Livesendung mit Hindernissen

Ich schreibe selten über den Alltag eines Ohrfunkredakteurs, aber über den Abend des 2. Juni 2012 und die Übertragung der DBSV-Show aus Berlin muss ich unbedingt schreiben, es war ein schöner Tag voller Pleiten, Pech und Pannen.

Der deutsche Blinden-und Sehbehindertenverband wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Aus diesem Anlass richtete er vom 1. bis 3. Juni 2012 ein riesiges Kulturfest für blinde und sehende Menschen im Tempodrom in Berlin aus. 3500 registrierte und eine unbekannte Zahl nichtregistrierter Besucher erlebten drei Tage lang Sport, Musik, Kabarett, Lesungen und viele andere Arten von Unterhaltung und Diskussionen. Einer der Höhepunkte war die DBSV-Quizshow, die am Abend des 2. Juni in der großen Arena des Tempodroms stattfand. Drei Teams aus jeweils einem blinden Teilnehmer und einem sehenden Prominenten traten in drei Quizrunden und drei Spielerunden gegeneinander an. Moderiert wurde die Veranstaltung vom ebenfalls blinden berliner Kabarettisten Dr. Dietrich Plückhahn und der bekannten Fernsehmoderatorin Nina Ruge. Diese Veranstaltung sollte der Ohrfunk live übertragen. Und ich war für diesen Samstag Abend zum Senden eingeteilt, eigentlich sollte ich eine Party moderieren, unseren Ballroom. In den ersten Stunden allerdings lief eben die Übertragung aus Berlin.

Das bedeutete nun nicht, dass ich in dieser Zeit nichts zu tun hatte. Für diese Veranstaltung war ich sozusagen die Sendezentrale. Das bedeutete, dass meine Kollegen vor Ort den Originalton der Veranstaltung dort vom Mischpult abnahmen und selbst ins Internet ausstrahlten, und zwar auf einen Hilfsserver, zu dem nur wir Zugang hatten. Ich widerum nahm den Ton dort als Hörer ab und sendete ihn zu unserem offiziellen Streamingserver, auf dem unsere Hörer dann mithören konnten. So lief die Veranstaltung über meinen Computer, was bedeutete, dass ich in Redepausen den Ton leiser stellen und selbst Erklärungen abgeben konnte. Das war notwendig, um unseren sehenden Hörerinnen und Hörern beispielsweise Personen vorzustellen, die in der Blindenszene bekannt sind und deshalb während der Show in Berlin selbst nicht gesondert vorgestellt wurden.

Im Vorfeld hatte ich mit meinem Kollegen vor Ort abgesprochen, dass er seine Übertragung wenige Minuten vor 8 Uhr startete, damit ich sie abhören und zu gegebener Zeit auf den Stream schalten konnte. Wie immer bei Live-Übertragungen hatte ich leichte Bedenken, dass etwas schief ging. Wir haben bislang nicht viele gute Erfahrungen damit gemacht. Reibungslos funktionierte es in 2 Fällen, an die ich mich erinnere, bei einer Veranstaltung aus der marburger Blindenstudienanstalt 2006, und bei der Übertragung des Verbandstages des DBSV im selben Jahr oder ein Jahr später. Bei mehreren anderen Gelegenheiten, insbesondere bei der fünf-Jahr-Feier des Ohrfunks aus Hamburg im letzten Jahr, ging es leider schief. Diesmal aber waren wir zuversichtlich, es sollten die besten Verhältnisse herrschen.

