Pop in allen seinen unterschiedlichen Facetten wollten am gestrigen Konzertabend die Amerikaner von Sun Airway aus Philadelphia und die quirligen Indiepopper aus Melbourne namens Architecture in Helsinki zu Gehör bringen. Gut, dass die Australier bester Stimmung waren und den etwas blutleeren Auftritt der Vorband wettmachten. Dabei konnte die Band um den Songwriter John Barthmus auf dem wohlbetitelten Debutalbum "Nocturne Of Exploded Crystal Chandelier" mit feinem Electropop mit träumerischen Nuancen und glitzernden Rauschemelodien durchaus überzeugen. Doch irgendwie, und hier mag ich auch mal die Akustik im Gleis 22 verantwortlich machen wollen, kam das Liveerlebnis verwunschen und - viel schlimmer - verwaschen rüber. Die starke Single "Oh, Naoko" war mit Sicherheit unter den gespielten Songs, villeicht auch das tolle "American West", doch leider war ausserhalb des gut akzentuierten Schlagzeugs vor allem stimmlich kaum ein Unterscheid zwischen einzelnen Stücken auszumachen. So bekam der Auftritt leider eine unangenehm chillige Note, die für sich genommen sicherlich noch in Ordnung ging und durch bunte Lichtbrizzeleien unterstützt wurde, aber eben nicht zur erwarteten Popexplosion des Hauptacts passen wollte. Dieser übertraf dann wiederum die an ihn gerichteten Erwartungen vollends. Nicht nur, dass "Klassiker" und "Lieblinge" der ersten drei Alben gekonnt in Szene gesetzt wurden, nein, auch die neuen Songs wussten wider Erwarten zu überzeugen. "Moment Bends" aus dem Frühjahr stand auch klar im Zentrum des Konzerts, jenes Album, dass zum ersten Mal die Disco- und Funkelemente stärker aus den überdrehten Tweepopmelodien herauskitzelte. In den Studeoversionen ein wenig zu einfallslos und gelinde gesagt uninspiert vorgetragen, bekamen live vor allem "Escapee" und "W.O.W." ein sehr hübsches Kleidchen angezogen und auch die Singles "That Beep" und Contact High" fanden sich, eingeengt in so viele großartige Popmelodien bestens zurecht und glänzten mit den gutaufgelegten sechs Musikanten um die Wette. Cameron Bird, Kopf der Band, schraubte seine Stimme zuweilen in höchstes Falsett und Kellie Sutherland hatte wohl mindestens zehn Energieriegel gefuttert und tanzte, quietschte und schalalala-te sich, gerne im Duett mit (fast) jedem einzelnen weiteren Musiker, von rechts nach links. Doch nicht nur Sutherland und Bird glänzten mit ihrer Spiel- und Experimentierfreude, auch die übrigen Musikanten beteiligten sich daran, z.B. dem Hit "Do The Whirlwind" ein Shoegaze-Korsett zu reichen, "It5!" in der Zugabe bis zum Gehtnichtmehr in die Höhe zu pitchen oder immer mal wieder in eine feine und vor allem lustige Choreografie einzustimmen. 80 Minuten lang konnten die Australier dabei das Publikum fesseln, denn, man glaubt es kaum, auch hier wurde getanzt, bei der "Hommage an den Black Forest Cake" Debbie gezappelt und spätestens beim formidablen "Heart It Races" lauthals mitgesungen.
Fazit: Architecture In Helsinki machen Spaß. Sun Airway könnten das wohl auch. Das Publikum im Gleis 22 kann nicht nur nervig dazwischenquatschen und muss auch nicht immer zwischendurch Getränkenachschub holen. Die Australier sind keine Schönheiten, aber Charakterköpfe und sollten so schnell wie möglich noch mal wiederkommen. Dann aber bitte auch das tolle "The Cemetery" zu Gehör bringen.