Loyal dienen?

loyal_dienen_coverIm Alibri-Verlag ist jetzt eine Studie zum dis­kri­mi­nie­ren­den Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie und Co. unter dem Titel „Loyal die­nen“ erschie­nen. Die Autorin Corinna Gekeler läßt hier über 50 Betroffene selbst zu Wort kom­men. Gerade diese Fallbeispiele, die ja wohl nur die Spitze des Eisbergs zei­gen, welch mas­si­ven Gebrauch die bei­den soge­nann­ten Amtskirchen in der Bundesrepublik Deutschland von ihren zumeist selbst ange­maß­ten Sonderrechten machen, und dies mit Duldung, ja sogar Förderung durch Politik und höchste Gerichte.

Aber nicht nur Betroffene kom­men in die­sem Band zu Wort, son­dern auch mit dem Thema befaßte Juristen, Politiker, Parteien und Organisationen. Gekelers Studie und das dar­auf basie­rende Buch dürfte die wohl erste aus­führ­li­che Untersuchung der Auswirkungen „kirch­li­chen Arbeitsrechts“ in der so genann­ten „Dienstgemeinschaft“ auf den bun­des­deut­schen Ausbildungs- und Arbeitsalltag sein. Dieses Buch dürfte selbst gestan­de­nen Kirchenkritikern sehr viel Neues ver­mit­teln.

Eine kri­ti­sche Anmerkung vorab. Sowohl die Autorin, als auch die Betroffenen, und erst recht die die spä­ter befrag­ten Experten spre­chen fast aus­nahms­los unhin­ter­fragt vom „kirch­li­chen Selbstbestimmungsrecht“. Ein Recht, das nicht vom Grundgesetz und der in die­ses inkor­po­rier­ten „Kirchenartikel“ der Weimarer Reichsverfassung gedeckt ist, und das so erst seit der Adenauer-Regierungszeit unwi­der­spro­chen in Gebrauch kam.

Wenn Gekeler auf Arbeitsverhältnisse in und bei Kirchen ein­geht, so erfaßt sie damit zwei Gruppen. Zu einen die inner­kirch­li­chen, also „orga­ni­sa­ti­ons­in­ter­nen“, wie Pfarrer, Vikare, Religionslehrer u.ä. Auch hier gibt es Diskriminierungen, hier vor allem mit Bezug auf die pri­vate Lebensführung: Homosexualität, Scheidung, Wiederverheiratung. Aber bei allem Inhumanen, was hier durch Entscheidungen der Kirchenleitungen, ins­be­son­dere der katho­li­schen, offen­bar wird und auch abzu­leh­nen ist, so muß doch gesagt wer­den: Wer in einer Religionsgemeinschaft Ämter anstrebt, muß nun mal die reli­giö­sen Grundwerte aner­ken­nen. So wie es ja auch Parteipolitiker und Vereinsfunktionäre in Bezug auf die jewei­li­gen Satzungen und Programme müs­sen.

Ganz anders sieht es im eigent­lich außer­kirch­li­chen Bereich aus, wo „die Kirchen“ eigent­lich ganz nor­male Arbeitgeber sind und auf „dem Markt“ mit ande­ren Anbietern kon­kur­rie­ren und mit eige­nen Unternehmungen wie Caritas, Diakonie bzw. als „Freie Träger“ (Krankenhäuser, Kindergärten, Jugendfreizeitstätten,Beratungsstellen usw.),  auf­tre­ten. Hier haben sich mitt­ler­weile reine Sozialkonzerne her­aus­ge­bil­det, die nicht anders agie­ren als pri­vat­wirt­schaft­li­che oder welt­an­schau­lich neu­trale Träger (wie AWO u.a.).

