WEIMAR. (fgw) Jeder von uns kennt wohl aus zahlreichen alten und neueren Büchern und Filmen die Abenteuer von Robin Hood und die Legenden um König Richard Löwenherz und Kaiser Friedrich Barbarossa. Und nicht wenige von uns kennen sicherlich auch Lessings „Nathan der Weise“ mit der berühmten Ringparabel. Und wenn von Löwenherz, Barbarossa und Nathan die Rede ist, dann muß man auch über Sultan Saladin (Salah ad-Din) reden. Was ist Fiktion, was historisch verbürgte Wahrheit? All diese Personen, und viele andere, begegnen uns auch im neuesten Roman von Silvia Stolzenburg, erschienen in der Edition Aglaia im kleinen, aber sehr ambitionierten Bookspot-Verlag München. Silvia Stolzenburg erzählt das Geschehen vom Ende des 12. Jahrhunderts, rund um den dritten Kreuzzug, auf eine neue, aber äußerst faszinierende und vor allem auf eine sehr lesens- und nachdenkenswerte Weise.
Cover: Schwerter und Rosen
Wir schreiben das Jahr 1189. Zwei Jahre zuvor hatte Sultan Salah ad-Din das Ende des Kreuzfahrer-Königreiches Jerusalem besiegelt und die Stadt in Besitz genommen. Auch die anderen Kreuzfahrerstaaten waren in arge Bedrängnis geraten. Daher rief Papst Gregor VIII. die christlichen Herrn (West-)Europas zu einem Dritten Kreuzzug ins „Heilige Land” auf. Seinem Aufruf folgen am 11. Mai 1189 Kaiser Friedrich Barbarossa und im Juli 1190 der gerade gekrönte englische König Richard Löwenherz sowie sein Rivale, König Philipp II. von Frankreich. Der Feldzug dieser drei Monarchen wird jedoch alles andere als reibungslos verlaufen. Doch das ist nicht das eigentliche Thema des Romans.
Erzählt wird die Liebesgeschichte zweier Paare, deren Liebe zunächst unter keinem guten Stern steht.
Da sind zunächst in England: Harold, der Sohn des Earls of Huntingdon, der als Knappe den Earl of Essex auf dem Kreuzzug begleiten soll. Und Catherine, die Tochter des Earls of Derby und Hofdame der Königin. Auch sie soll die Frau von Richard Löwenherz auf dem Kreuzzug begleiten. Doch noch vor dem Kennenlernen der beiden jungen Leute hatte der Earl of Essex versucht, Catherine zu vergewaltigen. Während des gesamten Kreuzzuges ist sie seinen Nachstellungen ausgesetzt. Das trifft auch auf Harold zu, nachdem der Earl von der Liebe des Paares erfahren hatte. Der Earl ist aber grundsätzlich ein brutaler Kerl, der vor Mißhandlungen seiner Untergebungen bis in den Tod nicht zurückschreckt und von Anfang an ein Attentat auf den neuen König plant.
Und da sind an ganz anderem Ort, in Jerusalem: Curd von Stauffen, ein junger Tempelritter, dem der Sultan nach Eroberung der Stadt als einzigem Ritter das Leben ließ. Und Rahel, die Ziehtochter des jüdischen Kaufmanns Nathan. Obwohl aufgrund der Relgionen eigentlich unmöglich, entbrennen beide in Liebe zueinander. Dieser Liebe nun wiederum steht Shahzadi, die Schwester des Sultans, im Wege. Wir erfahren im Laufe der Zeit, wer Rahel in Wirklichkeit ist und warum der Sultan Curd seine Gunst geschenkt hatte. Natürlich darf hier auch die berühmte Ringparabel Nathans nicht fehlen.
Ob und wie die Liebe der beiden Paare gedeihen kann, welche Abenteuer und Herausforderungen vor allem Harold und Curd in den Jahren bis 1192 zu bestehen haben, das soll nicht verraten werden.
Nicht nur anhand der Schicksale der beiden Liebespaare wird die damalige Zeit für den Leser anschaulich erlebbar. Denn sie bleibt eingebettet in das „große Weltgeschehen”. Und so erfahren wir, wie es denn um „christliche Moral” und „Ritterlichkeit” jenseits aller verklärenden Legenden wirklich bestellt war. Fast minutiös, aber keinesfalls theoretisierend oder langweilig, erzählt Silvia Stolzenburg auch vom Hergang dieses Kreuzzuges, der drei Wege nahm, und von den Rivalitäten der christlichen Monarchen untereinander. Letzteres betrifft auch die Herrscher der kleinen Kreuzfahrerstaaten.
Richard und Philipp ziehen auf dem Seewege nach Palästina, während der Heerzug Barbarossas sich wie ein Lindwurm auf dem Landwege quer durchs (christliche) Oströmische Reich (Byzanz) schlängelt.
Das Geschehen auf dem Seewege gibt in erster Linie die Rivalitäten der Monarchen und auch der englischen Earls wieder. Wie ganz selbstverständlich werden nebenbei aber auch in Süditalien oder auf Zypern alte Rechnungen beglichen und Beute gemacht.
Der Landweg dagegen gibt anschaulich Antworten auf Grundsätzliches. So verlieren mitziehende Ritter, Mönche und Chronisten angesichts der Brutalitäten gegen Mit-Christen recht schnell ihre Illusionen, was den hehren Anspruch der katholischen Kirche und die Ziele der Kreuzzüge betrifft.
