Ämter wurden durch den Landesfürsten (also den Staat) vergeben… In der Weimarer Republik galt deshalb auch für Arbeitnehmer in kirchlichen Unternehmungen das allgemeine Arbeitsrecht (Betriebsrätegesetz, Streikrecht).
Was die Politik angeht, so machen sich sowohl die Autorin als auch die von ihr Befragten keine Illusionen. Alle etablierten Parteien (einschließlich der LINKEN) sind, was ihre jeweiligen Führungen angeht, auf das engste mit den Kirchenleitungen verbunden bzw. diesen unkritisch zugetan („Sie tun ja so viel Gutes, ohne die Kirchen würde das soziale Netz zusammenbrechen.“)
Aber immerhin habe die jetzige Bundestagsfraktion als erste überhaupt zwei Gesetzanträge zu den Grundrechten der Beschäftigten und zur Ablösung der sogenannten Staatsleistungen eingebracht. Welche von den anderen Parteien unisono abgelehnt wurden. Gekeler hebt hervor, daß die LINKE als erste und fast einzige Partei in ihrem aktuellen Wahlprogramm auch ein Kapitel „Bekenntnisfreiheit verwirklichen, Religionsgemeinschaften gleichbehandeln, Staat und Kirche institutionell trennen“ beschlossen hat. Sie vergißt allerdings mitzuteilen, daß dies auf Antrag der parteioffiziellen Bundes- und Landesarbeitsgemeinschaften „Laizismus“ geschehen ist. Sie vergißt auch, daß es hiergegen seitens des Thüringer Provinzpolitikers Bodo Ramelow erbitterten Widerstand gab und gibt. Umfänglich wird dagegen über die von deren Parteispitzen nicht anerkannten SPD-Laizisten gesprochen. Klar kommt hier aber auch durch Meinungsäußerungen von SPD- und Grünenpolitikern zu Ausdruck, daß seitens der Parteiführungen keinerlei Veränderungen gewünscht wird…
Zum widersprüchlichen innerhalb der LINKEN sei deren Europaabgeordnete und Sozialpfarrer Jürgen Klute zitiert – und zwar das, was vielleicht ohne Wenn und Aber gleich am Anfang von Gekelers Buch hätte stehen können:
„Gemeint war und ist, daß den Kirchen das recht übertragen worden ist, über die Besetzung ihrer Pfarr- und Bischofsstellen selbst entscheiden zu können, ohne Einmischung des Staates. Und daß sie die Aufgabenbestimmungen ihres Personals eigenständig regeln können.
Die Konstituierung eines arbeitsrechtlichen Sonderstatus der Kirchen, wie ihn der heutige Dritte Weg darstellt, hat Art. 137 WRV hingegen nicht zum Ziel gehabt und seinerzeit auch nicht nicht begründet. Die Kirchen unterlagen während der Weimarer Republik, wie alle anderen Arbeitgeber auch, dem für alle geltenden Arbeitsrecht… (…)
Tatsächlich stammt die Rede von der ‘Dienstgemeinschaft’ weder aus dem Alten Testament, noch aus der Weimarer Republik. Zu Beginn der 1950er sollten unter Rückgriff auf einen seit 1937 verwendeten Begriff der Nazis Gewerkschaften von kirchlichen Arbeitsplätzen ferngehalten werden.“ (S. 248/249)
Also wieder einmal bundesdeutscher Rückgriff auf Nazi-Deutschland. Man denke nur an die erst von der Hitler-Regierung eingeführte und bis heutige gültige Regelung zur Eintreibung der „Kirchensteuer“ durch Arbeitgeber und staatliche Finanzämter.
Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang ganz besonders das Interview mit Ingrid Matthäus-Maier „Politik ist viel zu kirchennah“.
Auch wenn es wohl so bald keine Veränderungen geben wird, so meint Gekeler in ihrem Fazit dennoch „Veränderungen sind möglich“ und fordert die Politik, die Politiker auf, in den Parlamenten von ihren politischen Gestaltungsmöglichkeiten, „zu denen nun mal auch das Formulieren von Gesetzen gehört“ Gebrauch zu machen. Bis dahin sollten vom Arbeitsunrecht Betroffene den rechtlichen Weg nicht scheuen, auch nicht die Inhilfenahme von Gewerkschaften, engagierten Rechtsanwälten und Organisationen wie GerDiA. Not tut vor allem aber auch die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung, „mit deren Geld die diskrimierenden Privilegien der beiden ehemaligen Staatskirchen“ finanziert werden.
Siegfried R. Krebs