Saigon - Die Häuser in der Bui Vien Straße sind nicht sehr ansehnlich. Schmal geschnitten stehen sie dicht an dicht. Beton auf Ziegeln, kaum verputzt, ein bisschen Grün auf den Balkons. Im Erdgeschoss sind Läden untergebracht, Restaurants und Bars, die zahme Fusion-Küche anzubieten haben - "Vietnamese & European Food & BBQ", "North & South Indian Food Halal & Vegetarian" -, hauptsächlich für die Backpacker-Touristen aus dem Westen oder Australien, die mit ihren Tank Tops und Flip-Flops daherschlendern und die Schultern wackeln lassen, als seien sie am Meer und nicht in der Großstadt. Asien: ein großer Strand.
Wir, mein Reisebegleiter und ich, sind in einem sogenannten einfachen Hostel um die Ecke untergekommen, an der Pham Ngu Lao, so wie die meisten jungen Touristen, die in dieser Stadt aufschlagen. Niemand nennt sie Ho-Chi-Minh-City, sondern: Saigon. Der Name liegt auf der Zunge wie ein angenehmer Geschmack des alten Asiens, wie die sanfte Erinnerung an eine Zeit, die man selbst nie erlebt hat. Die lächerliche Phantasie eines empfindsamen Geistes. Ich will trotzdem nur noch dasitzen, dem zerfahrenen Treiben des Verkehrs zuschauen und eine Pho essen, danach Bier trinken und nichts tun. Aber so einfach ist es natürlich nicht.
Das abendliche Gewitter der Regenzeit geht über den Gassen nieder, überall tropft es. Ein undurchsichtiges Geflecht aus Stromkabeln überzieht die Straßen und Bürgersteige. Motorroller gleiten wie Fischschwärme über den nassen Asphalt, sie folgen einer inneren Ordnung, aber keinen Verkehrsregeln. Der Blick in die vom Regen verpixelten Neonfassaden mit der billigen Werbung macht mich mit einem Mal unglaublich melancholisch. Erster Abend in Vietnam, es hört nicht auf zu regnen.
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Wie immer auf Reisen gilt es, erst einmal Orientierung zu finden, eine Herangehensweise, um sich die Stadt zugänglich zu machen und nicht schon nach dem Frühstück an ihrer Größe und Hektik zu kapitulieren. Unser Plan: Möglichst viel zu Fuß gehen, was immer vernünftig ist, nur für wirklich lange Strecken ein Taxi nehmen (oder wenn das tropische Klima die Schläfen zum Wummern bringt, was früher oder später passiert, vor allem, wenn man zu wenig trinkt).
Wir laufen vom Busbahnhof zum Ben Thanh Markt, dem größten der Stadt. Davor huscht eine indigoblaue Eidechse durch das Gras. Schüler kommen über die Wiese auf uns zu, die Mädchen wollen sofort Fotos machen. "You are handsome, but snow white", sagt eine zu meinem Freund. Der Lehrer lädt uns ein, die Schule zu besuchen, über Deutschland zu sprechen, kein Problem, wobei - doch: Wir haben keine Zeit, obwohl das bei genauerer Überlegung Blödsinn ist, aber man sagt es so daher.
Weiter durch den Verkehr entlang der Le Loi, dann Straßen kreuzend. Man muss einfach losgehen, weil niemand für einen anhält, das lernt man schnell, und so bewegt man sich durch die Menschen, Autos und ungezählten Mopeds wie ein Taucher durch den Fischschwarm: Auf wundersame Weise kommt es nie zu einer Berührung.
Zeit, einige Eindrücke zu sammeln. Die Architektur der Wohnhäuser ist schmucklos und funktionell, ein großes Durcheinander: dreigeschossiger Säulenkitsch in Pastellgrün neben depressiv gemauerter Baracke mit Metalltor neben plump-modernistischem Apartmenthaus mit betonierter Dachveranda, auf der eine Hängematte aufgespannt ist.