Gerade in die­sem Bereich kom­men die Auswirkungen der kirch­li­chen Sonderrechte zum Ausdruck. Vor allem für die dort Beschäftigten, immer­hin fast ein­ein­halb Millionen Menschen: Ärzte, Krankenschwestern, Büroangestellte, Hausmeister, Reinigungskräfte. Sie alle müs­sen auf ihre ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Grundrechte, wie Glaubens- und Gewissensfreiheit, Schutz des Privatlebens, und auf wesent­li­che Arbeitnehmerrechte, wie Mitbestimmung und Streikrecht, ver­zich­ten. Und zuneh­mend auch auf ange­mes­sene tarif­li­che Vergütungen. Ganz im Gegensatz zu den Spitzen die­ser Sozialkonzerne, die selbst­ver­ständ­lich nicht für „Gotteslohn“ arbei­ten, son­dern sich nicht anders als pri­vat­wirt­schaft­li­che Manager ver­gü­ten las­sen.

Gekeler war­tet mit einer Fülle von Fällen und Problemfeldern (mit Einzelschicksalen, die im 21. Jahrhundert in einem „demo­kra­ti­schen Verfassungsstaat“ das Blut in den Adern gefrie­ren las­sen) auf, die hier auf­zu­füh­ren den Rahmen spren­gen wür­den. Daher kann der Rezensent nur zum Kauf die­ses Buches ermu­ti­gen.

Immer wie­der wird in die­sem Buch ange­spro­chen, daß im Sozialbereich kirch­li­chen Trägern und Betrieben von bun­des­deut­scher Politik mit Hilfe des Adenauer’schen Subsidiaritätsgesetzes flä­chen­de­ckend Monopolstellungen ein­ge­räumt wurde. Tendenz sogar stei­gend, beson­ders im Osten mit einer zwi­schen 70 und 80 Prozent reli­gi­ons­freien Bevölkerung zu beob­ach­ten.

Betroffene, ja selbst ein­zelne Kleriker, äußern sich dazu sehr offen:

„Krankenhäuser gehö­ren nach mei­ner Meinung in eine unab­hän­gige oder pri­vate Trägerschaft. Dann kön­nen auch die Ärzte ihre Arbeit bes­ser ent­fal­ten“, so ein Internist. (S. 18)

„…haben Caritas und Diakonie schon lange eine Monopolstellung. Ich emp­finde das nicht nur als Unrecht, son­dern als unver­schämt. Das darf doch nicht hier in Deutschland pas­sie­ren, wo man immer von der Trennung von Kirche und Staat redet“, so ein empör­ter und aus der Kirche aus­ge­tre­te­ner Sozialarbeiter, vor­mals vier Jahre Zögling eines Priesterseminars. (S. 19)

Eine Pädagogin, die aus Sorge um ihren Arbeitsplatz nicht aus der Kirche aus­zu­tre­ten wagt, äußert sich so: „Ich würde mir wün­schen, daß den Kirchen und kirch­li­chen Trägern die finan­zi­elle Bevorzugung ent­zo­gen würde. Der Staat sollte sich nicht wei­ter aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales her­aus­zie­hen, son­dern sich wie­der stär­ker enga­gie­ren und für klare Regelungen sor­gen. Der Anteil kon­fes­sio­nel­ler Kindertagesstätten, Schulen, Seniorenheime, Krankenhäuser etc. ist mei­ner Meinung nach viel zu hoch.“ (S. 33)

Die Betroffenen spre­chen immer wie­der an, daß all diese Einrichtungen eben nicht von „der Kirche“ finan­ziert wür­den, son­dern meist zu 90 Prozent, teil­weise sogar zu 100 Prozent von der öffent­li­chen Hand und den Sozialkassen. Doch diese Geldgeber hät­ten nichts zu bestim­men, son­dern aus­schließ­lich der Klerus.

Warum das so ist, warum sich der Klerus so an sein Monopol klam­mert, auch das kommt zum Ausdruck: weil man so sein behaup­te­tes Image pfle­gen kann: „Die Kirchen tun so viel Gutes, sind Verbündete im Kampf für den Frieden und gegen Sozialabbau…“ Es wird zwar nicht so deut­lich gesagt, aber den­noch geht es aus Wortmeldungen her­vor: Mit die­sem Image will der Klerus sei­nen Einfluß, seine Macht über Menschen, Gesellschaft und Staat bewah­ren und aus­bauen. Und nicht zuletzt kann der Klerus so Menschen in der Kirche hal­ten, über Dritte (Arbeitgeber und staat­li­che Finanzämter) die Mitgliedsbeiträge ohne eigene Bemühungen ein­trei­ben.