Und so kann es nicht wundern, daß dieser spannungsgeladene historische Roman zugleich eine starke, emotional ansprechende Gesellschafts- und Kirchenkritik darstellt.
Das sollen an dieser Stelle einige Zitate belegen:
„Im Gegensatz zu den Säuberungen, welche die Kreuzfahrer im Jahre 1099 durchgeführt hatten – als Jerusalem in fränkische Hände gefallen war – hatten er (Salah ad-Din; SRK) und die muslimischen Eroberer von blutigen Massakern abgesehen. Nach Zahlung eines Lösegeldes und eines angemessenen Tributes erlaubte man sowohl Juden als auch orientalischen Christen in der Heiligen Stadt ansässig zu bleiben.” (S.72/73)
„Anders als all die doppelzüngigen Herrscher der angrenzenden Kreuzfahrerstaaten, denen der Bruch eines vor Gott geleisteten Eides so leicht von der Hand ging wie einem Bären sein Tagwerk, hielt Curd Ehrlichkeit für eine der wichtigsten Tugenden. (…) Sollte er all die Grundsätze der Ritterlichkeit und Ehre … aufgeben, um im Kern eigennütziges Handeln mit dem Deckmantel des Gotteswerkes zu verschleiern?” (S.04/105) Und „…wusste doch inzwischen jedermann, dass es in diesem Krieg (dem Kreuzzug; SRK) nur um zwei Dinge ging: um Macht und Beute.” (S.107)
Ein Kreuzfahrer auf dem Wege durchs Oströmische Reich: „Schaudernd fragte er sich. Wann Gott die Kreuzfahrer für den Frevel strafen werde, den sie begangen hatten – handelte es sich bei den Getöteten doch ausschließlich um Christen. (…) …von denen Frauen, alte Männer und Kleinkinder den Löwenanteil ausmachten.” (S.117)
„Eines wurde ihm (Harold; SRK) jedoch von Tag zu Tag klarer: Um die Befreiung der Christen und die Niederschlagung der Heiden ging es in diesem Krieg eigentlich niemandem. Alles, worauf es anzukommen schien, war der Gewinn, der zu erhoffen war.” (S.365)
Die Autorin selbst schreibt in einem Nachwort: „Noch ein Wort zur Brutalität: Sämtliche Beschreibungen von Massakern, Schlachten und Massenschändungen sind Originalquellen von Chronisten (christlichen wie muslimischen; SRK) entnommen. (…) Feststeht, dass ein Heer von kampftrunkenen Männern die Besiegten gewiss nicht mit Samthandschuhen angefasst haben wird. Die Kreuzzüge sind nicht umsonst als eines der dunkelsten Kapitel des christlichen Glaubens in die Geschichte eingegangen.” (S.483)
Und der Rezensent möchte hinzufügen, daß die Erinnerung hieran bis heute in der islamischen Welt lebendig ist. Zumal das sehr ähnliche Verhalten christlicher Menschenrechtskrieger zu Beginn des 21. Jahrhunderts in von ihnen überfallenen und besetzten Staaten der islamischen Welt diese historische Erfahrung bis auf das I-Tüpfelchen bestätigt.
Silvia Stolzenburg hat in diesem großen mittelalterlichen Zeitpanorama ein sehr umfangreiches Personenensemble vereint; sowohl historisch verbürgte Persönlichkeiten als auch fiktive. Trotz der Vielzahl der Charaktere bleiben diese aber nicht blaß oder sind Karikatur, sondern sie werden individuell gezeichnet und als Menschen ihrer Zeit.
Diese Vielzahl der Charaktere ist nicht zuletzt dadurch bedingt, daß Silvia Stolzenburg das Geschehen in einer größeren Zahl von Handlungssträngen erzählt. So fügt sich ein Mosaik von Haupt- und Nebenaktionen zusammen, und das auf eine sehr gekonnte und gelungene Weise. Erreicht wird das durch die Erzählstruktur: einem Kapitel vom Kreuzzug folgt eines aus Palästina usw. Die einzelnen Handlungsstränge sind so gut miteinander verwoben und machen einen der Reize dieses Romans aus.
Angesichts des Lobes sollen aber einige Schwächen nicht verschwiegen werden. So wird z.B. Friedrich Barbarossa durchgehend als „Deutscher Kaiser” bezeichnet; eine Titulatur, die es aber seinerzeit nicht gab und auch nicht geben konnte im „Heiligen (Römischen) Reich”, sondern erst ab 1871. Osmanen, Seldschuken werden als Türken bezeichnet, so wie Schwaben oder Bayern als Deutsche. Aber diese rückwirkende Verwendung moderner Bezeichnungen auf mittelalterliche Verhältnisse kann man noch akzeptieren. Ein anderer winziger Lapsus: da läuft das Gesicht eines Ritters unter südlicher Sonne „tomatenrot” an…
Dennoch, und vor allem aber ist Silvia Stolzenberg erneut ein außergewöhnlicher Roman gelungen: Historie wird durch Fiktion nicht verfälscht, sondern bereichert. Und so kann man auf die für den Herbst angekündigte Fortsetzung gespannt sein.
Silvia Stolzenburg: Schwerter und Rosen. Roman. 496 S. geb.m.Schutzumschlag. Edition Aglaia im Bookspot-Verlag. München 2012. 16,95 Euro. ISBN 978-3-937357-59-1
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]