Etwas früher als gewöhnlich startete ich die Sendung um kurz vor 20 Uhr, begrüßte die Hörerinnen und Hörer und spielte ein Lied ein, während ich versuchte, auf dem internen Stream ein Signal aus berlin zu empfangen. Mein Kollege rief an und meinte, es müsse funktionieren, aber – wie ins geheim befürchtet – es funktionierte nicht. Dabei hatten wir sehrr sehr viele Hörerinnen und Hörer, die auf diese Übertragung warteten. Es half alles nichts, wir mussten den Fehler suchen. Noch während ich mit meinem Kollegen in Berlin telefonierte und leider nur Studiomusik über den Sender schicken konnte, begann in Berlin die lange erwartete Veranstaltung mit nur ein oder zwei Minuten Verspätung. Bei Ohrfunk.de war sie jedenfalls zunächst nicht zu hören. Ich gebe zu, dass das einem Radiomann, der sich auf ein solches Event gefreut hat, schon mal das Herz schwer machen kann. Natürlich gaben wir nicht auf. Wir überprüften, ob die Verbindungsdaten zum Stream stimmten, sie stimmten. Das Problem, so stellte es sich für mich heraus, war, dass wir doch nicht so optimale Bedingungen vorgefunden hatten, wie uns zugesichert worden war. Der Anschluss unseres Übertragungsrechners war offenbar über WLan erfolgt, und leider war die Verbindung anfangs nicht gut genug gewesen. An solch einfachen Dingen und Problemen kann ab und an bei kleinen Sendern ein Event scheitern. Nach ungefähr 20 Minuten klappte es endlich, und wir konnten mit der Übertragung beginnen, rechtzeitig zur zweiten Quizfrage von fünfen in der ersten Runde. Vorher waren die Leute vorgestellt worden, ich musste die Namen der beteiligten Personen in Gesprächspausen nachreichen. Zwei oder drei mal fiel der Stream zwischendrin wieder aus, wir verpassten einige Minuten, und leider brummte es die ganze Zeit über schrecklich, aber wir waren heil froh, dass wir überhaupt ein Signal bekamen. Die Hörer blieben uns treu, und trotz der anfänglichen Panne wurde es eine schöne Veranstaltung. Nina Ruge und Dietrich Plückhahn waren ein tolles Team, und auch die drei Kandidatenteams schlugen sich richtig gut. Es war humorvoll und unterhaltsam. Joana Zimmer und die Band “Blind Foundation” begleiteten das Quiz musikalisch.

Kurz nach 22 Uhr war es vorbei, und ich übernahm den Stream, um Partymusik zu spielen und mich mit den Hörerinnen und Hörern über den Abend und vielleicht auch über andere Themen des Blindenwesens zu unterhalten. Zu diesem Zweck forderte ich die Hörerinnen und Hörer auf, mir Mails zu schreiben über ihre Eindrücke. Binnen weniger Minuten liefen mehrere interessante Reaktionen ein, ich war zufrieden, der Abend konnte nur besser werden, dachte ich. So beantwortete ich die erste Mail, während mein zweites Partystück zu ende ging.

Und dann passierte es: Vermutlich aus kurzfristiger Überlastung fror mein Rechner ein und verhedderte sich in sich selbst. Es war nichts mehr zu machen, ich konnte nur noch abschalten, es ließ sich nichts mehr bewegen. Und das, obwohl der Computer noch mit dem Stream verbunden war. Es half nichts, ich musste ihn ausschalten. Nun ist das an sich keine Katastrophe. In Hamburg lief der Rechner eines Kollegen vor sich hin, auf dem die ganze Zeit Musik gesendet wurde. Als ich abschaltete, übernahm dieser Rechner automatisch das Senden. So konnten unsere Hörer zwar Musik hören, es wurde aber nicht mehr moderiert, und eine Reaktion auf die Mails gab es auch nicht. Deshalb wollte ich so schnell wie möglich wieder auf Sendung gehen und befahl meinem Rechner, wieder hochzufahren.

