Literatur für alle Lebenslagen – Humor

Literatur für alle Lebenslagen – Humor

Nach Liebe und Totschlag, alles Themen, die einen emotional irgendwie mitnehmen, hat man als Literaturfreundin immer wieder auch das überwältigende Bedürfnis etwas Lustiges zu lesen. Wobei ich diesbezüglich ebenfalls sehr anspruchsvoll bin – ein Schmunzeln hie und da reicht nicht, um ein Buch als wirklich humorvoll durchgehen zu lassen. Viel mehr denke ich dabei an die seltenen Exemplare, die mindestens einen mehrminütigen Lachanfall auslösen und gleichzeitig den Anspruch erfüllen, literarisch ebenfalls Außergewöhnliches zu leisten. Dass dies keine häufige Kombination ist, lässt sich allein daraus ableiten, dass Literaturfreunden bei der Fragen danach, was sie in dieser oder jener Kategorie empfehlen könnten, sofort ein Anwärter aus dem Genre Liebe oder Gewalt einfällt, meist sogar mehrere, die Aufforderung jedoch ein wirklich lustiges, literarisch anspruchsvolles Buch zu nennen, meist in minutenlangem Köpfewiegen und Äußerungen wie „Hmm, schwierig…“ mündet.

Ich selbst bin auf drei Kandidaten gekommen, die zu meinen Alltime-Favorites zählen, die sich in den verschiedensten literarischen Gattungen wieder finden und die wie üblich in ihrer Reihung keinerlei persönliche Präferenz widerspiegeln.

1. David Foster WallaceA supposedly fun thing I’ll never do again“ (1997): Ich gebe zu, dass David Foster Wallace aktuell zu meinen Lieblingsautoren zählt, trotzdem glaube ich, dass der oben erwähnte Essay insgesamt die Anforderungen an ein literarisch-humoristisches Vergnügen der Extraklasse erfüllt. D.F.W. beschreibt in diesem knapp hundertseitigen Aufsatz ein journalistisches Auftragswerk, für das er von der renommierten amerikanischen Zeitschrift „Harper’s Magazine“ bezahlt wurde. Es handelt sich dabei um die Beschreibung einer siebentägigen Luxus-Kreuzfahrt in die Karibik, die der Autor zu einer Art zynisch-abgeklärtem Abenteueraufsatz gestaltet, der seinesgleichen sucht. Die große Kunst und das entscheidende Element, das diese Geschichte über die gewöhnliche zynisch-postmoderne Erzählung hebt und sie somit umso lustiger und unterhaltsamer macht, ist die Tatsache, dass sich D.F.W. zwar über die vielen äußerst skurrilen Eigenschaften der Luxuslinerpassagiere auslässt, dass er dabei aber so gut wie nie herablassend oder überheblich, ja verletzend wird, weil er sich selbst als Außenseiter auf diesem Kreuzfahrtschiff absolut nicht von der Kritik ausnimmt. Im Gegenteil, er beschreibt das Aufeinanderprallen zweier diametral entgegengesetzter Universen, jenes der Passagiere, die zum Teil bereits erfahrene Kreuzfahrtprofis sind und derlei Reisen über die Maßen genießen, und jenes seiner eigenen kleinen Welt, in der er als Schriftsteller und Eigenbrötler nicht vor schonungsloser Selbstkritik zurückschreckt. Gerade deswegen ist „A supposedly fun thing I’ll never do again“ einer der lustigsten Essays, die ich je gelesen habe, egal ob der Autor über die seltsame von der Kreuzfahrtlinie benutzte Werbesprache fabuliert, oder ob er sich als neurotischer Sonderling in fast paranoider Weise Gedanken darüber macht, wie es möglich sein kann, dass er seine Kabine, jedes Mal, wenn er sie für mehr als 20 Minuten verlässt, in perfekt aufgeräumten Zustand wiederfindet, nicht jedoch, wenn er sich testweise nur 15 Minuten davon entfernt. Egal ob er existentialistisch-philosophische Reflexionen darüber anstellt, ob die „Sie sind hier“-Schilder an Bord des Schiffes tiefere Bedeutung haben mögen, als eine bloße topographische, oder ob er sich über die Absaugstärke der in seiner Kabine befindlichen Toilette sorgt. Einfach großartig. („A supposedly fun thing I’ll never do again“ ist Teil einer gleichnamigen Essaysammlung, die auf Deutsch unter dem Titel „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ erhältlich ist.)