So äußert sich ein pas­to­ra­ler Mitarbeiter wie folgt: „Im System ‘Mutter Kirche’ geht es nicht darum, mün­dige Kinder zu erzie­hen. Ganz im Gegenteil.“ (S. 45) Und wei­ter: Ich bin für die Aufhebung aller Sonder-Arbeitsrechte für die Kirche! (…) In der Kirche bewegt sich nach mei­ner Einschätzung an die­ser Stelle erst etwas, wenn es ums Geld geht. Das Verweigern von Zuschüssen ist die ein­zige Sprache, die die Kirchenleitungen ver­ste­hen.
Aus mei­ner Sicht kann in die­sem Fall nur der Gesetzgeber bzw. Geldgeber eine Ände­rung erwir­ken. Wenn die Kirche als Körperschaft des öffent­li­chen Rechtes in erheb­li­chem Maße auch aus Steuern finan­ziert wird, kann es nicht ange­hen, daß kirch­li­che Mitarbeiter in wei­ten Bereichen ‘außer­halb’ des Rechtes ste­hen. Da muß Druck auf die Träger aus­ge­übt wer­den durch die Zuwendungsträger. (…) Sich da auf Dialog ein­zu­las­sen bewegt wenig. Die Mehrheit der Bischöfe legt doch von vor­ne­her­ein fest, wor­über gere­det wer­den darf und was dabei her­aus­kom­men soll.“ (S. 49/50)

Ausführlich geht es in Gekelers Buch dann um die Rechtslage, ins­be­son­dere wird hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ange­spro­chen und wie hier­zu­lande eine EU-Richtlinie kir­chen­freund­lich umge­setzt wor­den ist. Desweiteren geht es hier um kon­krete arbeits­recht­li­che Gerichtsurteile (u.a. das kir­chen­freund­li­che
Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1985)sowie um Veränderungsmöglichkeiten durch Parteipolitik, Gewerkschaften und wei­tere Organisationen.

Gekeler schreibt hierzu: „Das Arbeitsrecht wird abge­lei­tet aus Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Absatz 3 WRV. Darin heißt es: „Jede Religionsgemeinschaft ord­net und ver­wal­tet ihre Angelegenheiten selb­stän­dig inner­halb der Schranken des für alle gel­ten­den Gesetzes. Sie ver­leiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bür­ger­li­chen Gemeinde.“ (S. 111)

Wenn man als nor­mal den­ken­der Mensch mit his­to­ri­schen Kenntnissen liest, ist das eigent­lich ein­deu­tig. Den bis­he­ri­gen Staatskirchen wer­den mit der Trennung von Staat und Kirche die Rechte ein­ge­räumt, die Vereine, Parteien etc. auch haben. Denn bis dato war ja der jewei­lige Landesfürst auch als sum­mus epi­sco­pus zugleich Kirchenoberhaupt und kirch­li­che Ämter wur­den durch den Landesfürsten (also den Staat) ver­ge­ben… In der Weimarer Republik galt des­halb auch für Arbeitnehmer in kirch­li­chen Unternehmungen das all­ge­meine Arbeitsrecht (Betriebsrätegesetz, Streikrecht).

Was die Politik angeht, so machen sich sowohl die Autorin als auch die von ihr Befragten keine Illusionen. Alle eta­blier­ten Parteien (ein­schließ­lich der LINKEN) sind, was ihre jewei­li­gen Führungen angeht, auf das engste mit den Kirchenleitungen ver­bun­den bzw. die­sen unkri­tisch zuge­tan („Sie tun ja so viel Gutes, ohne die Kirchen würde das soziale Netz zusam­men­bre­chen.“)

