Lob auf eine Reform, die gar keine ist

Von Robertodelapuente @adsinistram
Kürzlich fand sich im Stern ein Lob auf die SPD-Bürgerversicherung. Genau betrachtet war dieses Lob aber nichts weiter als die Bestätigung, dass der neoliberale Esprit immer noch genug Befürworter mit Tastatur kennt, die für den Erhalt des status quo schreiben.

Die neoliberale Trias: Wettbewerb, Zwei-Klassen-Medizin und "Pragmatismus"

Dass die Absichten der SPD sind, den "Wettbewerb im Gesundheitswesen" zu schaffen, erschreckt und wird als Prämisse der Sozialstaatlichkeit nicht mal mehr hinterfragt. Wettbewerb zwischen grippalen Infekten und Ödemen, zwischen Krebs und Agina pectoris - Patienten hätten vermutlich wesentlich andere Sorgen, als zum Wettbewerber ihres Leidens werden zu wollen.

Besonders wichtig scheint es dem Hohelied der SPD-Versicherung dabei, dass die Pläne "keine Enteignung der Privatpatienten" vorsehen, wie es der Autor so dramatisch formuliert. Damit will er wahrscheinlich sagen: keine Einheitskasse, in der alle gleich behandelt werden. Stattdessen sollen die Behandlungssätze für Ärzte bei Kassenpatienten dezent steigen. Der Privatpatient bleibt jedoch Patient erster Klasse. Auch daran wird nicht gerüttelt, denn gelten soll weiterhin, dass der, der das Geld hat, auch bessergestellt sein soll.

Um die Kosten des Gesundheitswesens zu stemmen - ignorieren wir mal, dass die Krankenkassen erst kürzlich einen Milliardenüberschuss "erwirtschaftet" haben -, gäbe es von jeher Pläne, auch Beiträge auf Mieten und Zinsen zu erheben, um damit Engpässe durch eine reiche Klientel zu umgehen. Das sei aber sinnlos, weiß der Stern-Artikel, weil selbst das Finanzamt manche Zinserträge nicht ermitteln könnte. Das ist wirklich untragbar - statt aber Abhilfe zu fordern, um manchen vermögenden Drückeberger doch noch seiner Steuerpflichten zuzuführen, resigniert man. Das Lob auf die Bürgerversicherung nimmt diese Mängel einfach hin. Pragmatismus nennt man das dann wohl...

Die Reform, die gelobt wird, weil sie nichts reformiert

Die Übertreibung, mit der der Stern hier hantiert, unterstreicht tatsächlich neoliberale Positionen. Wettbewerb innerhalb der Medizin wird gelobt - den hat man aber schon seit Jahren beständig integriert und damit viele Verschlechterungen der Versicherten in Kauf genommen. Kein Bekenntnis dazu, dass alle, egal ob reich oder arm, aus einem Topf heraus behandelt werden sollten - vor dem Arzt alle gleich, im Angesicht der Krankheit alle gleich: Gleichheit, da schüttelt es den Neoliberalismus, das sind für ihn ekelhafte Kommunismen. Und auch die Finanzierungssicherheiten und -modalitäten zu verändern und gerechter zu gestalten, wird als unrealistisch abgetan - nicht, weil kein Geld hierzu da wäre, auch nicht, weil es keine Visionen gäbe, wie man Versicherungsbeiträge gerechter gestalten könnte - nein, man will das Sozialstaatsgebot einfach nicht, man will nicht starke Schultern stärker belasten, weil das die Leistungsträger übelnehmen könnten. Daher macht man auf Pragmatiker und schiebt den Zinssumpf vor.

Der Stern lobt ein Reformvorhaben, das eigentlich gar kein Reformvorhaben darstellt. Alles soll in leicht abgewandelter Form so erhalten bleiben, wie es gerade ist. Klar, das Gesundheitswesen war auf einem guten neoliberalen Weg - voller Markt, mit emsigen Wettbewerbern und Patienten, die sparsam und effizient therapiert wurden. Nicht dass die Euro-Krise (die ja in der Kombination mit all den anderen Krisen, die uns ereilten, eine System-Krise darstellt) plötzlich den guten alten Zeitgeist wegwischt. Wahlfreiheit ist dabei das große Werbeversprechen - das ist letztlich aber nur die Eitelkeit neoliberaler Denke, deren Zwang, stets in Wahlkategorien zu denken, die es letztlich so gar nicht gibt. Für Patienten ist es kein Fortschritt zu wählen, wohin sie ihre Leiden tragen - sie wollen sie bestmöglich kuriert wissen, egal wohin sie gehen.

Diese Gefahr scheint jedoch nicht gegeben. Weder die Sozialdemokratie, die nach eigenen Empfinden nach links gerutscht ist, was Politologen nachhaltig unterstreichen (und wovor sie warnen), schafft es sich von alten Gepflogenheiten zu lösen, legt sie doch Reformpläne vor, die mit Memmenmut gestrickt sind. Noch die schreibende Zunft läßt davon ab. Mag sein, dass die Zeiten des neoliberalen agenda setting, in denen es nur blindes Nachlaufen hinter Parolen gab, vorbei sind. Doch mittendrin stellt man ernüchtert fest, dass es anders kaum geworden ist.