Deutschlandradio Kultur: Diskussion über Mieten, Neubau und Stadtentwicklung
Ich hatte gestern beim Deutschlandradio (Zwischen Luxus-Sanierung und Armuts-Viertel) das Vergnügen mit ausgewiesenen Experten aus Wohnungswirtschaft und Politik über die aktuellen Mietentwicklungen und ihre Folgen für die Stadtentwicklung zu diskutieren. Neben Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und dem Geschäftsführer der Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Stadt-und Land Jürgen Marx war auch Jürgen Michael Schick vom Immobilienverband Deutschland (IVD) mit von der Partie. Letzterer war es auch, der uns erklärte, warum Mietsteigerungen im Interesse der Mieter/innen sind. Klingt irgendwie komisch, wurde aber sehr überzeugend vorgetragen…
Zum Nachhören: Rettet oder ruiniert der Immobilienboom unsere Städte? (mp3, 52:28 min.)
Neubau als Antwort auf die Wohnungsfrage?
Wie nicht anders zu erwarten, wurden mit statistischen Zahlen, Einschätzungen und Erfolgsberichten sehr verschiedene Interessen vertreten. Die gemeinsame Hauptbotschaft lautete jedoch wenig überraschend: Wir haben es im Griff und wenn nicht, dann sind wir auf einem guten Weg. Die Stadt und Land steigert mit Klassikkonzerten und Fussballturnieren die Lebensqualität in Hellersdorf und darf sich über sinkende Leerstandszahlen freuen, Hamburg baut neue Häuser und rettet Wilhelmsburg mit der IBA vor der Verslumung und auch die Immobilienbranche trägt mit ihren Investitionen wieder zur Entwicklung unserer Städte bei. Allen, die sich jetzt wundern, dass die Mieter/innen mit ihren Ängsten vor Mietsteigerungen und Verdrängung kaum vorkommen, sei gesagt: Auch das haben Immobilienwirtschaft und Politik im Griff. Die Lösung ist ganz einfach: Neubau, Neubau, Neubau.
Das Ganze hat nur einen kleinen Haken. Gebaut werden soll von privaten Investoren. In Hamburg z.B. werden von angestrebten 6.000 Neubauwohnungen pro Jahr gerade mal 1.200 Sozialwohnungen im ersten Förderweg errichtet, die können nichtmal die jährlichen Abgänge von ca. 5.000 Wohnungen p.a. aus den Sozialbindungen kompensieren.
Verrückte Marktlogiken: Mieter/innen sollen sich jetzt über Mietsteigerungen freuen
Für alle, die bisher der Argumentation von der zu erwartenden Entspannung der Wohnungsmärkte durch die Ausweitung des Angebotes etwas abgewinnen konnten, lohnt sich das Hören der Statements von Jürgen Michael Schick.
In der Debatte um die Hamburger Neubauquoten und die Vorschläge für einen größeren Förderanteil nahm er eine klare Position ein. Der Staat solle da heraushalten und das Bauen denen überlassen, die was vom Fach verstehen.
Jürgen Michael Schick (etwa ab 17:23 min.): ”Das soziale Problem lösen wir nicht im Neubau, das lösen wir im Bestand. Und jede neugebaute Wohnung führt ja zur Entlastung des Mietwohnungsmarktes. Also wenn ein ganz normaler Mittelschichtshaushalt sich eine neugebaute Wohnung leisten kann, wird eine andere Bestandswohnung frei.”
Nur ein paar Minuten später drehte sich die Diskussion um notwendige Regulierungen im Bestand und insbesondere um den Vorschlag zur Deckelung der Neuvertragsmieten. Die Position des Immobilienvertreters gegen solche Regulierungen war wenig erstaunlich, die Begründung ließ mich jedoch hellhörig werden:
Jürgen Michael Schick (etwa ab 28:53 min.) ”Die Deckelung von Neuvertragsmieten wird am Ende des Tages dazu führen, dass diejenigen darunter leiden, die eigentlich geschützt werden sollen, die Mieter. Denn es wird dazu führen, dass der Wohnungsneubau deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt… Wenn wir die Neuvertragsmieten deckeln wollen, dann wird das dazu führen, das der Wohnungsneubau unattraktiver wird.”
Da spricht Herr Schick innerhalb von 15 Minuten gleich zweimal im Interesse der Mieter/innen, doch am Ende läuft es doch nur auf Mietsteigerungen heraus. Der Argumentationsbogen wirkt nur auf den ersten Blick wie eine gelungene Rhetorik, hilft uns aber zu verstehen, worin das systematische Versagen der Marktlogik besteht, wenn es um das Bereitstellen preisgünstiger Wohnungen geht.
Die Argumentation noch mal mit anderen Worten: Nur erhöhte Neubauzahlen können den Druck vom Wohnungsmarkt nehmen und die momentanen Preissteigerungen einzudämmen. Doch Neubau gibt es nur, wenn die Bestandsmieten hoch genug sind, so dass auch der Neubau rentabel erscheint. Oder noch kürzer: die Mieten im Bestand müssen steigen, damit der Neubau die Mietsteigerungen im Bestand dämpfen kann. Mietsteigerungen im Interesse der Mieterschaft – so einfach löst der Markt die Wohnungsfrage. Kein Wunder, das immer mehr Mieterinitiativen eine Vergesellschaftung der Wohnungsversorgung fordern und nach Trägermodellen jenseits des Marktes suchen.