Aber immer­hin habe die jet­zige Bundestagsfraktion als erste über­haupt zwei Gesetzanträge zu den Grundrechten der Beschäftigten und zur Ablösung der soge­nann­ten Staatsleistungen ein­ge­bracht. Welche von den ande­ren Parteien uni­sono abge­lehnt wur­den. Gekeler hebt her­vor, daß die LINKE als erste und fast ein­zige Partei in ihrem aktu­el­len Wahlprogramm auch ein Kapitel „Bekenntnisfreiheit ver­wirk­li­chen, Religionsgemeinschaften gleich­be­han­deln, Staat und Kirche insti­tu­tio­nell tren­nen“ beschlos­sen hat. Sie ver­gißt aller­dings mit­zu­tei­len, daß dies auf Antrag der par­tei­of­fi­zi­el­len Bundes- und Landesarbeitsgemeinschaften „Laizismus“ gesche­hen ist. Sie ver­gißt auch, daß es hier­ge­gen sei­tens des Thüringer Provinzpolitikers Bodo Ramelow erbit­ter­ten Widerstand gab und gibt. Umfänglich wird dage­gen über die von deren Parteispitzen nicht aner­kann­ten SPD-Laizisten gespro­chen. Klar kommt hier aber auch durch Meinungsäußerungen von SPD- und Grünenpolitikern zu Ausdruck, daß sei­tens der Parteiführungen kei­ner­lei Veränderungen gewünscht wird…

Zum wider­sprüch­li­chen inner­halb der LINKEN sei deren Europaabgeordnete und Sozialpfarrer Jürgen Klute zitiert – und zwar das, was viel­leicht ohne Wenn und Aber gleich am Anfang von Gekelers Buch hätte ste­hen kön­nen:

„Gemeint war und ist, daß den Kirchen das recht über­tra­gen wor­den ist, über die Besetzung ihrer Pfarr- und Bischofsstellen selbst ent­schei­den zu kön­nen, ohne Einmischung des Staates. Und daß sie die Aufgabenbestimmungen ihres Personals eigen­stän­dig regeln kön­nen.
Die Konstituierung eines arbeits­recht­li­chen Sonderstatus der Kirchen, wie ihn der heu­tige Dritte Weg dar­stellt, hat Art. 137 WRV hin­ge­gen nicht zum Ziel gehabt und sei­ner­zeit auch nicht nicht begrün­det. Die Kirchen unter­la­gen wäh­rend der Weimarer Republik, wie alle ande­ren Arbeitgeber auch, dem für alle gel­ten­den Arbeitsrecht… (…)

Tatsächlich stammt die Rede von der ‘Dienstgemeinschaft’ weder aus dem Alten Testament, noch aus der Weimarer Republik. Zu Beginn der 1950er soll­ten unter Rückgriff auf einen seit 1937 ver­wen­de­ten Begriff der Nazis Gewerkschaften von kirch­li­chen Arbeitsplätzen fern­ge­hal­ten wer­den.“ (S. 248/249)

Also wie­der ein­mal bun­des­deut­scher Rückgriff auf Nazi-Deutschland. Man denke nur an die erst von der Hitler-Regierung ein­ge­führte und bis heu­tige gül­tige Regelung zur Eintreibung der „Kirchensteuer“ durch Arbeitgeber und staat­li­che Finanzämter.

Empfehlenswert ist in die­sem Zusammenhang ganz beson­ders das Interview mit Ingrid Matthäus-Maier „Politik ist viel zu kir­chen­nah“.

Auch wenn es wohl so bald keine Veränderungen geben wird, so meint Gekeler in ihrem Fazit den­noch „Veränderungen sind mög­lich“ und for­dert die Politik, die Politiker auf, in den Parlamenten von ihren poli­ti­schen Gestaltungsmöglichkeiten, „zu denen nun mal auch das Formulieren von Gesetzen gehört“ Gebrauch zu machen. Bis dahin soll­ten vom Arbeitsunrecht Betroffene den recht­li­chen Weg nicht scheuen, auch nicht die Inhilfenahme von Gewerkschaften, enga­gier­ten  Rechtsanwälten und Organisationen wie GerDiA. Not tut vor allem aber auch die Aufklärung der Allgemeinbevölkerung, „mit deren Geld die dis­kri­mie­ren­den Privilegien der bei­den ehe­ma­li­gen Staatskirchen“ finan­ziert wer­den.

Siegfried R. Krebs

Corinna Gekeler: Loyal dienen. Diskriminierendes Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie und Co. 322 S. Paperback. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2013. 22,- Euro.

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