Los Carpinteros - Kunst aus Kuba im Kunstverein Hannover, noch bis 3. Februar 2013

Von Helge

Los Carpinteros - Kunst aus Kuba im Kunstverein Hannover, noch bis 3. Februar 2013

Musikinstrumente, die offenbar geschmolzen sind und zähflüssige Spuren auf dem kostbaren Parkett hinterlassen haben; Monumentalbauten, die den protzigen Megastädten entronnen scheinen, aber nur aus Legosteinen bestehen; Kleider von der Stange, Anzüge für bedeutsame Männer, die alle an derselben Stelle von einem großen Loch verziert sind; sternförmige Grillgeräte, von denen keiner weiß, ob sie funktionieren; ästhetisch angeordnete Schwimmflossen, die niemals ihre vorgesehene Funktion erfüllen werden - die "Schreiner" (Los Carpinteros) sind Meister in der Kunst der Verblüffung.


Die Werke des kubanischen Künstlerduos werden zum ersten Mal in einer umfassenden Einzelausstellung gezeigt, die in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Thun, Schweiz, entstanden ist (wo sie später ebenfalls präsentiert wird). "Schreiner" nennen sie sich, weil ursprünglich die handwerkliche Arbeit speziell mit  Holz im Vordergrund stand. Marco Castillo (geb. 1971) und Dagoberto Rodriguez (geb. 1969) vereinen - so wird es in den Pressetexten formuliert - mit feinsinniger Leichtigkeit Gegensätzliches und erzeugen im Spiel mit Form, Funktion und Bedeutung Ambivalenzen; Seh- und Denkgewohnheiten werden lustvoll unterlaufen.*

Ihre Kunst ist nicht im engeren Sinne "politisch" (das wäre in Kuba selbst sicherlich nicht möglich) - und doch für den nachdenklichen Betrachter von einer feinen Gärung mit gesellschaftspolitischer Sprengkraft durchzogen. Die schwierigen Lebensbedingungen und Materialbeschaffungsprobleme auf Kuba spiegeln sich darin wider, dass die Künstler oft Recyclingmaterial verwenden. Die Schwimmbäder sind kein Volkseigentum, sie gehören der wohlhabenden Oberschicht.


Lautsprecher und Instrumente sind allzu oft Werkzeuge der Propaganda, die Realität bringt sie zum Schmelzen ("aufmüpfiges Quartett" heißt die Skulptur). Ein Flugzeug, das von Pfeilen durchbohrt ist, wird wohl kaum starten können; ein Wohnwagen aus Ziegelsteinen ist nicht zum Fortbewegen geeignet.

Die Ausstellung hat den rätselhaften Titel "Silence Your Eyes" - beruhige deine Augen, damit sie umso intensiver wahrnehmen können?


Mit Kris Martin aus Belgien und dem Künstlerduo Los Carpinteros sind in Hannover Kunstwerke zu erleben, die durch kleine Wahrnehmungsverschiebungen ihre große Wirkung entfalten. Teilweise zeitgleich war in der inzwischen beendeten Ausstellung "Orte, Places, Endroits" im Kubus ein Film der rumänischen Künstlerin Aurelia Mihai zu sehen, in dem das allmähliche Scheitern eines Filmprojekts in ihrer Heimat durch feine bürokratische Hindernisse (die subtilen Methoden der Macht) auf schlichte und umso eindringlichere Weise geschildert wird.

Hannover könnte sich zu einer Stadt entwickeln, in der Menschen anderer Herkunft die alten Wahrnehmungsmuster aufbrechen und in neue Zeiten hineinführen, in denen Ästhetik einen verwandelten Sinn bekommt, der mit dem klassischen Begriff nur noch wenig zu tun hat. Wenn es doch nur mehr Menschen in dieser Stadt auch wahrnehmen würden! Gehen Sie also noch rasch wenigstens in diese Ausstellung und achten Sie auf weitere zukunftsweisende Projekte.

Weitere Informationen auf der Netzeite des Kunstvereins Hannover.


Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; gelegentlich unter Verwendung der Pressetexte (*). Die Bilder, die zu Pressezwecken vom Kunstverein Hannover zur Verfügung gestellt wurden, von oben nach unten: »16 m«, 2010, Metall, Textilerzeugnisse, Maße variabel, Courtesy Ivorypress, Madrid; »Focsa«, 2002, Holz, 280 x 227 x 100 cm, Daros Latinamerica Collection, Zürich; »Portaviones«, 2005, Wasser, Fiberglas, Epoxydharz, Edelstahl, PVC-Rohre, Glasfaser, Wasserpumpe/-filter, 160 x 250 x 110 cm, Sammlung Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Österreich; »Patas de Rana Turquesa (size s)«, 2010, Polyurethan-Guss, 271,8 cm Ø, Courtesy Ivorypress, Madrid.