Es dauerte mehr als 20 Minuten, und der Rechner war noch nicht wieder am Start. Zwar war zu erwarten, dass Windows die Prüf- und Korrekturroutine laufen ließ, aber 20 Minuten war eine lange Zeit. Ich würgte den Rechner noch einmal ab und startete ihn erneut. Ich hatte schon erlebt, dass es dann plötzlich wieder funktionierte. Allerdings gestand ich mir ein, dass die meisten Hörer inzwischen vermutlich abgeschaltet haben würden. Das fand ich etwas enttäuschend. Aber ich ließ den Mut nicht sinken. Wieder waren 20 Minuten vergangen, als ich es schaffte, den Rechner, der immer noch nicht hochgefahren war, mit einem ordentlichen Abschaltbefehl tatsächlich zum Abschalten zu bringen. Für mich war das ein erster Fortschritt, und ich startete das Gerät erneut. Dann ging ich ins Wohnzimmer, wo neben meiner liebsten drei unserer Freundinnen der Veranstaltung gelauscht und sich auf eine nette Radioparty mit mir gefreut hatten. Die Stimmung war noch immer gut, und so versprach ich, dass ich, sollte der Rechner wieder hochfahren, bis in den frühen Morgen Party machen würde.

Inzwischen war es 23:40 Uhr geworden, da endlich kam der Anmeldeton von Windows, mein Rechner bequemte sich im dritten Versuch doch noch, mir ein Weitersenden zu ermöglichen. Zwar wäre er beim Aufruf des Mailprogramms, das zunächst einmal seine Ordner reparieren musste, beinahe wieder abgestürzt, ich konnte es aber verhindern. Eine viertel Stunde vor Mitternacht übernahm ich wieder das Ruder und die Sendung. Allerdings waren, wie erwartet, die allermeisten Hörerinnen und Hörer abgetaucht. Wie versprochen habe ich aber versucht, den Restlichen eine tolle Party zu moderieren. Alles Andere wäre auch enttäuschend gewesen: Ich hatte einige musikalische Ideen für die Sendung, hatte sie von Hand zusammengestellt und in eine bestimmte Reihenfolge gebracht. Schade, dass ich sie nun nicht an den Großteil der Hörerinnen und Hörer bringen konnte. Aber ich machte das beste draus und wurde von meiner Runde im Hintergrund mit kuriosen Musikwünschen unterstützt. “Es ist Mitternacht John” von Dieter Thomas Heck beispielsweise. Es war eine schöne Runde und doch noch ein netter Abend.

Gegen 02:30 Uhr kündigte ich eine längere Musikrunde an unter dem Motto: “Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da.” Die Lieder liefen ohne mein Zutun hintereinander weg, ich brauchte nur zu lauschen. Inzwischen saß ich allein hier im Studio, die Gäste waren weg, meine Liebste war schlafen gegangen. Drei Minuten vor drei Uhr kam der Anruf meines Kollegen aus Hamburg, der mich aus dem Schlaf holte: “Man hört ja gar nichts mehr von dir, auf dem Sender ist es still.” Wie peinlich: Da war ich in der Sendung eingeschlafen. Zwei Tage zuvor war mir das bei der Aufzeichnung einer Magazinsendung schon einmal passiert. Das war kein Problem, die Pause konnte aus der Aufzeichnung entfernt werden, aber jetzt war es eine Livesendung. Aus einigen Gründen schlafe ich in letzter Zeit nicht so viel wie ich müsste.

Schnell verabschiedete ich mich von den noch übrig gebliebenen Hörerinnen und Hörern, spielte noch 2 Lieder und beendete die Sendung. Es war ein Abend voller Pleiten, Pech und Pannen, aber es hat viel Spaß gemacht. Mit so kleinen Aussetzern muss man bei einem kleinen Internetsender offenbar leben, und wenn ich während einer Sendung bei den öffentlich-rechtlichen eingeschlafen wäre, hätte ich wohl meinen Job verloren. Trotzdem ist es sehr peinlich, und ich möchte mich bei den Hörerinnen und Hörern entschuldigen für diese letzte Panne. Schade auch, dass das Brummen während der gesamten DBSV-Veranstaltung nicht abzustellen war, aber wir konnten nur übernehmen, was wir angeliefert bekamen.

Zwar hat es viele Pannen an diesem Abend gegeben, aber ich würde so etwas jederzeit wieder in Angriff nehmen.


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