Schnell ist das T-Shirt nass, stehen Schweißtropfen auf der Stirn, wird Wasser gesucht (man trinkt immer zu wenig). Vietnam hat ungefähr die Größe Deutschlands, liegt aber durch die große Nord-Süd-Ausdehnung in zwei Klimazonen. Hier in Saigon, im Süden des Landes, ist es immer heiß, feucht, subtropisch schwül. Im Norden, nahe der chinesischen Grenze, fällt im Winter Schnee. Kaum vorzustellen.
Nur gehen und schauen, weil man nicht weiß, was interessant sein könnte, das ist der Reiz, den man, glaube ich, langsam verlernt als Kulturtechnik, aber man gilt schnell als Fortschrittspessimist und langweilt alle unendlich, wenn man das sagt.
Trung Nguyen Coffee: die vietnamesische Interpretation einer Starbucks-Filiale. Der Mother Land Coffee ist mit Ingwer, Honig und Milch verfeinert. Auf dem repräsentativen Dong Khoi, der von der kolonialistischen Notre-Dame-Kathedrale zum Fluss hinunterführt, stehen die alten und neuen Luxushotels, hier gibt es auch die Luxusboutiquen: Hermès, Versace et cetera. In jedem Imbiss bekommt man Oolong-Tee mit Eiswürfeln und kann es dann wieder mit der Schwüle des Tages aufnehmen.
Besuch beim Wiedervereinigungspalast: Ein kommunistischer Panzer steht noch auf dem Vorplatz, die Staatsflagge weht über dem Rasen. Am 30. April 1975 drangen nordvietnamesische Truppen in den Palast ein, die Amerikaner mussten das Land endgültig verlassen. Die von US-Präsident Harry Truman herbeidoktrinierte Dominostein-Theorie, deren praktische Zwänge wiederum Henry Kissinger bedingungslos in die Tat umsetzt und die die amerikanische Gesellschaftspsychose Vietnam unnötig in die Länge zog, brach damals endgültig in sich zusammen. Vietnam, jahrzehntelang von fremden Mächten bestimmt, wurde sozialistisch.
Natürlich gibt es auch heute noch Spuren dieses Krieges zu sehen, von dem Richard Nixon meinte, sein eigentliches Ziel sei Frieden. Zum Beispiel im Kriegsmuseum an der Ecke Le Quy Don / Vo Van Tan. Dort hängen Bilder von Kindern, die durch das Giftgas Agent Orange schwer missgebildet wurden. Und in den Tunneln von Cu Chin werden in folkloristischer Propagandamanier die Guerilla-Taktiken des Vietcong dargestellt (ein Tagesausflug hat uns 190.000 Dong gekostet, sehenswert).
Heute wirkt Saigon wie eine seltsame Mischung aus Vietnam, Frankreich und den USA: mit seinen Speisen aus den Garküchen, unglaublich günstig und gut, den alten Renaults und dem von Gustav Eiffel entworfenen Hauptpostamt, mit den sauber ausgeleuchteten, nicht so günstigen Cafés für den urbanen Mittelstand. Die Amerikaner haben ihr Geld in diese Stadt gesteckt, um Krieg führen zu können. Natürlich wirft sich Saigon, im Zusammenspiel der Millionen Einzelschicksale, die für sich genommen alle einer legitimen Logik folgen, rasend schnell in die Zukunft.
In Saigon lebt noch die Gewissheit, die in den westlichen Gesellschaften zunehmend abhandenkommt: Die Zukunft bringt mehr Wohlstand für alle. Man sieht die staunenden Augen der Kinder auf den Mopeds, die sich in den Rücken ihrer Eltern, Schwestern und Tanten festklammern und zügig durch die Gassen kurven, als bliebe nicht mehr viel Zeit zum Kindsein.