2. Philip Roth – „Portnoy’s Complaint“ (1969): Philip Roth zählt zu jenen Autoren, über die jedes Jahr neuerlich gemunkelt wird, ob er nun endlich den Literaturnobelpreis bekommt oder nicht. Die Auszeichnung hätte er sich meines Erachtens nach allein durch den Roman „Portnoy’s Complaint“ verdient, handelt es sich dabei doch um einen der amüsantesten literarischen „Rants“ (eine Art schriftlicher Wutanfall), die ich – neben Thomas Bernhards Prosa – kenne. Schonungslos und zugleich unglaublich unterhaltsam, tabulos und direkt. Das Buch liest sich als vom Protagonisten Alexander Portnoy vorgebrachte Beschwerde, die er auf der Couch seines Psychoanalytikers Dr. Spielvogel als ewig um dieselben Themen zirkulierenden Monolog vorträgt. Hauptinhalte dieses Monologs: Schuldgefühle, Selbsthass, sexuelle Frustration, oder wie es die klinische Definition am Buchumschlag beschreibt: „Portnoy’s Complaint“: A disorder in which strongly-felt ethical and altruistic impulses are perpetually warring with extreme sexual longings, often of a perverse nature… (Portnoys Beschwerde: eine Störung, bei der starke ethische und altruistische Impulse in permanentem Konflikt mit extremen sexuellen Bedürfnissen, meist perverser Natur, stehen…). Mehr gibt es dazu wohl kaum zu sagen, außer, dass man diesen in schriftliche Form gegossenen Wahnsinn als Literaturfan gelesen haben muss.

3. Voltaire – „Candide oder Der Optimismus“ (1759): Immer wieder hat man als Mensch Phasen, in denen man einer gewissen Aufheiterung bedarf, weil einen äußere Umstände oder private Malaise in die Verzweiflung zu treiben scheinen. Egal ob es sich um persönliche Krisen oder weltpolitische Katastrophen handelt, ich empfehle diesbezüglich immer gerne die Lektüre von Voltaires „Candide“. Wer danach nicht einen Funken Hoffnung gefasst hat, wer während des Lesen nicht mindestens einmal in herzhaftes Lachen ausbricht, dem oder der – so leid es mir tut – ist leider nicht mehr zu helfen. Selbst wenn Voltaires Roman mittlerweile einige Jahrhunderte am Buckel hat, er ist auf seine Weise noch immer hoch aktuell und beschreibt auf ironisch-satirische Weise die Prüfungen des jungen Candide, der, nachdem er sich dummerweise an der Tochter seines Gönners vergriffen hat, aus dessen noblen Schloss in eine menschenfeindliche Umwelt geworfen wird und sich forthin damit auseinandersetzen muss, ob sein philosophischer Lehrmeister namens Pangloss mit der Aussage, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben würden, nicht doch etwas übertrieben hat. Das Ungemach, das dem jungen Candide und seinen Weggefährten auf ihrer Reise begegnet, ist demzufolge eine Aneinanderreihung von unfassbaren Katastrophen, die einen das eigene Leben wieder etwas entspannter betrachten lassen, ganz nebenbei schafft es Voltaire auch noch überaus elegant Kirchen- und Philosophiekritik in die Erzählung einzuflechten. Am Ende steht man als Leserin da und findet das einigermaßen pessimistische und etwas kryptische Resümee trotzdem irgendwie tröstlich: „Il faut cultiver notre jardin“ („wir müssen unseren Garten bestellen“).

Susanne, 23. Mai 2010


 


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