Im Anschluss an die Sendung wurde die Website von Wycliffe sehr rege benutzt. Die bei uns direkt eingegangenen Rückmeldungen haben mir teils sehr zu denken gegeben. Aus allen Lagern erlaubt sich ein nur oberflächlich und einseitig informiertes Publikum harte Urteile: sämtliche Mitarbeitende, die damals in Bolivien gearbeitet hatten, waren Schurken; Wycliffe gehörte geschlossen; die Leute, welche die Vorfälle untersucht haben, waren Heuchler; den Eltern wird Schlimmes unterstellt; das Opfer wird als unglaubwürdig abgekanzelt.
Es beunruhigt mich, wie schnell Leute abgeschossen werden. Es ist beängstigend, wie schnell mediale Information zu gesichertem Wissen wird, daraus sichere Urteile abgeleitet werden, die dann in zielführenden Ratschlägen münden: Die Betroffenen hätte halt nur ___ machen müssen, und wenn man jetzt (endlich!) ___ täte, dann wäre für Recht gesorgt. Die Eltern, die Opfer, alle könnten mit wenigen Worten und einfachen Handlungen die ganze Sache retten. Dabei sind alle Handelnden entweder nur gut oder nur böse, nur Täter oder nur Opfer, es gibt keine Grauzonen, es gibt keine offenen Fragen.
Und was mich dabei erstaunt und betrübt: die gleiche Voreingenommenheit findet man bei den Frommen wie bei den Kritikern derselben – es ist im Grunde der genau gleiche Fundamentalismus, der mit Unsicherheiten und offenen Fragen nicht umgehen kann, sondern für alle und alles eine abschliessende Erklärung bereit hält. Für jedes Phänomen und für jeden Menschen braucht es eine eindeutige Kategorie, und wenn eine Zuweisung geschehen ist, kann sie nicht mehr in Frage gestellt werden.
Ich ticke da mit Überzeugung (…) anders: Ich will offene Fragen als solche stehen lassen; ich will Menschen in ihrer Komplexität und teilweise auch Widersprüchlichkeit wahrnehmen – denn ich selber bin ja auch widersprüchlich und möchte nicht auf eine einzige Dimension reduziert werden. Und dass ich im Film gerade für diese Überzeugung einstehen durfte, das freut mich. – Hier also meine im Film geäusserten Gedanken:
Ich möchte den Opfern sagen, dass uns sehr leid tut, was in Tumi Chucua geschehen ist. Es ist lange her, aber die daraus entstandenen Wunden sind tief und schmerzhaft. Wir sind erschüttert, dass dies in unseren Kreisen geschehen ist.
Von wie vielen Opfern wissen Sie?
Ich weiss von 18, aber persönlich kenne ich nur Christina Krüsi.Können Sie verstehen, dass Christina Krüsi diesen Weg mit dem Buch gewählt hat, dass sie das öffentlich gemacht hat?
Es gibt Aspekte, zu denen ich sagen muss, es ist gut, dass das an die Öffentlichkeit gelangt. Im Gespräch mit Leuten, die auf mich zukommen, merke ich auch, dass doch noch einiges an Naivität vorhanden ist im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen. Dieses Buch trägt dazu bei, dass man mehr darüber redet, und das finde ich gut.
Dass Gott dafür gebraucht wird, um diesen Kindern Angst einzujagen… das ist eine Katastrophe. Das zeigt, wie pervers diese Leute waren.
Dass da ein Gott war, der dies alles mitgesehen und mitbekommen hat, das löst bei mir sehr viele Fragen aus, die ich nicht beantworten kann.
Christina Krüsis Eltern haben einen Artikel geschrieben für unser Magazin, der den Titel “Dennoch” trägt. Und das muss ich auch sagen, “dennoch”… auch mit diesen Fragen, die ich an Gott habe,… dennoch bin ich mit Gott unterwegs. Ich werfe deswegen den Glauben nicht aus dem Fenster. Aber es gibt da Fragen, die ich nicht beantworten kann – störende Fragen.
Meine Statements kann man Original von 12’05″-14’24″ anschauen.
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