Überall Aufschwung, Tüchtigkeit, Optimismus, jeder ist freundlich und zielorientiert. "May I help you, mister?", "No problem, mister." In den Hostels können sie im Prinzip alles für einen besorgen: Bustickets, Ausflüge, Fremdwährungen, Tickets für Inlandsflüge. Das ist sehr bequem, wenn man wenig Zeit hat wie wir. Saigon gibt die Richtung des Landes vor, und die Frage liegt auf der Hand, ob das eine gute oder schlechte Sache ist.
Am späten Nachmittag sind wir zurück in unserem Viertel, bevor es zu regnen anfängt, aber mein Gott: Wie wenig mich das stört, dass es regnet. Die 17-Jährige in der Bui Vien, die uns an diesem Abend wieder bedient, weil das Essen in ihrem Lokal so vorzüglich schmeckt, ist ausgesprochen nett, ohne unterwürfige Heuchelei an den Tag zu legen. Sie hat zwei Jobs, erzählt sie, arbeitet morgens in einem Café und von nachmittags bis in die Nacht hinein in diesem Restaurant. Sie sieht nie müde aus, ist immer gut aufgelegt, findet es lustig, dass wir so viel essen.
Saigon hat zweifellos eine Magie, wenn es abends dunkel wird und die Lichter angehen. Die Leuchtreklamen der Weltkonzerne (Canon, Nikon, Sanyo) überstrahlen dann die Stadt und ihre Bewohner, im doppelten Sinn, als Verheißung und Mahnung zugleich.
Sie strahlen über den Greisen, die mit Strohbesen die Gehwege fegen, über den Taxifahrern mit ihren schlecht sitzenden Hemden und gezinkten Taxametern, die lustige unregelmäßige Sprünge machen, und über den Amüsierdamen vor ihren Bars in Pham Ngu Lao, die jedem Vorbeilaufenden ein "Where are you going?" hinterherrufen, ohne zu bemerken, was das für eine existenzielle Frage ist: Where are you going?
Gute Frage. Was gibt es hier zu entdecken, nicht im Sinne eines touristischen Programms, sondern für uns persönlich?
Vietnam liegt in zwei Klimazonen. Der Süden ist tropisch-feucht, der Norden gemäßigter und kühler. Wer das ganze Land sehen möchte, sollte in den trockenen Monaten von November bis Januar verreisen. In den Sommermonaten bringt der Südostmonsun im Süden des Landes viel Regen, dafür kann es im Winter im Norden frisch werden.
Mit einer Zwischenlandung von Deutschland aus nach Saigon. Emirates fliegt über Dubai, Etihad über Abu Dhabi, Air France über Paris.
Ja. Reisende aus Deutschland müssen das Visum online unter http://visa.mofa.gov.vn bei der vietnamesischen Auslandsvertretung beantragen. Es gibt Single-Entry-Visa für die einmalige Einreise und Multi-Entry-Visa für die mehrfache Einreise.
Übernachtungsmöglichkeiten gibt es für jeden Geldbeutel. In Saigon und Hanoi gibt es luxuriöse Sternehotels, in der Mittelklasse ein großes Angebot. Individualreisende können im ganzen Land auf ein dichtes Netz an einfachen Hostels zurückgreifen, in denen die Übernachtung selten mehr als 15 US-Dollar kostet. Wer sich etwas mehr Komfort gönnen möchte, geht in ein Boutique-Hotel (ab etwa 30-40 US-Dollar pro Nacht).
Vietnam ist ein sicheres Reiseland. Touristen können sich frei bewegen. Taschendiebstähle sind - wie überall auf der Welt - möglich und lassen sich durch einfache Vorsichtsmaßnahmen verhindern.
Vietnam ist immer noch ein sehr günstiges Reiseland. Wer mit wenig Budget reist, braucht nicht mehr als 30 US-Dollar am Tag (10 für Essen, 10 für Übernachtung, 10 für Transport).